Voneinander lernen

Der letzte Tag in Hanoi bricht an. Bevor es am Nachmittag nach Ho Chi Minh Stadt geht, stehen hier aber noch einige Stationen an.

Am Morgen besuche ich das Mausoleum von Ho Chi Minh, um dem Gründer der Demokratischen Republik Vietnam und ersten Präsidenten meine Ehre zu erweisen. Für viele Menschen in Ost und West meiner Generation war er ein Symbol des Kampfes gegen Fremdherrschaft und Aggression und für den nationalen Befreiungskampf und die Unabhängigkeit Vietnams. Nicht nur auf den vielen Demonstrationen gegen den US-Krieg, nein auch in vielen Wohngemeinschaften in Westdeutschland war sein Bild präsent und wer kennt nicht den Ruf: Ho-Ho-Ho-Chi-Minh. Uns mag die Form der Ehrung mit einem Mausoleum fremd erscheinen aber unübersehbar ist, dass viele Menschen ihn hier sehr schätzen. Nach der Kranzniederlegung haben wir noch die Gelegenheit für einen kurzen Besuch des Ho-Chi-Minh-Museums und bekommen einen Einblick in sein Leben.

Höhepunkt des heutigen Tages ist mein Besuch an der Parteihochschule der Kommunistischen Partei Vietnam, an der das Hanoier Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Seminar zum Thema „Die Rolle linker Parteien in Thüringen beim sozioökonomischen Veränderungsprozess nach 1989“ durchführt. Mein Eindruck ist, dass die KP ein starkes Interesse hat, die Wandlungsprozesse in Osteuropa zu verstehen. Für mich wiederum ist klar, dass wir nur gut zusammenarbeiten können, wenn wir einander besser verstehen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeiten, ohne uns zu bevormunden.

Zwischen Deutschland und Vietnam gibt es eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die aber natürlich auch starke Unterschiede haben. Beide Länder mussten einen Wiedervereinigungsprozess gestalten, denn auch Vietnam wurde nach dem Ende des Krieges 1975 wiedervereinigt. Nord und Süd. Beide Länder mussten nach Kriegen große Aufbauleistungen vollbringen, wobei natürlich nicht vergessen werden darf, dass Deutschland zweimal zwei furchtbare Kriege vom Zaun gebrochen hat, während Vietnam Opfer von Krieg und Aggressionen war. Und auch die Unterschiede sind klar: Vietnam ist ein Einparteienstaat und die Freiheit der Meinung, die Freiheit der Presse ist zwar in der Verfassung garantiert, wird in der Praxis aber eben nicht gesichert.

Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie, in der die Grundrechte die entscheidende Basis unserer Gesellschaft sind, was aber eben auch heißt, diese immer wieder zu verteidigen. Aber es wäre töricht, nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass die KP den Dialog sucht. Das wird auch im Rahmen dieses Seminars deutlich. Ich werbe für unsere Staatsform und gerade in Ostdeutschland fußt sie auf der friedlichen Revolution durch die Menschen, die eben nicht mehr ein System akzeptieren wollten, in der die Partei alles und der Einzelne oft sehr wenig war. Aber damit verbunden waren eben auch dramatische Veränderungsprozesse, die noch heute viele Menschen prägen.

Da waren die ökonomischen Wandlungsprozesse. Viele Unternehmen im Osten, gerade auch in Thüringen, hatten nach der Wende keine Chance, teilweise, weil ihre Produktion nicht wettbewerbsfähig war, aber teilweise auch, weil sie als unliebsame Konkurrenz ausgeschaltet wurden, etwa beim Kaliwerk Bischofferode. Es gab eine sehr hohe Arbeitslosigkeit. In Thüringen lag sie Mitte der Neunziger Jahre bei fast 20%. Gleichzeitig waren die Menschen aus der DDR sehr gut ausgebildet und sie hatten gelernt, Veränderungen auch für sich anzunehmen. Daraus ist in Thüringen ein Land entstanden, in dem heute 63 Weltmarktführer zu Hause sind, in dem die Arbeitslosigkeit bei nur noch etwas über 5% liegt und dessen vor allem klein- und mittelständische Industrie eine sehr hohe Dynamik entwickelt hat. Aber diese Prozesse waren eben auch mit vielen Verletzungen verbunden, offenen und unterschwelligen.

Viele Menschen im Osten fühlten sich nicht mitgenommen auf dem Weg in das gemeinsame Deutschland, sondern eher überrollt von den Prozessen. Über all das kann ich hier reden und die anwesenden Dozenten hören sehr aufmerksam zu. Zu diesem Prozess gehört auch die Wandlung der SED von einer Staatspartei zur PDS einer Oppositionspartei, die sich im Osten zu einer Partei entwickelte, die sich um die Menschen und deren Sorgen im besten Sinne des Wortes kümmert, die sich aber auch inhaltlich veränderte und sich zu einer demokratisch-sozialistischen Partei entwickelt hat, deren Kernthema die soziale Frage ist, die diese aber immer auch mit demokratischen und ökologischen Themen verbindet. Dreißig Jahre später ist DIE LINKE eine Partei, die in mehreren Bundesländern mitregiert und in Thüringen den Ministerpräsidenten stellt. 

Ich finde gut, dass meine Partei den Dialog mit der KP in Vietnam sucht und pflegt, der nichts damit zu tun hat, einander nach dem Munde zu reden, sondern zur Kenntnis nimmt, dass ohne Dialog kein Wandel kommen wird und dass wir in diesen Gesprächen viel voneinander lernen können.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung selbst macht hier in Vietnam eine Reihe spannender Projekte. Besonders interessant finde ich das Projekt junge Frauen auf Führungspositionen vorzubereiten, vor allem auch in den Bereichen Kommunikation und Rhetorik. Jedes Jahr kann ich eine Gruppe dieser Frauen in Thüringen treffen.

Spannende Besuchstage liegen in Hanoi hinter mir. Manches habe ich nicht erwartet und auch die Unternehmer, die mich begleiten, sind sehr beeindruckt von den Möglichkeiten und Chancen, die Vietnam ihnen bieten kann. Ich bin dabei gern Türöffner für unsere Thüringer Unternehmen und auch bereit, bei Hürden zu helfen diese zu überwinden. Klar ist aber auch: Bei uns entscheiden die Unternehmen eigenständig.

Am Nachmittag starten wir von Hanoi um zwei Stunden später in Ho-Chi-Minh-Stadt zu landen. Schon auf der Fahrt vom Flughafen ins Hotel ist zu sehen und zu spüren, dass diese Stadt längst nicht so beschaulich daher kommt wie Hanoi. Überall entstehen Wolkenkratzer und neue Gebäude und der Verkehr ist wirklich beeindruckend. Am Abend habe ich dann noch eine besondere Begegnung. Das Schiff, auf dem ich unsere Delegation gemeinsam mit dem Generalkonsul empfange, wird von einem Kapitän geführt, der in Gera ausgebildet wurde und zwar zum Werkzeugmacher. Später kehrte er nach Vietnam zurück und betreibt heute mehrere Restaurantschiffe auf dem Saigon River und wurde so zu einem außerordentlich erfolgreichen Unternehmer. Und noch immer spricht er voll Stolz von seiner Zeit in der DDR. Und so fühlen wir uns heute Abend ein ganz klein bisschen wieder wie in Thüringen 🙂