Tod im Elephant
Die Überschrift dieses Tagebuch-Eintrages mag klingen wie der Titel eines Krimis. Und tatsächlich – es gibt ein – wenn man so will – literarisches Vorbild. Das Buch, um welches es geht, heißt „Corona in Buchenwald“ und spiegelt eine fiktive Zusammenkunft von KZ-Überlebenden, die zum Jahrestag der Befreiung Buchenwalds in Weimar im Hotel Elephant untergebracht werden. Geschrieben hat es der begnadete Schriftsteller Ivan Ivanji, seines Zeichens selbst Überlebender des NS-KZ-Systems.
Die Idee, die Corona-Pandemie zum Gegenstand eines Romans zu machen dabei den besonderen Reiz des Buches aus – insbesondere, wenn man das Sprachspiel in diesem Zusammenhang versteht. Bei Corona geht es nämlich um den Vornamen der Schauspielerin Corona Schröter, die zwischen 1751 und 1802 gelebt hat. Corona Elisabeth Wilhelmine Schröter war offenkundig sehr umschwärmt von Johann Wolfgang von Goethe. 1776 wurde sie auf seinen Vorschlag hin Hofvokalistin und Kammersängerin. In Goethes Liebhabertheater spielte sie schließlich als erste Darstellerin die Iphigenie. Auf einem wunderbaren Ölgemälde wurde sie verewigt als Iphigenie und Goethe als ihr Bruder Orest. Mit dieser doppelten Wortbedeutung spielt Ivan Ivanji und zeigt, welch ein literarisches Gespür er besaß, wenn er sich mit solch einem Stoff auseinandersetzte.
Sein eigenes Leben im KZ und all seinen Erfahrungen, die er vor 80 Jahren auf brutalste Art und Weise in Deutschland machen musste, hat er ebenfalls in sprachliche Widersprüche gekleidet: „Mein schönes Leben in der Hölle“. Dieses Spielen mit Sprache, um uns zum Nachdenken zu bewegen ist es, was das literarische Schaffen von Ivan Ivanji ausmachte.
Am 8. Mai 2024 zum 79. Jahrestag der Befreiung vom Hitler-Faschismus hatte Ivan Ivanji als Zeitzeuge erneut Weimar besucht. Mit seinen stolzen 95 Lebensjahren war er fröhlich mit den anderen Zeitzeugen zugegen, als im sog. „Gau Forum“ das neue Museum „Zwangsarbeit im NS-Staat“ eröffnet wurde. Ursprünglich war geplant, dass die anwesende Prominenz, Frau Kulturstaatsministerin Roth, der Ministerpräsident und die Parlamentspräsidentin gemeinsam das Band zur Eröffnung des neuen Museums durchschneiden sollten, aber die kluge Gedenkstättenleitung schlug vor, dass diese ehrenvolle Aufgabe von den Überlebenden vollzogen werden sollte und die Ehrengäste hinter ihnen stehen würden, quasi, um ihnen den Rücken zu stärken. Ich hatte die Ehre, den Rollstuhl von Ivan Ivanji schieben zu dürfen. Immerhin drei überlebende Zeitzeugen, die als Zwangsarbeiter aus Polen nach Deutschland verschleppt worden waren, begleiteten die beiden Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald und waren die ersten Gäste in der neuen Ausstellung. Am Abend des 8. Mai in den „Tagesthemen“ kam Ivan Ivanji als Überlebender und Zeitzeuge noch einmal zu Wort – in einem aufgezeichneten Interview, während die Gäste bereits zum Spargelessen in einem Weimarer Restaurant weilten. Ivan liebte Spargel und jedes Mal, wenn er in der Spargelzeit in Weimar war, war das gemeinsame Spargelessen Pflicht. In diesem Jahr wären wir am 10. Mai bei Volkhard Knigge noch einmal zum Essen verabredet gewesen. Für mich war es einfach großartig, zu erleben, wie am Tag der Befreiung der große Saal der Weimarhalle komplett gefüllt war mit hunderten Ehrengästen.
Ivan mit seiner Fröhlichkeit war überall dazwischen und auch der Rollstuhl hinderte ihn nicht, seinen Enthusiasmus auszustrahlen. Seine Mehrsprachigkeit und seine präzise Analysefähigkeit waren es, die ihn zu einem unglaublich beliebten und hoch geachteten Gesprächspartner gemacht haben. Unsere letzten Worte beim Verabschieden waren: „Morgen beim Spargelessen“.
Leider können wir diese Verabredung nicht einhalten. In den Morgenstunden des 9. Mai ist mein Freund Ivan Ivanji friedlich im Hotel Elephant eingeschlafen. Es ist mehr als ironisch, dass nun ausgerechnet in diesem Hotel Elephant, das er zur Kulisse seines Buches gemacht hat, er selber seinen letzten Atemzug genommen hat. Dass er sich verabschiedet wie er gelebt hat, nämlich literarisch.
Andrej, sein Sohn, sagte zu mir, man müsste jetzt das Kapitel schreiben: „Tod im Elephant“. So kam ich auf den Titel meines Tagebuches für heute, denn Christi Himmelfahrt habe ich mit Andrej an der Seite seines Vaters (, der Zeit seines Lebens Agnostiker war,) verbracht und es ist mir eine Ehre, dass ich Ivan gemeinsam mit seinem Sohn das letzte Geleit geben konnte. Bedanken möchte ich mich bei der Ärztin, die sofort kam, und dann bei dem Team des Bestattungsinstitutes der Stadt Weimar, bei den Hotelbeschäftigten, all denen, die es Andrej ermöglicht haben, würdig Abschied vom Vaterzu nehmen. Aber auch dem langjährigen Freund Volkhard Knigge gehört mein aufrichtiger Dank, denn er war es, der mich zu Ivans 90. Geburtstag mit nach Belgrad genommen hat, damit wir Ivan für sein Lebenswerk den Thüringer Verdienstorden im Kreise seiner Freunde und all seiner Lieben überreichen konnten. Auch dies hatte etwas sehr Besonderes für mich, denn üblicherweise werden die Verdienstorden in der Thüringer Staatskanzlei verliehen. Bei Ivan war es aber eine besondere Würdigung und sein körperlicher Zustand jedenfalls vor sechs Jahren war kein guter. Umso erstaunlicher ist, dass genau in dieser Periode er noch sieben Bücher geschrieben hat. Unter anderem eben „Corona in Buchenwald“. Sein neuestes Buch hat er in der vergangenen Woche abgeschlossen und dem Verlag zugeleitet. Dieses wird nun posthum erscheinen. Ich bin gespannt, was er uns hinterlassen hat. Den letzten Blick auf Ivan werde ich im Herzen aufnehmen und behalten. Ein würdiger Abschied eines wundervollen Menschen. Danke lieber Ivan, Ruhe in Frieden und möge die Erde Dir leicht sein.