Abschaffung der Straßenausbaubeiträge

Zur aktuellen Debatte in Thüringen bezüglich der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge in Thüringen habe ich mich in einem Brief an die Bürgerinitiative mit einigen Argumenten zu Wort gemeldet. In dieser Woche fand ein erstes Treffen der Landesregierung, der regierungstragenden Fraktionen, der CDU-Fraktion und der kommunalen Spitzenverbände statt. Alle Gesprächspartner/innen waren sich einig, dass der Weg zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge jetzt – ohne Risiken und Nebenwirkungen – gewagt werden muss, damit das Thema vor der Landtagswahl mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit, ein für alle Mal für die Zukunft geklärt wird.


Bürgerallianz Thüringen gegen überhöhte
Kommunalabgaben e. V.
Landesvorsitzender
Herrn Wolfgang Kleindienst
Kastanienallee 4 a
07381 Pößneck

nachrichtlich:

VDGN – Verband deutscher Grundstücksnutzer

Erfurt,   . November 2018

Lieber Wolfgang Kleindienst,
sehr geehrte Vorstandsmitglieder,
werte Mitglieder der Thüringer Bürgerallianz,
 
seit vielen Jahren gibt es nicht nur in Thüringen die öffentliche Diskussion über die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge sowie der Anschlussbei-träge für Trink- und Abwasser. In meiner früheren Funktion als Fraktionsvor-sitzender sowohl der PDS als auch der LINKEN im Thüringer Landtag habe ich mich dieser Debatte immer intensiv gestellt und mit dem Abgeordneten Frank Kuschel auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sowohl die Bürgerallianz als auch der Verband der Deutschen Grundstücksnutzer ihre Vorstellungen in die parlamentarischen Debatten des Thüringer Landtags einbringen konnten.
 
Wiederholt stand ich im Laufe der letzten Jahre nicht allein der Bürgerallianz, sondern auch dem VDGN persönlich Rede und Antwort. Wiederholt stellte die LINKE-Landtagsfraktion Ressourcen zur Verfügung, um deren Arbeit zu begleiten. Neben den Fragestellungen, die sich um die grundsätzliche Berechtigung dieser Beiträge entwickelten, standen die Fragen im Raum, ob, wann oder wie überhaupt diese Beiträge erhoben werden sollten. Ein Hauptargument, das mich überzeugt für die Abschaffung von Anschluss-beiträgen votieren ließ, war jenes von Frank Kuschel: Er plädierte für eine umfassende Grundsteuerreform, durch welche man das Erhebungssystem für sämtliche Grundstücksbesitzer/innen erheblich verbessern könnte.
 
Die Frage, ob ein Grundstück mit oder ohne Wasseranschluss, mit oder ohne Kläranlage, mit oder ohne befestigte Straße im Wert sinkt oder steigt, folgt weder akademischen noch philosophischen, sondern in der Regel sehr konkreten Erwägungen. Ganz eindeutig ist der Unterschied zwischen einem Waldgrundstück, einem Wiesengrundstück, einem Acker oder einem er-schließungsreifen Baugrundstück daran zu messen, wie Zuwegung, Ver- und Entsorgung gesichert sind. Auch die prinzipielle Frage, ob eine eintre-tende Wertsteigerung wirklich durch alle Steuerzahler/innen zu finanzieren ist, scheint berechtigt, gerade vor dem Hintergrund, dass die Besteuerung nach Einheitswerten gerade vom Verfassungsgericht streitig gestellt wurde und es sich bei der Erbschaftssteuer in Bezug auf Wertermittlung von Grund und Boden um eine bis heute ungelöste Aufgabe handelt. Ebenfalls ist derzeit nicht von einer großen Reform der Grundsteuer auszugehen.
 
