Über den Zusammenhang von Megaprofiten und Kaufkraftverlust
Erst vor einigen Tagen konnte man als aufmerksamer Nachrichtenkonsument in einer Hauptnachrichtensendung wie unter einem Brennglas die krisenhaften Widersprüche besichtigen, in denen sich unsere Gesellschaft gegenwärtig befindet. Auf der einen Seite wurde berichtet, dass das Nettoeinkommen von Arbeitnehmern im vergangenen Jahr um 4,1 Prozentpunkte zurückgegangen sei – ein bis dahin kaum vorstellbarer Wert. Gewarnt konnte man freilich schon Wochen vorher sein, als Michael Fratzscher, seines Zeichens Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), auf die Gefahrenpotenziale einer gesellschaftlichen Spaltung und eines sich abkühlenden Konjunkturklimas hinwies, die gerade in dem Faktum des rapiden Kaufkraftverlustes bei kleineren und mittleren Einkommen, begründet lägen.
Auf der anderen Seite – und wie bereits gesagt in der gleichen Nachrichtensendung – wurden die gegenwärtig exorbitant hohen Gewinnmargen der Erdölgiganten und der Energieversorger thematisiert. Dem (sinngemäßen) O-Ton nach seien auch diese Entwicklungen ohne Beispiel in der Geschichte. Dass zwischen diesen beiden Nachrichten ein Zusammenhang besteht, liegt zumindest für mich auf der Hand. Über die viel zu hohen Energie- und und Treibstoffpreise wird die Kaufkraft derjenigen minimiert, die das Konjunkturklima in „normalen“ Zeiten am Laufen halten – nämlich dem Gros der Bevölkerung. Dass dieses Vorgehen seitens der Konzerne hinter dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine versteckt wird, um einen (wenn auch wenig plausiblen) Grund für diese Profitbomben vorweisen zu können, ist ebenso erwartbar wie fragwürdig.
Für mich steht fest, dass bereits vor vielen Jahren bei der Unterzeichnung der Pariser Klimaschutzverträge hätte umgesteuert werden müssen – hin zu einer dezentralen, regenerativen und regionalen Energieerzeugung in Bürgerhand. Ich weiß, dass ich mit meinem Insistieren in dieser Sache einigen Menschen auf den sprichwörtlichen Wecker gehe. Aber nur so – sich festbeißend und nicht locker lassend – können wir zu einer gerechten und ökologischen Energiewende kommen, die unseren Kindern und Kindeskindern eine Welt zum Leben lässt und deren Ziel es nicht ist, den Energie- und Erdölkonzernen die Taschen zu füllen.
Als Konsumenten sollten wir darüber nachdenken, welcher Anbieter die Dekarbonisierung als Ziel formuliert hat und auch ernst macht, um dieses Ziel schnellstmöglich zu erreichen. Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen, heißt nicht dem Tanz ums Goldene Kalb zu fröhnen, sondern als oberstes Ziel in der Unternehmensphilosophie den lebens-und liebenswerten Erhalt unseres Planeten. Und auf diese Zukunft müssen wir trotz der aktuell nicht eben erbaulichen Situation weiter durch konkretes Handeln hinarbeiten. Denn das Wiederhochfahren der Kohlekraftwerke und die Zerstörung des Globus können keine Instrumente des 21. Jahrhunderts sein und sind noch weniger in irgendeiner Weise ein Solidarbeweis an die Ukraine.
Beim Schauen dieser Nachrichtensendung habe ich mich dabei ertappt, wie ich auf meine alten Tage doch noch Marxist werden könnte. Zum Schluss deshalb ein kleines Marx-Zitat, das die Lage in diesem Problemfeld m.E. sehr gut abbildet:
„Kapital, sagt der Quarterly Reviewer, flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel“