Ein Tag auf dem Petersberg

Der Erfurter Petersberg ist einer dieser Orte, die das Leben von Generationen von Menschen prägen. Jahre und Jahrzehnte vergehen, politische Systeme ändern sich, Bauwerke werden errichtet und verfallen, aber der Berg als geographische Konstante bleibt.

Mich begleitet der Petersberg nun schon über dreißig Jahre und viele wichtige, persönliche Erinnerungen sind mit ihm verknüpft. Meine erste Begegnung mit dem Ort, an dem zunächst eine Kapelle und ein Kloster und schließlich eine mächtige Zitadelle erbaut wurden, hatte ich bereits kurz nach meiner Ankunft in Thüringen im Jahr 1990. Damals waren noch die Fahrzeuge der Bereitschaftspolizei am Fuße des Berges stationiert und kaum ein Erfurter traute sich hinauf. Ich als Ortsfremder schlenderte natürlich unwissend umher und genoss die wunderbare Aussicht.

Einige Zeit später wurde der Petersberg zum Schauplatz eines der großen Erinnerungskämpfe der 1990er-Jahre. Während des Zweiten Weltkrieges befand sich in der ehemaligen Festung ein Kriegsgericht der Wehrmacht, das u.a. auch Desserteure – also „Fahnenflüchtige“ – zum Tode verurteilt hatte und an Ort und Stelle hinrichten ließ. Diese Soldaten, die für sich entschieden hatten, nicht mehr Teil eines verbrecherischen Vernichtungskrieges sein zu wollen, wurden nicht nur von den Faschisten, sondern auch noch viele Jahre und Jahrzehnte in der Bundesrepublik als „Feiglinge“ oder „Verräter ihrer Kameraden“ diffamiert. Ihr bleibendes Verdienst, durch ihre Verweigerung einen Beitrag zur Befreiung vom Faschismus geleistet zu haben, wurde nicht anerkannt, die Urteile der NS-Justiz als rechtmäßig empfunden. Erst im Jahr 2002 hob der Bundestag die Urteile der „furchtbaren Juristen“ (Ingo Müller) auf.

Umso wichtiger war es, dass sich schon in den frühen 1990er-Jahre in Erfurt eine Gruppe von engagierten Menschen fand, die den Ermordeten ein Denkmal am Ort ihrer Hinrichtung setzten wollten. Ich war Teil dieser Initiative, die nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit den lokalen Gremien und Behörden aus eigener Kraft über 100.000 Mark gesammelt hatte und schließlich gegen erhebliche Widerstände am 01.09.1995 das „Denkmal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur und für die Opfer der NS-Militärjustiz“ auf dem Petersberg einweihen konnte. Dieser Tag hat sich auf immer in mein Gedächtnis eingebrannt.

Vier Jahre später gab ich kurz nachdem ich das erste Mal als Abgeordneter für die PDS in den Thüringer Landtag gewählt wurde, mein erstes Interview auf dem Petersberg.

Es ist dieses Gefühl der Verbundenheit mit dem Berg und seiner langen, wechselvollen Geschichte, das ich heute wieder empfand als ich bei mehreren Terminen auf dem „Dach Erfurts“ unterwegs war. Ich konnte besichtigen, wie hunderte Arbeiter mit ganzer Kraft daran arbeiten, dass in genau 133 Tagen die BUGA mit ihren zahlreichen Attraktionen auch auf dem Petersberg ihre Tore öffnen kann. Wenn wir zusammenfassen, dass über 47 Millionen Euro städtischerseits und 5 Millionen Euro landesseitig für die Petersbergkirche geflossen sind, wird bereits deutlich, von welch zentraler Bedeutung diese Stadtkrone für die BUGA, aber auch weit über sie hinaus ist. Eingepreist ist dabei noch nicht einmal das große Projekt „Andreasgarten“ der Malteser, die Sanierung des Alten Heizwerkes oder die immensen Mittel, die wir für die Defensionskaserne mobilisiert haben. Das, was der Petersberg schon immer für Erfurt war, wird er damit noch einmal auf einer ganz neuen Ebene– ein geographischer, aber auch kultureller Leuchtturm, auf dem sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in aller Widersprüchlichkeit verdichten.

Der Nachmittag wurde schließlich von einem ganz besonderen Ereignis gekrönt. In einem früheren Tagebucheintrag hatte ich bereits von dem israelischen Künstler Nihat Dabeet und seinem Paradiesbaum berichtet, den er in mühevoller Kleinstarbeit auf dem Petersberg aufgebaut hat. Allein die Tatsache, dass dieses wundervolle Kunstwerk seinen Weg auf die Höhen über Erfurt gefunden hat, ist ein großes Glück. Dass ich allerdings nun auch noch einen eigenen Miniatur-Paradiesbaum von Nihat überreicht bekam, hat mich tief berührt. Er selbst konnte wegen COVID19 nicht anwesend sein, wurde aber via Videokonferenz aus Ramle zu uns auf den Berg geschaltet.

Es sind Tage wie der heutige, die mich dankbar auf dreißig Jahre Thüringen zurückblicken lassen, gleichzeitig aber auch immer in die Zukunft weisen. Nach einem solchen Tag bleibt mir nur der Satz des in unseren Breiten wahrscheinlich eher unbekannten Bergsteigers Anatoli Bukrejew, der einmal auf seine Leidenschaft angesprochen so bezeichnend wie lyrisch antwortete:

„Erst wenn ich wieder absteige, spüre ich das Gewicht der Welt auf mir.“