500 Jahre Bibelübersetzung, 500 Jahre Luther auf der Wartburg – Eindrücke zu einem außergewöhnlichen Reformationstag

Sie sind sehr selten, aber dennoch gibt es sie – Ereignisse und (häufig sehr kurze) Zeiträume, die ein weltgeschichtliches „Vorher“ von einem weltgeschichtlichen „Nachher“ trennen. Wir nennen sie Zäsuren ( von lat. Caesura = Schnitt), weil nach ihnen der Lauf der Dinge eine völlig neue Richtung nahm und noch auf Jahrzehnte oder Jahrhunderte unsere Geschichte prägte.

Die 500. Wiederkehr einer solchen Zäsur durfte ich am vergangenen Sonntag, dem Reformationstag, in Eisenach feiern.

Es war im Jahr 1521 als der katholische Priester Martin Luther auf seinem Rückweg vom Wormser Reichstag, auf dem Kaiser Karl V. über ihn die Reichsacht verhängt hatte, mittels eines ausgeklügelten Planes auf die Wartburg nahe Eisenach entführt wurde, um ihn so vor den kaiserlichen Häschern zu schützen. Knapp ein Jahr verbrachte Luther – getarnt als Junker Jörg – auf der Burg. In dieser Zeit übersetzte er das Neue Testament aus dem griechischen Urtext ins Deutsche und schrieb damit – in einem Zeitraum von gerade einmal vier Monaten – im wahrsten Sinne des Wortes Weltgeschichte. Die Geschichte der Christenheit – im Guten wie im Schlechten – ist seitdem eine andere.

Luther löste mit seiner Tat ein wahres weltgeschichtliches Beben aus, dessen Epizentrum im kleinen Thüringen lag. Es versteht sich beinahe von selbst, dass wir als Freistaat dieses Jubiläum angemessen feiern – und zwar mit einem ganzen Themenjahr unter dem Titel „Welt übersetzen. Sprache lesen, hören, sehen in Thüringen“, das ich am Sonntag in Eisenach eröffnen konnte. 365 Tage lang können Besucherinnen und Besucher in Museen, Vorträgen, aber auch Konzerten die Wirkmacht erkunden, die von Luthers Bibelübersetzung bis heute ausgeht – in Theologie und Philosophie, aber eben auch in Kunst, Kultur und Musik.

Einer, der wie kaum ein Zweiter Luthers Werk aufgriff und in völlig neue Form brachte, war ein anderer „Eisenacher“: Johann Sebastian Bach. Er vertonte die Luther’schen Texte und wurde dadurch zu einem der wichtigsten evangelischen Kirchenmusiker aller Zeiten. Luthers und sein Lebensweg kreuzten sich – wenn auch mit über 200 Jahren Verzögerung – in Eisenach, wo sowohl er als auch Luther die Lateinschule besuchten und in der Eisenacher Kurrende sangen. Um auch seiner zu gedenken, konnte ich in Bachs Taufkirche, der Eisenacher Georgenkirche, gemeinsam mit Oberbürgermeisterin Katja Wolf zu den wunderbaren Bach’schen Kantatenklängen das 5. Eisenacher Bachfest beenden.

Bereits vorher hatte ich dem Aktionstag „Gib niemals auf – 30 Jahre Selbsthilfe in Eisenach“ des Landesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte einen Besuch abgestattet und unter anderem das großartige Rolli-Handballteam begrüßt, das mich gleich samt Trikot zum Ehrenspieler ernannte. Die Kraft, mit der all diese Menschen tagtäglich wieder neu das Leben in Angriff nehmen ist wahrhaft beeindruckend.

Mein ganz persönlicher Höhepunkt dieses ereignisreichen Tages war die Chance, beim großen Wartburggottesdienst die zentrale Kanzelrede zu meinen persönlichen „LebeWorten“ halten zu dürfen. Ich nahm zum Ausgangspunkt meiner Ausführungen folgende Sätze aus dem Alten Testament, dem 5. Buch Mose:

„Wenn du auf deinem Acker geerntet und eine Garbe vergessen hast auf dem Acker, so sollst du nicht umkehren, sie zu holen, sondern sie soll dem Fremdling, der Waise und der Witwe zufallen, auf dass dich der Herr, dein Gott, segne in allen Werken Deiner Hände.“

Sie betonen etwas, das meinen christlichen Glauben und meine politische Haltung als Sozialist zusammenführt: die Pflicht eines jeden Einzelnen an einer Welt mitzuarbeiten, in der Gleichheit und Solidarität nicht bloß leere Worte sind, sondern Werte, die sich im konkreten Handeln niederschlagen – egal, ob bei der Unterstützung von Geflüchteten oder bei meinem – auch ganz persönlichen- Kampf für eine Kindergrundsicherung oder bezahlbares Wohnen. Wenn wir aus dem Themenjahr etwas mitnehmen sollten, dann auch die Aufforderung, dass zielloser Konsum und Ellbogenattitüde nicht die Zukunft einer Gesellschaft im Umbruch absichern können, sondern ein – ja, auch christlich begründeter und begründbarer – Auftrag zum Miteinander.

Während ich an historischem Ort aus diesem schönen und besinnlichen Tag viel Kraft schöpfen konnte, spielt sich nur wenige Kilometer nebenan aktuell allerdings etwas ab, das mir erhebliche Sorgen bereitet. Das Opelwerk in Eisenach wurde vom Mutterkonzern Stellantis – vorgeblich wegen der aktuellen Produktionskrise im Chipsektor – bis Ende des Jahres geschlossen und die Mitarbeiter mit Kurzarbeitergeld nach Hause geschickt. Das Vorgehen des Konzerns – mangelnde Kommunikation, aber auch wenigstens die Infragestellung der Zukunft am Standort Eisenach selbst – kann und werde ich nicht hinnehmen. Das habe ich bereits am Freitag auch bei einer Kundgebung vor Ort deutlich gemacht. Deshalb poche ich gemeinsam mit meinen Kollegen Volker Bouffier und Malu Dreyer auch deutlich auf ein Gespräch mit Konzernchef Tavares, um Klarheit zu schaffen, wie es für die 1300 Beschäftigten vor Ort weitergeht. Wir messen die Konzernspitze an ihren Versprechen der vergangenen Jahre, Opel als eine tragende Säule ihres Konzerngebäudes weiterzuentwickeln. Ich und das Land stehen hinter den Opelanern.