Ein Tag im Leben der CDU Thüringen

Am gestrigen Morgen bot sich dem geneigten Zeitungsleser in einer Südthüringer Zeitung ein denkwürdiges Bild – vier CDU-Abgeordneten-Porträts von Herrn Kowalleck, Frau Tasch, Herrn Heym und Herrn Kellner –  garniert mit der Überschrift „Die vier Protestanten“. Nun stellt sich mir als evangelischem Christen freilich die Frage, ob die Katholikin Tasch gerne Protestantin genannt werden möchte. Wesentlich problematischer als dieser konfessionelle Lapsus sind allerdings die Inhalte des so aufgemachten Artikels, machen doch die vier Abgebildeten sehr deutlich klar, dass sie der zwischen R2G und CDU vereinbarten Auflösung des Landtages nicht zustimmen werden.

Damit wäre die notwendige Mehrheit von 60 Stimmen – also einer 2/3-Mehrheit – dahin. Symptomatisch für die Menge an Problemen, mit denen die CDU gerade sowohl im Land als auch im Bund konfrontiert ist, ist die Tatsache, dass auf derselben Seite ein Artikel zur toxischen CDU-Personalie Maaßen unter der Überschrift „Maaßen sagt, was andere in der CDU sogar schreiben“ abgedruckt wurde. Ob Armin Laschet im Bundestagswahljahr diese Melange in den Griff bekommt, kann wenigstens bezweifelt werden.

Für Laschets Thüringer Parteifreunde Voigt und Hirte ist die Situation rund um die vier „Abtrünnigen“ natürlich extrem unangenehm. Noch vor wenigen Tagen hatte sich Mario Voigt darüber echauffiert, dass R2G die Abgeordneten der CDU-Fraktion aufforderte, mittels Unterschriften unter dem Auflösungsantrag vorab zu dokumentieren, dass  die CDU- Landtagsfraktion hinter der Auflösungs- und Neuwahlverabredung des Stabilitätsmechanismus stehe. Sein Wort, so Voigt, gelte. Vorabdokumentation etc. brauche es nicht.

Dann kam der gestrige Morgen und man darf durchaus fragen, was das Wort eines Thüringer CDU – Fraktionsvorsitzenden danach noch wert ist. Dass die abdruckende Zeitung die vier Verweigerer als „Protestanten“ bezeichnet, ist dabei für einen  Protestanten wie mich – gerade im 500. Jahr der Reformation – natürlich umso bedenkenswerter. Doch während Martin Luther als „Urvater“ des Protestantismus in vielerlei Hinsicht für Erneuerung stand und uns mit der Bibelübersetzung quasi die deutsche Einheitssprache stiftete, wirkt die aktuelle Verfassung der CDU doch eher chaotisch und kaum mit den inhaltlichen und kulturellen Höhen des Protestantismus vergleichbar.

Und während die CDU und ihr Agieren an falschen Vorbildern gemessen werden, zeigt Herr Voigt quasi täglich, welche Agenda er verfolgt: „Egal, wie unsinnig und unwahr eine Anschuldigung ist – sie ist niemals unwahr und falsch genug, um sie nicht der rot-rot-grünen Landesregierung in die Schuhe zu schieben.“ So kam Herr Voigt in dieser Woche nicht umhin, mir mit sehr markigen Worten vorzuwerfen, ich habe mit meinen Hinweisen zum erhöhten Infektionsgeschehen im ländlichen Raum die dortige Bevölkerung verächtlich gemacht oder gar diskriminiert. Hätte Herr Voigt sich darum bemüht, einmal mit den lokalen Amtsärzten zu kommunizieren und dort von Gartenpartys, aufgelösten Geburtstagsfeiern, illegalen Karnevalsumzügen etc. zu hören, hätte er möglicherweise eine differenziertere Meinung – oder eben nicht, weil es nicht in seine Geschichte passt. Da werden frei erfundene Fakten von drei Gesundheitsämtern ohne elektronische Kontaktnachverfolgung ventiliert oder aber gleich die sicherlich nicht ganz banalen Tatsachen übergangen, dass es auch Landräte mit CDU-Parteibuch gibt, die für die Situation ebenfalls Verantwortung tragen.

Und wenn es nicht um falsche Fakten geht, dann produziert man Widersprüche, die man offenkundig selbst nicht einmal bemerkt. Um nur das aktuellste Beispiel zu nennen: Zuerst greift mich CDU-Landrätin Schweinsburg an, weil ihr vom Land Regeln zur Pandemieabwehr aufgezwungen worden seien, die inhaltlich der Bundesnotbremse schon sehr nahe kamen. Danach lässt sich Herr Prof. Voigt ein und bezeichnet die Bundesnotbremse als den eigentlichen Rettungsanker, der Thüringens Zahlen senke. Beide wiederum attackieren mich dann gemeinsam, weil ich auf vorhandene Probleme im ländlichen Raum hingewiesen habe. Merken beide eigentlich, dass sie einander die Beine stellen?

Detailwissen und stringente Argumente zählen offenbar wenig, wenn man seine in der Realität sehr destruktive Kommunikation mit dem wohlklingenden Namen „konstruktive Opposition“ ummäntelt.

