500 Jahre Luther auf der Wartburg
Es hätte ein großes Jubiläum werden sollen. Vor genau 500 Jahren, am 04. Mai 1521, wurde Martin Luther auf dem Weg vom Wormser Reichstag nahe Eisenach auf die Wartburg entführt, wo er – unter dem Schutz des Kurfürsten Friedrich des Weisen – bis März 1522 als Junker Jörg lebte. In dieser Zeit übersetzte er in der Thüringer Provinz die Bibel ins Deutsche. Fußend auf dem griechischen Text erarbeitete er nicht die erste, dafür aber mit Sicherheit die folgenreichste Bibelübersetzung und legte damit das Fundament für eine standardisierte deutsche Sprache.
Anlässlich dieser Zäsur von nicht nur deutscher Tragweite durfte ich gestern im kleinsten Kreis – corona-konform – die Ausstellung „Luther im Exil. Wartburgalltag 1521“ auf der Wartburg besuchen und – leider nur sehr symbolisch – „eröffnen“. Dass der geplante große Festgottesdienst pandemiebedingt nicht stattfinden konnte, ist betrüblich. Umso erfreuter war ich als man mich am gestrigen Morgen kurzfristig zu einer spontanen Mini-Andacht einlud, die im Vorfeld der Ausstellungsbegehung abgehalten wurde. Gemeinsam mit Friedrich Kramer, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Ulrike Greim, Tobias Schüfer und Christian Stawenow, den Regionalbischöfen der EKM, sowie Ralf-Peter Fuchs, dem Superintendenten des Kirchenkreises Eisenach-Gerstungen gedachten wir still und freudig des Tages.
Die Ausstellung selbst bietet spannende Einblicke in das Leben des Untergetauchten im 16. Jahrhundert. Neben einigen handgeschriebenen Luthertexten kann der Interessierte sogar einen originalgetreuen Nachbau des Wagens begehen, in dem Luther zu reisen pflegte. Das implizite Kernstück der Ausstellung bildet natürlich – wie könnte es anders sein – die große Leistung der Luther’schen Bibelübersetzung. Erst durch sie trat die Burg, die bis dahin quasi nur am Rande des Reiches gelegen hatte, unvermittelt in die Weltgeschichte ein und wurde zu einem Epizentrum des protestantischen Glaubens, aber auch zur Wiege der deutschen Schriftsprache.
In kaum 11 Wochen war es dem Reformator gelungen eine Bibelübersetzung vorzulegen, die einerseits hohen theologischen Ansprüchen genügte, andererseits aber so angelegt war, dass auch das „gemeine Volk“ sie verstehen konnte. In einem Reich, dass nicht nur in eine Vielzahl von Kleinstaaten zerfiel, sondern in dem wenigstens genauso viele Dialekte gesprochen wurden, war das eine Neuerung ungeahnten Ausmaßes.
Als sprachlichen Ausgangspunkt wählte Luther die Sächsische Kanzleisprache, auch Meißner Kanzleideutsch genannt – eine technische Verwaltungssprache, die überregional verwandt wurde. Ihm gelang das Kunststück diese sehr formalisierte Sprache – vergleichbar mit heutigen Programmiersprachen – durch einfallsreiche Sprachbilder so auszugestalten, dass Vieles davon die Jahrhunderte bis heute überdauert hat. Jeder kennt Redewendungen wie „ein Herz und eine Seele“, „ein Buch mit sieben Siegeln“, „die Zähne zusammenbeißen“ oder „Hochmut kommt vor dem Fall.“ Die Liste ließe sich beliebig verlängern und zeigt, mit welcher Wucht und Kraft Luther dem „Chaos der Dialekte“, wie es ein Feuilletonist einmal umschrieb, zu Leibe rückte.
Freilich wurden einige problematische Aspekte des Lutherischen Wirkens durch diese monumentale Leistung zu lange aus dem Blick der Öffentlichkeit gerückt – bspw. seine antijudaistischen Vorstellungen oder deren Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten. Aber auch hier ist man in Eisenach in den vergangenen Jahren wichtige Schritte gegangen und hat mit der Sonderausstellung „Erforschung und Beseitigung.“ im örtlichen Lutherhaus die Geschichte des berüchtigten kirchlichen Eisenacher „ Entjudungsinstitutes “ aufgearbeitet, dem in der NS-Zeit die Aufgabe zufiel, die Bibel „judenrein“ zu machen.
All die angesprochenen Aspekte gehören zur historischen Gestalt „Luther“ in ihrer Widersprüchlichkeit.
Für einen, der sich über ein Vierteljahrhundert für eine differenzierte Präsentation und Erforschung des historischen Erbes in Eisenach und auf der Wartburg stark gemacht hat, wird das diesjährige Jubiläum das letzte als Hauptamtlicher sein. Mit Burghauptmann Günter Schuchardt verabschieden wir nach über einem Vierteljahrhundert Dienst einen Wissenschaftler und umtriebigen Historiker in den wohlverdienten Ruhestand, der sich um Thüringen in besonderer Weise verdient gemacht hat. Für die gestern eröffnete Ausstellung trug er ebenso die Verantwortung wie für unzählige weitere in den Jahren vorher. Es bleibt mir noch einmal herzlich Danke zu sagen und gleichzeitig zu hoffen, dass diese wunderbare Ausstellung alsbald allen Besucherinnen und Besuchern offenstehen kann. Danke aber auch an Ulrike Greim für den Anstoß wenigstens den Posaunenbläsern ein Anspielen der „festen Burg ist unser Gott“ zu ermöglichen und unserer sehr winzigen Spontangemeinde ein gemeinsames Gebet zu ermöglichen. Dafür durfte ich dann den auch nicht eingeplanten Bischof Kramer mit auf den Rundgang nehmen. Sobald Eisenach unter die 100er-Inzidenz gefallen ist, darf die Ausstellung sich präsentieren und dann können endlich alle neugierigen Menschen die Entstehung der deutschen Schriftsprache und des Protestantismus noch einmal Revue passieren lassen. Versprochen!