Bewegte Zeiten
Am 15. Februar feierte ich den 85. Geburtstag von Lucas Maria Böhmer in Hamburg und um Null Uhr kam ich auf die Hamburger Sturmflut zu sprechen, die sich an diesem Tag genau vor 58 Jahren ereignet hatte. Ich erinnere mich so gut an diesen Tag, weil dieser 16. Februar 1962 mein 6. Geburtstag war und ich den Orkan zwischen Bremen und Hamburg live mit erlebt habe.Aber als geborener Niedersachse gelte auch ich als sturmfest und erdverwachsen, wie es so schön in der ersten Strophe des sog. Niedersachsenliedes niedergeschrieben ist. Und diese Eigenschaften braucht es gerade in bewegten Zeiten. Und die Zeiten sind bewegt, in vielerlei Hinsicht.
Da ist der furchtbare Terrorakt eines Rassisten in Hanau, dem es ganz offensichtlich darum ging, Menschen, die nach seiner Ansicht, gefährlich für Deutsche sind, hinzurichten.
Wer die Gesichter der jungen Menschen gesehen hat, wer ihre Geschichten gelesen hat und ihre Biografien, der weiß, dass diese nun mitten aus dem Leben gerissen wurden. Und nein, diese Taten kommen nicht aus dem Nichts und sind nicht nur Taten geistig Verwirrter. Es gibt geistige Brandstifter und es gibt eine gesellschaftliche Lage, die solche Taten fördern und begünstigen. Da sind die Hetzer jener Partei, dessen Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag man gerichtlich bestätigt einen Faschist nennen darf und viele weitere, die immer wieder gegen eine vielfältige, bunte und demokratische Gesellschaft anreden, denen jede Minderheit ein Dorn im Auge ist und denen es gerade nicht um Pluralismus geht. Sogenannte Ausländer gehören in ihren Augen nicht nach Deutschland, ja selbst die Tat von Hanau wird durch diese Partei auf übelste Weise instrumentalisiert und benutzt. Und natürlich müssen wir auch darüber reden, warum Menschen, die hier geboren wurden und aufgewachsen sind, sich immer noch als Fremde fühlen, ja fühlen müssen, weil sie immer wieder Diskriminierungen erleben und erleiden müssen, weil ihre Bewerbung aussortiert wird, wenn auf dem Absender Murat statt Stefan steht. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten.
Und auch in Thüringen sind es bewegte Zeiten. Gerade seit dem 5. Februar überschlagen sich die Ereignisse.
Aber noch einmal kurz zurück nach Hamburg, denn ich habe dort nicht nur Geburtstag gefeiert, ich habe auch die Spitzenkandidatin meiner Partei für die Bürgerschaftswahl, Cansu Özdemir, im Wahlkampf unterstützt. Gemeinsam haben wir die „Honigfabrik“ besucht, einen alten Gewerbestandort im Zentrum von Hamburg, in dem sich junge Menschen treffen, um ihre Kreativität ausleben und sich auch fortbilden zu können. Ein toller Ort ist entstanden, offen für die jungen Leute im Viertel und Resultat des Engagements vieler Menschen im Umkreis. DIE LINKE in Hamburg steht dafür, solche Zentren noch mehr zu fördern, gerade auch in Gegenden, in denen es hohe Arbeitslosigkeit gibt. Ich bin sicher, dass die Arbeit meiner Partei in Hamburg auch von den Menschen bei der Bürgerschaftswahl mit einem guten Ergebnis honoriert wird.
In Thüringen dagegen geht es immer noch hoch her. Meine Haltung ist und war dabei klar. Es geht um das Land. Viel zu viele Themen werden im Moment nicht bearbeitet. Das Bundesland Thüringen wird im Bundesrat nicht vertreten, die Kalikumpel sind in Sorge um die Situation im Werrarevier, bei vielen Debatten fehlt die Stimme Thüringens, die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern ist in Gefahr. Eine solche Situation können und dürfen wir uns nicht leisten.
Deswegen habe ich zu Beginn dieser Woche den Vorschlag unterbreitet, Christine Lieberknecht für eine kurze Zeit des Übergangs bis zu Neuwahlen als Ministerpräsidentin zu wählen und dann rasch einen neuen Landtag zu wählen. Im Ergebnis scheiterte dieser Vorschlag. Die CDU konnte sich nicht zu einer raschen Neuwahl durchringen. Ich will das gar nicht bewerten, ich nehme zur Kenntnis, dass die CDU in Thüringen im Moment sehr damit beschäftigt ist, sich selbst neu aufzustellen und zu finden. Der Fraktions- und Landesvorsitzende Mike Mohring hat seinen Rückzug angekündigt. Da hat wohl niemand Interesse, jetzt in Neuwahlen zu gehen.