Nicht weniger bemerkenswert sind hier auch die Positionen von Christian Hirte, der immer wieder betont, es werde weder mit der AfD noch mit DIE LINKE. eine Zusammenarbeit geben. Beide seien in gleichem Maße „extremistisch“. Damit stellt er mich auf eine Stufe mit Björn Höcke. Aber einmal abgesehen davon: War es nicht dieselbe CDU, die kollusiv mit der AfD zusammengewirkt hat, um einen MP Kemmerich zu installieren? War es nicht derselbe Christian Hirte, der unmittelbar nach dieser Wahl Herrn Kemmerich in allerhöchsten Tönen gratulierte? Gleichzeitig ignoriert Herr Hirte mit solchen platten Gleichsetzungen die nicht ganz unerhebliche Tatsache, dass es auch dieselbe CDU war, die mit uns einen Stabilitätsmechanismus ge- und einen Haushalt beschlossen hat. Der interessierte Beobachter muss unwillkürlich angesichts solcher Wahrnehmungsprobleme an das berühmte Helmut-Schmidt-Zitat „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ denken.

Mit beeindruckenden Pirouetten und einem Zickzackkurs, der dem der CDU in nichts nachsteht, hat in den letzten 12 Monaten allerdings auch die FDP Thüringen von sich reden gemacht. Ich habe Thomas Kemmerichs Ankündigung aus dem Februar noch im Ohr, wie er und die FDP höchst selbst für Neuwahlen sorgen wollten – einen entsprechenden Antrag habe ich nie zu Gesicht bekommen und der Griff zur Thüringer Verfassung war offenbar zu umständlich. Andernfalls wäre es ein leichtes gewesen festzustellen, dass ein Ministerpräsident die Vertrauensfrage nur so lange stellen kann bis er seinen Rücktritt erklärt hat. Letzteres tat Kemmerich ohne vorher Minister zu ernennen – ein Recht, das ebenfalls nur Ministerpräsidenten, die eben nicht nur geschäftsführend im Amt sind, haben. Die Folgen? Thüringen konnte als erstes Bundesland in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt in einer Bundesratssitzung nicht vertreten sein, weil die Anwesenheit mindestens eines Ministers für Abstimmungen notwendig ist. Und die Arbeit in den Ministerien? Wurde von den Staatsekretären der nicht mehr im Amt befindlichen rot-rot-grünen Landesregierung besorgt. Während also CDU, FDP und AfD im übertragenen Sinne das Haus Thüringen angezündet hatten, leisteten die Staatssekretäre die Löscharbeit – übrigens getreu dem alten Bernhard Vogel-Motto: „Erst das Land, dann die Partei, dann die Person.“

Am Ende führte das Kemmerich-Debakel zu personellen Wechseln an der CDU-Fraktionsspitze und zur Aufnahme von Gesprächen mit R2G über eine Lösung der Regierungskrise. Meinen Vorschlag die ehemalige CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht interimsweise bis zu Neuwahlen die Geschäfte des Ministerpräsidenten führen zu lassen, nahm die CDU verdutzt zur Kenntnis und signalisierte in der Hoffnung so um Neuwahlen herum zu kommen, durchaus Bereitschaft zu diesem Schritt. Dieses Spiel spielte wiederum Christine Lieberknecht nicht mit. Allein für diese Klarheit und Wahrhaftigkeit verneige ich mich vor ihr.

Auch wenn die Zeit vergangen ist: das Dilemma der CDU und von Mario Voigt – sowohl moralisch als auch politisch – bleibt das gleiche wie vor einem Jahr: vollmundiges Bekennertum, wenn es um die Ankündigung von Neuwahlen geht hier, ohrenbetäubendes Schweigen, wenn es um die Frage nach dem „Wie?“ geht . Und die FDP? Wenn sie wollte, könnte sie sich konstruktiv am politischen Prozess beteiligen und Möglichkeiten zur Krisenlösung ausloten. Aber auch hier kein Fortkommen – vielleicht ja auch wegen des eigenen fragilen Fraktionsstatus, den man nur dank einer Abgeordneten in den eigenen Reihen aufrecht erhalten kann, die sich mit einer neu gegründeten Partei anschickt, für andere zu kandidieren.

Am Ende dieses gestrigen Tages bleiben für mich viele Fragen, vor allem aber diejenige nach dem Gewicht des Wortes eines CDU-Fraktionsvorsitzenden, dessen eigene Fraktion wortbrüchig zu werden droht und damit eine weitere Krise heraufbeschwört. Die CDU steht jetzt in der Verantwortung zu erklären, ob sie bereit ist, zum Wohle des Landes mitzutun oder als destruktive Opposition die Zukunft eines ganzen Bundeslandes zu verspielen.

Mein Appell: Demokraten – gleich welchen Parteibuches – sollten die Kraft und das Verantwortungsbewusstsein haben, ein Land nicht in die Handlungsunfähigkeit gleiten zu lassen.  Auf den Tabubruch vom 05. Februar 2020 darf kein Wortbruch in 2021 folgen.

Ich nehme jedenfalls den Eid, den ich geleistet habe, sehr ernst. Er verpflichtet mich, an erster Stelle immer und überall für das Wohl des Landes und seiner Bürger einzutreten und zu kämpfen. Das werde ich – egal, was kommt – wie in den vergangenen Jahren auch weiterhin tun – ehrlich, pragmatisch, klar und solidarisch – für Thüringen.