Was für ein Vertrauen

Alle zwei Jahre treffen sich die evangelischen Christinnen und Christen aus ganz Deutschland und feiern gemeinsam den Deutschen Evangelischen Kirchentag. Diese Tage sind aber nicht nur ein Ereignis der religiösen Begegnung oder des Austauschs zu religiösen Themen, sondern ein großer Marktplatz von Menschen, die sich begegnen und die seltene Chance haben, mehrere Tage zu ganz unterschiedlichen Themen zu diskutieren, Veranstaltungen zu besuchen, an Bibeltexten zu arbeiten oder Kultur zu erleben.

Auch in diesem Jahr füllt das Programm wieder ein dickes Buch und das die Vielfalt der Themen erstaunt mich immer wieder. Der Kirchentag ist eben jedes Mal aufs Neue ein lebendiger Ort der Debatte und des Dialogs. Nun beschweren sich ausgerechnet jene, die sich noch nicht einmal scheuen, die Evangelische Kirche des 21. Jahrhunderts in die Nähe der Kirche zu rücken, die sehr eng mit dem NS-Regime verbunden war, dass sie keine Einladung auf die Podien des Kirchentags erhalten haben. Ich kann die Entscheidung meiner Kirche gut nachvollziehen. Geht es nach der AfD, darf sich Kirche mit gesellschaftlichen Fragestellungen nicht befassen. „Verweltlicht und politisiert“ seien die Kirchen heute, um danach darauf hinzuweisen, dass es Aufgabe der Kirchen sei, „etwa bei den Themen Gender, Frühsexualisierung und Familie jenseits des Mainstreams mehr Mut und Geist zu beweisen“. Ich ahne, was die AfD darunter versteht.

„Was für ein Vertrauen“ lautet das Motto des diesjährigen Kirchentags. Hans Leyendecker führt so zu dem Motto hin:

„Was für ein Vertrauen“ ist deshalb eine Losung, die möglicherweise zunächst auch irritieren und zum Nachdenken Anlass geben kann: Sind die vom Kirchentag möglicherweise zu vertrauensselig? Soll man jetzt wirklich all den Institutionen trauen? Der Politik? Den Gewerkschaften? Vielleicht sogar den Banken, den Finanzorganisationen und ihren Protagonisten? Kann man Kirchen vertrauen? Vertrauen ist ein kostbares, aber auch leicht verletzliches Gut.

Nicht nur seit Trump gibt es ein Gefühl der großen Verunsicherung. Junge Leute haben oft kein Vertrauen in ihre Zukunft mehr, die Alten misstrauen den Eliten. Alle gemeinsam erleben immer wieder eine Welt, die von atemraubender Machtgier, von Rücksichtslosigkeit geprägt ist.

Europaverächter, Feinde von Menschenrechten verriegeln die Grenzen. Auf die Schwachen, die Armen wird oft keine Rücksicht genommen. Wer arm ist, ist angeblich selbst daran schuld. Lobbyisten versuchen, die Märkte zu beherrschen. Ihr Einfluss steht oft genug im Gegensatz zu unserer Ordnung, in der Privilegien abgeschafft sein sollen, aber immer noch da sind.

Der Turbokapitalismus ist zerstörerisch. Desinformation, Fake News, Halbwahrheiten – es gibt vieles, das wie eine Säure wirkt, die das Vertrauen in den Zusammenhalt der Gesellschaft zerstört. Auch ich habe, das muss ich einräumen, meine Schwierigkeit bei dem Vertrauen in Leute, die gern und oft von christlichen Werten reden und stumm zusehen, wie Flüchtlinge im Meer ertrinken oder in Lager gesperrt werden, in denen Warlords Männer erschießen und Frauen vergewaltigen. Christen müssen schreiendes Unrecht, schreiende Ungerechtigkeit in der Welt anprangern und aus der Empörung kann dann auch Ermutigung wachsen. Kirchentage gründeten immer in der Überzeugung, dass Christsein und politische Überzeugung zusammengehören.“

Damit bringt er es gut auf den Punkt. Kirche muss sich eben einmischen in gesellschaftliche Debatten, natürlich mit einer eigenen, christlich begründeten Position aber sie sollte nie „vertrauensselig“ wegsehen. Dann würde sie ihrer Rolle und Funktion nicht gerecht. Fragen des sozialen Zusammenhalts, der Menschlichkeit und Toleranz, das sind für alle Christinnen und Christen wichtige Themen.

Bei meinem Besuch auf dem Kirchentag gestern und heute hatte ich eine Vielzahl von Begegnungen und Gesprächen und natürlich habe ich auch viele Besucherinnen und Besucher aus Thüringen getroffen.

Bei einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Publik-Forum zum Thema „Marktkonforme Demokratie oder demokratische Gesellschaft“ ging es sehr konkret um die Losung des Kirchentags. Haben wir einen Verlust an Vertrauen in unsere Demokratie und wenn ja, wie ist dieser begründet und viel wichtiger: Wie können wir diesem Vertrauensverlust entgegensteuern. Eine spannende Debatte, die uns schnell wieder dazu führte, dass wir die Frage nach dem Sozialstaat im 21. Jahrhundert neu beantworten müssen und die Frage der Gestaltung eines modernen Sozialstaates entscheidend dafür sein wird, auch die demokratische Gesellschaft insgesamt zu stärken. Und daneben geht es um die Frage, wie wir mehr Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an Entscheidungsprozessen in unserer Gesellschaft erhöhen und stärken.

Das sind die gesellschaftlichen Fragestellung aber daneben habe ich den Kirchentag genutzt, um auch „innerkirchliche“ Themen anzusprechen. Da gibt es aus meiner Sicht drei Themen, zu denen wir die Debatte brauchen:

  1. Wir brauchen eine Diskussion zum kirchlichen Arbeitsrecht. Ich halte den sogenannten dritten Weg für dringend überarbeitungsbedürftig. Erst vor kurzem gab es ein vielbeachtetes Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Fall eines wiederverheirateten katholischen Chefarztes. Ich denke, es wäre gut, wenn wir die Abgrenzung zwischen Verkündigung und wirtschaftlicher Tätigkeit sauber definieren würden.
  2. Im Jahr des 100. Jubiläums der Weimarer Reichsverfassung bleibt der Auftrag der Ablösung der Staatsleistungen eine offene Aufgabe zwischen Staat und Kirchen.
  3. Ich bin für eine Debatte zur Weiterentwicklung der Kirchensteuer zu einer Kultus-Steuer zu entwickeln, bei der die Steuerzahler selbst entscheiden, wem ihre Steuer zugute kommt. Das könnten, um die Bandbreite mal aufzuzeigen, die verfasste Amtskirche sein oder Freikirchen, Synagogengemeinden, Moscheevereine ebenso wie Freidenker oder der Humanistische Verband.

Insofern fahre ich mit vielen Eindrücken vom Kirchentag zurück nach Thüringen und das mit sehr viel Vertrauen.