Ich habe ja auch betont, dass es ein paar Dinge zu regeln gilt, bevor wir Neuwahlen durchführen können. Vor allem das Paritätsgesetz ist da ein Thema. Rot-rot-grün hat in der vergangenen Legislaturperiode ein Gesetz beschlossen, dass künftig alle Parteien verpflichtet ihre Landeslisten paritätisch aufzustellen und so den Anteil der Frauen im Parlament deutlich zu erhöhen. Dieses Gesetz wird von der AfD vor dem Verfassungsgericht beklagt. Insofern habe ich in vielen Interviews davor gewarnt, dass wir Gefahr laufen, Neuwahlen durchzuführen, die danach vom Verfassungsgericht für nichtig erklärt werden, weil das zugrunde liegende Wahlrecht verfassungswidrig war. Eine solche Situation wäre fatal.
Und ja, es gibt auch gute Argumente vor einer Neuwahl noch gemeinsam den Landeshaushalt für 2021 auf den Weg zu bringen und im Landtag gemeinsam zu beschließen, damit wir nicht in die Situation geraten, die Handlungsunfähigkeit der Landesverwaltung zu riskieren.
Das war die Ausgangslage der Gespräche von DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und CDU. Ich bin froh, dass es gemeinsam gelungen ist, nicht nur einen Fahrplan zur Wahl des Ministerpräsidenten am 4. März durch den Landtag zu vereinbaren, damit dieser ein Kabinett bilden kann, dass die Regierung wieder handlungsfähig macht, sondern dass wir auch konkret vereinbart haben, welche inhaltlichen Fragen wir gemeinsam zwischen den vier Parteien bis zur Landtagswahl klären wollen. Das sind wichtige Themen für unser Land: kommunales Investitionsprogramm, ein Programm für die Entwicklung des ländlichen Raumes, einen Schulfrieden aber auch eine stärkere Förderung der Aufarbeitung der DDR-Geschichte und eben nicht zuletzt den Haushalt für 2021. Dann können wir auch in die Landtagswahl am 25. April 2021 gehen, bei der ich für eine klare Mehrheit für rot-rot-grün werben werde.
Also weit mehr als ein Formelkompromiss. Eine inhaltliche Basis, auf der wir gemeinsam arbeiten können. Ich danke den Parteien von rot-rot-grün aber auch der CDU, dass sie diese Vereinbarung getroffen haben, auch, wenn ich weiß, dass das durchaus nicht einfach war. Und wir haben das vereinbart, ohne, dass irgendeine Partei wie auch immer geartete Parteibeschlüsse missachten müssen, auch nicht im Hinblick auf die Wahl des Ministerpräsidenten, bei der mich die Abgeordneten meiner Partei sowie der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen erneut als Kandidaten vorschlagen werden.
Ich gehe davon aus, dass mich eine Mehrheit der Abgeordneten des Thüringer Landtags am 4. März bei meiner Kandidatur unterstützen wird, im Interesse unseres Landes.
Deswegen bin ich auch sehr gelassen in Bezug auf das Getöse in Berlin. Dass der Kalte Krieg endlich zu beenden ist, dass wird auch dort hoffentlich bald begriffen. Seit Hanau sollte auch dem Letzten klar sein, worum es in Deutschland geht. Es geht nun darum, unsere Demokratie zu verteidigen und das geht nur, wenn Demokratinnen und Demokraten auch zusammenstehen und zwar über Parteigrenzen hinweg.
Und abschließend auch noch mal für Herrn Paul Ziemiak: „Es wurden gestern keine Vereinbarungen getroffen, die den CDU Parteibeschlüssen widersprechen. Auch nicht in Bezug auf die MP Wahl! Aber ich gehe davon aus im ersten Wahlgang mit einer Mehrheit (46 Stimmen) durch Abgeordnete der demokratischen Fraktionen gewählt zu werden.“
Und mein Credo lautet auch weiterhin:
Erst das Land,
dann die Partei,
dann die Person!
(Bernhard Vogel)