Thüringer Eulenspiegelei

Vielen Thüringern dürfte bekannt sein, dass vor hunderten von Jahren der weltberühmte Possenreißer Till Eulenspiegel Erfurt einen Besuch abstattete und dort – ganz wie es sich für ihn gehörte – die hiesige Professorenschaft ordentlich auf’s Korn nahm, indem er mit ihren Vertretern darum wettete, dass er einem Esel das Lesen beibringen könne. Freilich, das gelang ihm nur teilweise und außer „I“ und „A“ waren die Lernerfolge seines unwilligen Schülers doch eher bescheiden. Gleichwohl konnte dieser auf der Suche nach Hafer fleißig in Büchern blättern und zumindest den Anschein erwecken, des Lesens mächtig zu sein.

Eulenspiegel tat also etwas, das lange nach seinem Tod als „Eulenspiegelei“ Eingang in den deutschen Sprachschatz finden sollte: er nahm die Professorenschaft beim Wort führte sie so vor.

An diese Form der Narretei musste ich in dieser und der letzten Woche öfter denken, wenn ich mir das aktuelle Agieren der Thüringer CDU so anschaue.

So haben die Kollegen und Kolleginnen, vllt. auch Kolleg*innen oder KollegInnen, der CDU-Landtagsfraktion einen Antrag in den Landtag eingebracht, der der Landesregierung sowie der Landtagsverwaltung die Verwendung der sog. „Gendersprache“ verbieten will. Dem Antrag wurde sodann auch begierig von den Bürgern für Thüringen und der AfD zugestimmt, wobei Herr Höcke es erwartbarerweise natürlich bestens verstand, sich des von der CDU gesetzten Themas in der bereits bekannten verhetzenden Weise zu bemächtigen. Auf einer von dem verurteilten Rechtsextremisten Christian Klar organisierten Demonstration feierte er den gemeinsamen Beschluss als großen Sieg über den vermeintlichen „Genderwahnsinn“.

Nun ist über das völlig fehlgeleitete Kalkül der Thüringer CDU, was das Fischen am rechten Rand angeht, eigentlich bereits alles gesagt, was es zu sagen gibt. Mich hat der oben genannte Antrag allerdings recht ratlos zurückgelassen, nicht zuletzt, weil er etwas verbieten will, was es gar nicht gibt. Niemand in der Thüringer Landesregierung oder Landesverwaltung verfolgt das Ziel, eine neue Sprache entwickeln oder gar vorschreiben zu wollen. Aber die Erklärung dafür, was „Gendersprache“ jenseits von platten Stammtischparolen sein soll, bleibt die CDU schuldig.

Ich selbst bin mit dem Thema der geschlechtergerechten Sprache erstmals in den 1980er-Jahren als junger Gewerkschafter konfrontiert worden als wir damit begannen, auf Flugblättern das Binnen-I zu verwenden, um endlich dafür zu sorgen, dass die weibliche Hälfte der Bevölkerung auch endlich gleichberechtigten Eingang in unsere alltägliche Sprachpraxis findet.

Als ich diese Form der gleichberechtigten Sprache nach 1990 schließlich mit nach Thüringen brachte, wurde mir zunächst manche Verständnisfrage gestellt und ich habe lange und geduldig dafür geworben, Gleichberechtigung auch in der Sprache Realität werden zu lassen.

Ich werbe nach wie vor dafür, dass man sich in Sachen Sprache selbstverständlich kritische Fragen stellen und nach neuen Lösungen für eine angemessene und inklusive Sprache suchen kann und muss. Letzteres hat beispielsweise beim Elisabethempfang in der vergangenen Woche Herr Bischof Neymeyr in beeindruckender Weise getan und dafür plädiert anstelle eines Binnen-I oder eines * doch von Menschen und ihren Tätigkeiten zu sprechen anstatt von männlichen und weiblichen Formen. Sowohl Herr Prof. Voigt als auch ich haben dieser Rede gelauscht und hätten einiges darüber lernen können, was es heißt, bei Themen die ein gehöriges Verhetzungspotenzial bergen, Brücken zu bauen. Dieser Lerneffekt hat bei Herrn Prof. Voigt erkennbar nicht eingesetzt. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, dass er nach dem Vortrag des Bischoffs zurück in den Landtag fuhr und dort wortgewaltig für seinen in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Antrag gestritten hat. Das ist für mich umso überraschender, weil auch Herr Prof. Voigt sicherlich den Auftrag des Rates für deutsche Rechtschreibung kennt, in dem dieses entscheidende Gremium dazu auffordert, „(…)dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen.“

Klar dürfte allerdings auch sein, dass die Landesregierung nicht juristisch umstrittene Fragen auf Grundlage zweifelhafter CDU-Beschlüsse anpackt und im Zweifel sogar rechtswidrig handelt, wenn sie von einer inklusiven zu einer exklusiven Sprachpraxis wechselt.

Aber auch sprachwissenschaftlich baut die Phobie der CDU vor einer inklusiven Sprache auf Sand. Wenn in schöner Regelmäßigkeit beklagt wird, *, _ oder Binnen-I führten zu einer regelrecht unnatürliche Unterbrechung des Sprachflusses, muss ich die so Argumentierenden leider auf das schöne Sprachinstitut des sogenannten Glottisschlages bzw. glottalen Plosivs hinweisen, das möglicherweise schon das Mittelhochdeutsche des Mittelalters kannte – also in einer wirklich wunderbaren deutschen Sprachtradition steht. Was ist nun dieser Glottisschlag? Er bezeichnet eine sprachliche Pause an der Schnittstelle eines zusammengesetzten Wortes. Nehmen wir einmal den bekannten Helene Fischer-Song „Atemlos“. Jeder, dieses zusammengesetzte Wort ausspricht, wird automatisch eine kurze Pause zwischen „atem“ und „los“ setzen müssen (in der Umschrift wird der Plosiv via | angezeigt). Wenn es nach der CDU geht, schmeißen wir diese Sprachregelung jetzt gern über den Haufen und stiften damit völliges Chaos. Das würde bei „atemlos“ zwar nicht umsetz-, dafür aber verkraftbar sein, problematisch wird es hingegen dort, wo der glottale Plosiv ein Wort in seiner Bedeutung beeinflusst – zum Beispiel bei „Eulenspiegelei“, das ohne Plosiv seine gemeinte Bedeutung erhält, mit Plosiv aber Eulenspiegel | ei (also das Gericht aus Hühnerei) meinen würde. Diese Verballhornung des großen Eulenspiegels kann ich kaum zulassen, zumal die Vorstellung eines „Eulenspiegel“ mit Spiegelei auf dem Kopf schon verwegen wirkt.

Man möge mir diese Bissigkeit verzeihen, aber der Antrag der CDU ist in vielerlei Hinsicht ohne Humor kaum zu ertragen.

Und wenn die Sprachwissenschaft Herrn Prof. Voigt nicht überzeugen kann, dann vielleicht der Hinweis aus der Verwaltungspraxis des Landtages, dass dort für die Landtagsprotokolle ein „:“ vorgesehen werden sollte nicht allein, um geschlechtergerechter Sprache zu ihrem Recht zu verhelfen, sondern, um den barrierefreien Zugang für Menschen mit Sehbehinderung zu gewährleisten, deren automatisierte Schrifterkennung weniger Probleme mit „:“ als mit Binnen-I und anderen Einpflegungen hat.

Am Ende des Tages bleibt für mich eine Thüringer CDU, deren Ziel-, Orientierungs- und Planlosigkeit eulenspiegelartige Züge angenommen hat – mit und ohne Spiegelei.