Keine Angst vor Parität

Vor einigen Wochen hat der Landtag von Brandenburg ein „Inklusives Parité-Gesetz“ beschlossen. Das Gesetz verfolgt das Ziel, den Anteil der Frauen im Brandenburger Landtag dem Anteil der Frauen an der Wahlbevölkerung anzugleichen. Einem Frauenanteil von 51% an der Wahlbevölkerung stehen nur 38,9% Frauen im Landtag gegenüber. Künftig soll durch das Wahlrecht eine gleichberechtigte Vertretung von Frauen im Landesparlament gesichert werden.

Erinnern wir uns einen Moment zurück. In diesem Jahr begehen wir den 100. Jahrestag der Weimarer Reichsverfassung. 1919 bekamen Frauen zum ersten Mal in der Geschichte in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht und nach der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung betrug der Frauenanteil mim Parlament knapp 10%. Übrigens ein Frauenanteil, der im Bundestag erst 1983 wieder erreicht wurde. Am 19. Februar 1919 sprach mit der Sozialdemokratin Marie Juchacz erstmals in der deutschen Geschichte eine Frau im Parlament.

Wie führte sie aus?

„Meine Herren und Damen! (Heiterkeit). Es ist das erstemal, daß in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, und zwar ganz objektiv, daß es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat. (Sehr richtig! bei den Soz.) Die Frauen besitzen heute das ihnen zustehende Recht der Staatsbürgerinnen. Gemäß ihrer Weltanschauung konnte und durfte eine vom Volke beauftragte sozialistische Regierung nicht anders handeln, wie sie gehandelt hat. Sie hat getan, was sie tun mußte, als sie bei der Vorbereitung dieser Versammlung die Frauen als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen anerkannte. (Sehr richtig! bei den Soz.)

Ich möchte hier feststellen und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, daß wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist. (Sehr richtig! bei den Soz.)“

Es war der Kampf der Frauen um die ihnen zustehenden Rechte, es war die Novemberrevolution in Deutschland, die den Frauen den ersten Schritt zu Emanzipation und Gleichberechtigung brachten. Und erstmals schrieb Artikel 109 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung fest: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“

Allerdings war das nur ein Anfang eines langen Kampfes zur Herstellung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in unserem Land. Zu dieser Zeit war es Frauen weder möglich, eigenständig Verträge zu unterschreiben, selbstbestimmt über ihren Körper zu entscheiden und auch das Scheidungsrecht war alles andere als modern. Wie lange es dauerte, den Auftrag von Artikel 3 (2) des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ mit Leben zu erfüllen, lässt sich in dieser Chronik eindrucksvoll nachlesen.

Und auch die Thüringer Landesverfassung enthält einen klaren Verfassungsauftrag in Artikel 2 (2): „Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Das Land, seine Gebietskörperschaften und andere Träger der öffentlichen Verwaltung sind verpflichtet, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens durch geeignete Maßnahmen zu fördern und zu sichern.“

Und die Realität? Der Anteil der Frauen im Thüringer Landtag liegt im Moment bei 41%. Damit belegt unser Bundesland mit Abstand den ersten Platz im Vergleich aller Landesparlamente. Er lag aber 2004 und 2009 mit 42 bzw. 45% schon höher. Und der Anteil der Frauen in den Fraktionen ist sehr unterschiedlich. Bei den Regierungsfraktionen liegt der Anteil zwischen 50% bei Bündnis 90/Die Grünen, 53,5% bei der LINKEN und sogar 58,3% bei der SPD. Bei der CDU liegt der Frauenanteil bei 32,3% und bei der AfD lag er 2014 bei 2 gewählten Frauen und 11 gewählten Abgeordneten (Inzwischen haben vier die Fraktion verlassen) gar nur bei 18,2%. Es ist also noch Luft nach oben. Und da der Anteil der Frauen an der Gesamtbevölkerung Thüringens bei über 50% liegt, haben wir allen Grund, gerade mit Blick auf den Auftrag der Verfassung, hier nachzusteuern.

