Vom Preis der Globalisierung in Zeiten von Corona (COVID 19)

Wir leben spätestens seit dem 19. Jahrhundert in einer Phase einer immer stärkeren globalen Vernetzung. Als „Verwandlung der Welt“ hat der Historiker Jürgen Osterhammel diese Epoche einmal bezeichnet. Er begriff diese Verwandlung niemals als abgeschlossener Vorgang, sondern als bis in die heutige Zeit voranschreitender Prozess. Diese globale Vernetzung hat uns allen (zumindest hier in der Bundesrepublik) viele Vorteile beschert. Wir profitieren enorm von der faktisch ganzjährigen Verfügbarkeit von Lebensmitteln, die in unseren Breitengrad nicht wachsen. Wir können innerhalb weniger Stunden von Frankfurt am Main ans andere Ende der Welt fliegen – non-stop, bei guter Verpflegung. Messengerdienste ermöglichen es uns, unsere Lieben über Ländergrenzen hinweg tagtäglich, zu jeder Tages- und Nachtzeit zu sehen. Die Welt ist so eng zusammengerückt, dass viele bereits von ihr als einem „global village“ – einem globalen Dorf – sprechen.

Die aktuelle Lage zeigt uns jedoch, wie zwiespältig der Prozess der Globalisierung sein kann. Denn die globale Mobilität, die uns schöne Reisen, einen schnellen Güter-, Daten- und Menschenverkehr beschert, hat erheblich dazu beigetragen, dass sich das Corona (COVID 19)-Virus so rasant schnell über den ganzen Globus verbreiten konnte. Wer hätte geglaubt, dass sich eine Infektion auf einem Fischmarkt in Wuhan im Dezember 2019 kaum zwei Monate später zu einer Pandemie entwickeln könnte, die in Italien und anderswo die Gesundheitssysteme an den Rande des Kollaps bringen  würde? Ein Blick in die Geschichte zeigt: man hätte es wissen können und ja, auch müssen. Schon die „Spanische Grippe“ zwischen 1918 und 1920 forderte über 50 Millionen Menschenleben, von den Pest- und Cholerapandemien früherer Jahrhunderte ganz zu schweigen.

Wir müssen uns des Preises bewusst werden, den wir für die Globalisierung zu zahlen haben. Und wir kommen nicht umhin, uns ungemütliche Fragen zu stellen: Wenn wir die Datenströme, die heute um den Globus jagen, immer besser und effizienter gegen Viren schützen können, warum gelingt uns das nicht beim Menschen? Müsste es nicht die größte und wichtigste Aufgabe sein, Menschen vor Viren zu schützen, die Leben kosten können? Ich bin fest davon überzeugt, dass Letzteres das oberste Ziel von Politik sein muss. Wir als Politikerinnen und Politiker stehen in der Verantwortung, nicht nur die Chancen der Globalisierung zu feiern, sondern ebenso die negativen Folgen zu bedenken und auch passende Konzepte zu ihrer Bewältigung zu entwickeln. COVID 19 ist dafür ein Prüfstein. Nach der Überwindung der Krise werden wir aufgerufen sein, die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Dem verbalen Dank an die Beschäftigten im Gesundheitsdienst, im Einzelhandel oder in der Pflege muss jetzt auch die praktische Tat folgen. Und das heißt, dem Gesundheitswesen die notwendigen öffentlichen Mittel zur Verfügung zu stellen und nicht länger zu glauben, Gesundheit sei eine Ware. Und es heißt, sich dafür einzusetzen, dass alle in diesem Land endlich fair entlohnt werden und nicht am Ende des Monats noch aufstocken müssen. Unsere Solidarität muss über die Krise hinausgehen. Und ja, wir werden auch in der Verwaltung Lehren aus dieser Krise ziehen, ziehen müssen.

Gleichzeitig führt uns die aktuelle Lage noch einmal deutlich vor Augen, wie wichtig es ist, dass wir regionales Produktionsgewerbe in Thüringen haben, das jetzt mithilft, industriell hochwertige Schutzausrüstung zu fertigen. Geiz ist eben nicht immer geil! Auch in Zeiten rasanter ökonomischer  Globalisierung brauchen wir regionale und gut vernetzte Unternehmen, die in Notfallsituationen schnell auch regional helfen können und gut miteinander vernetzt sind.

Alle, die vor kurzer Zeit noch behaupteten, Corona (COVID 19) sei nicht schlimmer als eine Grippe, sind mittlerweile (hoffentlich) eines Besseren belehrt worden. Corona (COVID 19) ist gefährlich. Das müssen wir klar aussprechen. Wir haben es mit einer Pandemie zu tun, mit einer Krankheit, für die es bis zum heutigen Tag keine wirksame Impfung oder Medikation gibt. Die bislang verfügbaren Testverfahren sind lange noch nicht ausreichend genau und auch die Maßnahmen, die die Thüringer Landesregierung ergriffen hat, brauchen noch Zeit um ihre volle Wirksamkeit zu entfalten. Wir befinden uns nach wie vor in der rein mechanischen Phase der Ansteckungsverhinderung, die wir erst dann wirklich werden verlassen können, wenn die Wissenschaft effektivere Mittel gefunden hat.

Deshalb meine Bitte an Sie alle, gerade vor dem anstehenden Osterfest: Halten Sie Abstand! In diesen Tagen ist das Abstandhalten – auch zu engen Freundinnen, Freunden und Familienmitgliedern – ein Beweis von Verantwortungsbewusstsein. Ich weiß genau, wie sehr man sich freut, wenn man bei großen Familienfesten die Omas und Opas in die Arme schließt und ihnen so zeigt, wie sehr man sie schätzt. Sehen wir heute davon ab, um sich nach Corona (COVID 19) umso herzlicher umarmen zu können. Ich bitte Sie außerdem: Befolgen Sie die Regeln. Die besten Verordnungen sind immer nur so gut, wie die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger sich an sie zu halten. Und zu guter Letzt: Bitte bleiben Sie gesund!