Angegriffene müssen sich verteidigen können

Wer sich lange genug in der politischen Arena bewegt, der entwickelt irgendwann auch ein Gespür für bestimmte Gesetzmäßigkeiten. Eine davon ist beispielsweise diejenige, die besagt, dass Überschriften von Interviews, die man gibt, recht häufig nur sehr punktuell die Differenziertheit eines Gespräches wiederzugeben vermögen. In der vergangenen Woche sprach ich beispielsweise mit dem Evangelischen Pressedienst über den Krieg in der Ukraine und die Frage nach Waffenlieferungen. Schnell wurde verschiedentlich ein sehr facetten- und nuancenreichen Gespräch in knallige Einzeiler gepresst – „Schwere Waffen für Ukraine: Ramelow für Lieferungen aus Deutschland“ oder gar „Ramelows Ja zu Waffen spaltet“ usw. usf.

Das gehört freilich zum Geschäft und in Zeiten von Clickzahlen und quantifizierbarer Aufmerksamkeitsökonomie verstärken sich derartige Trends noch.

Jenseits der Schlagzeile muss dann allerdings Raum für die notwendige Differenziertheit – zumal bei einem solch existenziellen Thema – bleiben. Um es klar zu sagen: Grundsätzlich bin ich gegen Waffenlieferungen – und zwar nirgendwohin. Ich wäre sogar für ein gesetzliches Verbot derselben und unterstütze seit Jahrzehnten den Kampf für eine atomwaffenfreie Welt.

Aber solange weder das eine noch das andere zur Umsetzung gelangt ist, ja, es sogar Staaten gibt, die sich systematisch diesem Streben entziehen, muss ich genauso wie wir alle bestimmte Realitäten zur Kenntnis nehmen und auch anerkennen. Und eine dieser Realitäten ist, dass die deutsche Firma Rheinmetall als einer der größten  Waffenexporteure der Welt auch Russland mit modernster Waffentechnik für rund 100Millionen € zum gezielten Training an Panzern versorgt und russische Armeeangehörige (Panzerbesatzungen) sogar an ihr ausgebildet hat – „Erfahrungsaustausch“ und „Wertetransfer“ nannte man das damals.

Deutschland ist eines der größten Waffenexportländer der Welt und deshalb könnte man zugespitzt sagen, auch deutsche Exporte haben ihren Teil dazu beigetragen, dass der russische Aggressor überhaupt angriffsbereit werden konnte.

Diejenigen, die heute dem Angegriffenen – also der Ukraine – verweigern wollen, sich in Deutschland Waffen zur Verteidigung ihres Staatsgebietes zu beschaffen, obgleich die Seite des Angreifers schon aus Deutschland versorgt wurde, argumentieren m.E. zynisch und entlang doppelter Standards. Können wir uns wirklich erlauben, erst einen Aggressor hochzurüsten, um dann – wenn derselbe plötzlich seine Expansionsgelüste an einem Nachbarn auslässt – die Hände hochzureißen und so tun als ginge uns das nichts an? Das halte ich weder außenpolitisch noch ethisch für einen gangbaren Weg. Als angegriffenem Staat räumt das Völkerrecht der Ukraine das umfassende Recht auf Selbstverteidigung gegen denjenigen ein, der das Völkerrecht brach – nämlich Putin. Auch gerade deswegen muss es der Ukraine möglich sein, auch in Deutschland Waffen für die Abwehr des russischen Angriffs zu beschaffen. Den rechtlichen Rahmen dafür setzen das Völkerrecht und das Kriegswaffenkontrollgesetz, welches eine Genehmigung der Bundesregierung bei der Ausfuhr von Kriegswaffen vorsieht. Auch der Bundestag ist bereits verschiedentlich mit der Thematik befasst gewesen. Hier steht die Bundesregierung in der Pflicht eine ausgewogene und überlegte Entscheidung zu treffen.

Anders wäre die Lage freilich, würden wir Waffen aus den Beständen der Bundeswehr liefern. Dass Kanzler Scholz hier besonders behutsam abwägen muss, wann die Bundesrepublik formell Teil eines Krieges wird – mit allen weitreichenden Konsequenzen – halte ich nicht etwa für behäbig, sondern dem Ernst der Lage für mehr als angemessen. Das habe ich auch in einem Interview mit der Berliner Zeitung unlängst noch einmal herausgestrichen. Darum – und um nichts Anderes – muss es dieser Tage gehen: Solidarität mit den Angegriffenen, Augenmaß bei allen Entscheidungen, die Waffenlieferungen betreffen sowie die Mitarbeit an diplomatischen und internationalen Versuchen, das Blutvergießen Putins zu stoppen.

Zum Nachlesen mein Interview mit der Berliner Zeitung sowie der Artikel des EPD.