Corona – ein Zwischenstand im April 2021

Die Ostertage liegen hinter uns und mit ihnen abermals eine sensible Sollbruchstelle für das aktuelle Infektionsgeschehen in Deutschland. Verlässliche Aussagen über die Auswirkungen der Feiertage auf die Neuinfektionskurve werden aufgrund noch ausstehender Nachmeldungen sicherlich erst in einigen Tagen getroffen werden können. Schon jetzt können wir aber feststellen, dass sowohl die Inzidenzwerte als auch die aktuelle Intensivbettenauslastung keinen Grund zur Entwarnung geben. Im Gegenteil. Auch wenn sich nach einem Jahr Pandemie in einigen Bereichen eine Art Gewöhnung, vielleicht auch Abstumpfung, feststellen lässt, dürfen wir nicht nachlässig werden. Das Virus ist immer noch da und es ist immer noch gefährlich – im Bund mit einer Inzidenz jenseits der 120, in Thüringen mit einer Inzidenz an der 200er-Grenze.

Dass in dieser Situation alle möglichen Akteure im politischen Raum mit ihren Ideen und Konzepten vorpreschen, ist dabei ebenso klar wie vorhersehbar. In der aktuellen Debatte wird viel von bundesweit einheitlichen Regelungen und kurzfristig einzuberufenden Ministerpräsidentenkonferenzen (MPK) gesprochen. Für Ersteres – klare Regeln im Bund und nicht einen regionalen und undurchsichtigen Flickenteppich – habe ich bereits bei verschiedenen MPKs geworben. Denn uns muss klar sein, dass Vertrauen nicht durch öffentlichkeitswirksame MPKs generiert wird, sondern durch verlässliche und sinnvolle Leitplanken, die Orientierung geben und möglichst unkompliziert umzusetzen sind.

In Thüringen hat das Kabinett vor Ostern deswegen sowohl einen Orientierungsrahmen als auch einen Stufenplan beschlossen. Beide sollen die Grundlage für die kommenden Verordnungen bilden und allen Bürgerinnen und Bürgern verlässliche Informationen liefern. Gleichsam haben wir bereits vor Monaten mit dem Thüringer Entwurf eines Orientierungsrahmens versucht gemeinsam mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein, die eigene Papiere lieferten, Impulse für die Debatte um Vereinheitlichungen im Bund zu geben – bisher leider nur mit mäßigem Erfolg. Was wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt hingegen nicht gebrauchen können, sind Gerüchte über mögliche Änderungen des Infektionsschutzgesetzes wie sie in den letzten Tagen ventiliert wurden. Mir ist jedenfalls kein derartiges und ausgearbeitetes Planungsvorhaben bekannt und die Verunsicherung wächst nur durch derartig wabernde Hypothesen. Es bräuchte aber sowieso keine langwierigen Gesetzesänderungen unter Bundesratsbeteiligung. Auf dem bestehenden Infektionsschutzgesetz könnte man einen einheitlichen Stufen- und Rahmenplan aufbauen. Was schlicht zu fehlen scheint ist an mancher Stelle der politische Wille. Hätte man handeln wollen, hätte man seit Februar die Möglichkeit hierzu gehabt.

Vertrauen ist in Ausnahmesituationen wie der aktuellen ein hohes Gut. Einerseits setzt es voraus, dass die Bürger sich sicher sein können, dass ihre Mitmenschen sich genauso wie sie an Regeln halten, um einander zu schützen. Andererseits benötigt Vertrauen politische Entscheidungsträger, die abwägend und besonnen Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen unter Berücksichtigung aller zu einem Zeitpunkt vorhandenen Informationen treffen.

In letzterem Kontext zumindest kann ich sagen, dass wir in diesem einen Jahr COVID19 eine immens steile Lernkurve durchgemacht haben. Wir haben es geschafft, solidarisch Abstand zu halten, Masken zu tragen, technische Konzepte zu entwickeln, um Virenlasten (bspw. in Schulen durch neue HEPA-Luftfiltersysteme) zu reduzieren und einen Impfstoff zu erfinden, der uns mittelfristig verlässlich Schutz bieten wird. Besonders bei der Zulassung und Freigabe neuer Technologien müssen wir allerdings noch besser werden. Hier dürfen wir nicht hinterherhinken.

Eine Lehre aus den vergangenen Monaten muss aber ebenfalls sein, dass Regeln – gerade in Zeiten von hohen Inzidenzwerten – verlässlich, überschaubar und im besten Falle soweit als möglich bundesweit einheitlich sein müssen. Das gibt Unternehmern, Arbeitnehmern, Pflegern und vielen anderen Planungssicherheit. Sie schafft wiederum Vertrauen. Deshalb werde ich weiter für diesen Weg streiten, an dem, so denke ich, kurzfristig kaum ein Weg vorbeiführen kann.

Doch ein bundeseinheitlicher Stufenplan allein reicht nicht aus. Wir müssen ihn kombinieren mit TINA – Testen, Impfen, Nachverfolgen, AHA+L-Regeln. Was heißt das im Konkreten?