Natürlich lässt sich der Grad der Gleichstellung nicht allein oder ausschließlich am Anteil von Frauen in Parlamenten messen. Das wäre absurd. Dazu gibt es noch viel zu viel andere Baustellen. Noch immer verdienen Frauen oft bei gleicher Arbeit weniger als ihre männlichen Kollegen, noch immer sind zu wenig Führungspositionen von Frauen besetzt. Ich bin aber sicher, dass sich das auch ändern würde, wenn die Politik „weiblicher“ würde. Meine Partei setzt schon lange auf eine strenge Mindestquotierung. Das ist inzwischen völlig normal und wird nur noch sehr selten in Frage gestellt. Es hat der Partei, wie ich finde, nicht geschadet und führt auch dazu, dass wir viel häufiger die Bedingungen hinterfragen, unter denen wir alle Politik machen. Die Tage sind lang und ausgefüllt, Sitzungen gehen immer noch gern bis in die Puppen. Aber inzwischen fragen auch Männer, wie sich das mit einem Familienleben vereinbaren lässt.

Deswegen finde ich die Debatte um das Paritätsgesetz wichtig. Das im übrigen auch vor dem Hintergrund, dass wir im Moment in einer Zeit leben, wo aus konservativer Richtung verstärkt erkämpfte Rechte in Frage gestellt werden. Wer etwa zur Kenntnis nimmt, was die AfD zu ihrem politischen Programm erklärt, dem kann es nur schaudern und der ist aufgerufen, klar Farbe zu bekennen.

Deswegen ärgert es mich, wenn Parteien und Gruppierungen, die ich bisher zum progressiven Lager gezählt habe, ausgerechnet das Geschäft dieser Konservativen betreiben. Und ja, ich bleibe dabei, wenn ausgerechnet die Piraten als erste die Überlegungen von rot-rot-grün in Thüringen (ein konkreter Gesetzentwurf liegt im Moment ja noch gar nicht vor) angreifen und mit dem Gang vor das Verfassungsgericht drohen, dann müssen sie sich fragen lassen, ob sie damit nicht doch das Geschäft von AfD & Co. Betreiben. Mein Tweet als Reaktion auf die Thüringer Piraten mag sehr zugespitzt gewesen sein aber leider habe ich bisher keine inhaltliche Antwort darauf gesehen, sondern nur. „Dieser Vergleich geht gar nicht…“ Astrid Semm versucht, in ihrem Blogbeitrag eine inhaltliche Antwort. Mich überzeugt diese Antwort nur zum Teil. Natürlich weiß ich darum, dass es die Rahmenbedingungen gerade für Frauen schwer machen, sich in den „Politikbetrieb“ von Parteien einzubringen. Aber dann lasst uns über diese Bedingungen reden und sie nicht dadurch zementieren, dass wir kopfschüttelnd zur Seite treten und sagen: „Na gut, ist halt so…!“. Als Gewerkschafter sage ich an dieser Stelle mal sehr deutlich: „Ohne Kampf kein Mampf!“

Und ja, das Argument, dass das Paritätsgesetz von einem binären Geschlechtsmodell ausgeht, lässt sich nicht widerlegen. Aber hier verweise ich auf die aktuelle Verfassungslage. Ich will mich der Debatte hierüber nicht verschließen aber dann debattieren wir auch und zwar im Gesetzgebungsverfahren. Das setzt aber voraus, dass nicht vorher schon angekündigt wird, auf jeden Fall klagen zu wollen. Ich wiederhole mich: Gesellschaftlich sollten die progressiven Kräfte in diesen Fragen zusammenstehen, sonst werden die Niederlagen dramatisch sein.

Meine Bitte also an die Piraten in Thüringen und darüberhinaus: Bringt euch ein in die Debatte, mit Energie und Argumenten aber vielleicht nicht gleich mit dem Ruf nach dem Verfassungsgericht.