Testen gibt uns die Sicherheit, feststellen, ob wir zu einem bestimmten Zeitpunkt infiziert – also positiv oder negativ – sind. Hier arbeiten wir mit Hochdruck am Aufbau weiterer Testkapazitäten und Möglichkeiten zur schnelleren Testauswertung, damit das Testen – solange es notwendig ist – ein ganz regulärer Bestandteil eines jeden Einkaufes etc. sein kann, der keine Zeit raubt und schnell problemlos erledigt werden kann. Teil einer umfassenden Teststrategie müssen die sog. Lolli-Tests in Kindergärten ebenso sein, wie das systematische und vor allem regelmäßige Testen in Betrieben. Dort, wo Menschen längere Zeit aufeinandertreffen, müssen sie sich darauf verlassen können, in einer möglichst virenfreien Umgebung zu sein.

Impfen wiederum ist unser hoffnungsvollstes und wirksamstes Instrument im Wettlauf gegen das Virus. Nur indem wir durch möglichst rasches Durchimpfen eine Herdenimmunität resp. Grundimmunisierung herstellen, können wir die Verbreitung des Virus wirklich hocheffektiv eindämmen und viele Menschenleben retten. Dabei kommen wir nicht umhin möglichst schnell eine große Menge an Vakzinen so zur Verfügung stellen zu können, dass wirklich jedem Bürger ein Impfangebot gemacht werden kann. Hierbei dürfen auch keine kleinlichen Befindlichkeiten eine Rolle spielen, wie wir es bisweilen bei der Frage um die Zulassung des russischen Impfstoffes Sputnik V erlebt haben. Jeder wirksame Impfstoff muss uns willkommen sein. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass sich nunmehr abzeichnet, dass der Sputnik V-Impfstoff seinen Weg nach Deutschland finden wird. Hierfür habe ich in den vergangenen Tagen und Wochen deutlich geworben.

Der Nachverfolgung von Infektions- und Risikokontakten kommt eine immense Bedeutung zu, weil sie es ermöglicht, bei einmal ausgebrochenen Infektionen schnell potenzielle Infektionsherde (Cluster) zu lokalisieren, die betroffenen Personen zu informieren und zu isolieren. So können Infektionsketten unterbrochen und die Infiziertenzahl möglichst niedrig gehalten werden. Auch hier ist in den vergangenen Monaten eine riesige Lernkurve durchschritten worden als deren Ergebnis wir mit der Corona-Warn-App eine digitale Lösung vorweisen können, die allerdings noch weiterer Feinjustierungen bedarf. Sie muss so erweitert werden, dass nicht nur aktuelle Testergebnisse und Impfzertifikate eingepflegt, sondern auch Kontaktnachverfolgungen für jeden Bürger garantiert werden können. Das setzt aber eine flächendeckende Anwendung der e-Health-Software Sormas und den entsprechenden Schnittstellen in allen Gesundheitsämtern voraus. Nur eine technische und administrative Kraftanstrengung kann hier schnell Abhilfe schaffen.

Schließlich gehören zu TINA auch die von uns so verinnerlichten AHA+Lüften-Regeln, die wir brauchen werden, bis eine Grundimmunisierung verlässlich hergestellt ist und sich das Virus und seine Mutanten noch flexibel und aggressiv verbreiten können.

TINA und ein bundeseinheitliches Vorgehen über einen verbindlichen Stufenplan (, der freilich an der einen oder anderen Stelle offen für regionale Besonderheiten und Problemlagen bleiben muss), werden uns durch die nächsten noch anstrengenden Wochen begleiten.
Am Ende dürfen wir allerdings nicht dem Trugschluss aufsitzen, nach der heißen Phase mit COVID19 könnten wir einfach zur Tagesordnung zurückkehren. Das Gegenteil ist der Fall. Zoonosen – also vom Tier auf den Menschen übertragbare Krankheiten – werden uns auch in Zukunft begleiten. Sie sind der Preis für eine Form der Mobilität im 21. Jahrhundert, die viele Vorteile mit sich bringt, deren Nachteile wir aber nicht verdrängen dürfen. Nur, wenn wir die Erfahrungen, die wir in der COVID19-Pandemie sammeln, auch in dauerhaften Konzepten, Forschungseinrichtungen und Politikansätzen verstetigen, werden wir für zukünftige Herausforderungen gewappnet sein. Das ist eine globale Aufgabe.

In Deutschland hat die Pandemie viele der Missstände, die schon seit Jahren bekannt sind, noch greller hervortreten lassen. Wenn wir nicht endlich damit beginnen, die fatale Privatisierung von Krankenhäusern zu stoppen und die gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung von Pflegeberufen zu stärken, werden wir auch in zukünftigen Pandemiesituationen wieder bei Null beginnen. Beginnen muss all dies aber mit einer fairen und ehrlichen Verteilung der Krisenkosten. Nicht all diejenigen, die durch Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit besonders leiden, dürfen am Ende der Geschichte diejenigen sein, die die Kosten tragen