Im Zentrum der aktuellen öffentlichen Debatte verbleiben vorrangig unge-rechte Erhebungsverfahren. Die vorgetragenen Argumente kann ich nach-vollziehen, nehme die Diskussion jedoch so wahr, dass nicht mehr der Umgang mit mutmaßlich ungerechten Erhebungsverfahren, sondern aus-schließlich deren Abschaffung als Königsweg debattiert wird. Wenn jedoch die Frage der Steuergerechtigkeit überhaupt nicht thematisiert wird, bekommt die Debatte nach meinem Empfinden Schlagseite.
 
Als Dieter Althaus als so genanntes „Wahlkampfgeschenk“ den vollständigen Verzicht auf die Trinkwasser- und den teilweisen Verzicht auf die Abwasser-beiträge verkündete, wurde der Landeshaushalt für viele Jahre mit insge-samt weit über einer Milliarde Euro belastet. Geld, das auch in den Ausbau von Kindergärten, Schulen und die Sanierung von Infrastruktur investiert hätte werden können. Wenn dann noch die Steuereinnahmeseite immer weiter durch Bundesgesetze von einer ehemaligen Drittelparität (also je zu einem Drittel Lohn- und Einkommenssteuer, Kapital-, Gewerbe- und Ver-mögensbesteuerung und Verbrauchssteuern) sich heute fast ausschließlich auf die Verbrauchssteuern und die Lohn- und Einkommenssteuern verscho-ben hat, wird deutlich, warum ich davor warne, bei den Straßenausbaubei-trägen einen ähnlichen Fehler zu begehen
 
Sehr geehrte Damen und Herren, als Ministerpräsident sehe ich, dass ein vorschnelles Versprechen fatale Folgen für die öffentliche Hand und damit letztlich für die Steuerzahler/innen nach sich ziehen kann. Das Kabinett hat nun entschieden, trotz aller Bedenken und auch Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionspartnern, gemeinsam einen vernünftigen und rechts-sicheren Weg finden zu wollen, um auf die Erhebung von Straßenausbaubei-trägen in Zukunft generell verzichten zu können. Dies ist jedoch nur in einem kalkulierbaren Rahmen möglich, der auch die Haushaltsrisiken abdeckt und berücksichtigt. Dies geht nicht mit verbundenen Augen, schon gar nicht in Kenntnis der o.g. Fehler bei der Abschaffung der Wasserbeiträge. Aus-schließlich die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge politisch zu thema-tisieren, ohne die haushaltsrechtlichen Begleitumstände belastbar zu regeln, würde meinem Verständnis meines Amtseides zuwiderlaufen.
 
Wenn ich in der Thüringer Allgemeinen vom 26. Oktober 2018 lesen muss, ich schmücke mich mit fremden Federn, verwundert mich das. Diese Aussagen entsprechen nicht dem Geist, in dem ich seit Jahren mit der Bürgerallianz und dem VDGN zusammenarbeite. Die Behauptung, aus-schließlich die Bürgerallianz habe die Themen durchgesetzt, welche in unser Vorhaben einer Abschaffung der Straßenausbaubeiträge mündeten, ist schlicht unzutreffend. Bereits zu Beginn meiner Amtszeit besuchte ich die Jahreshauptversammlung des VDGN in Berlin und informierte mich in mehreren Gesprächen über Musterklagen, welche in mehreren Bundeslän-dern auf den Weg gebracht wurden. Damit sollte ein rechtssicherer Weg zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge erstritten werden. Schaue ich mir die Gesamtheit der Regelungen zu Wasser-, Abwasser- und Straßenaus-baubeiträgen an, so ist die Rechtslage deutschlandweit höchst unterschied-lich. Die erstrittenen Urteile führten nach meiner Kenntnis weder zum „großen Durchbruch“ noch zu einheitlichen Regelungen.
 
Abschließend möchte ich auf einen wichtigen Satz der Erfurter Erklärung zurückkommen. Dieser Satz ist dem Grundgesetz entnommen und lautet „Eigentum verpflichtet“. Das gilt auch für Grundstücke und Hauseigentum. Wenn wir  künftig eine Komponente der Refinanzierung von Straßen verän-dern, kann dies nach meinem Dafürhalten nicht bedeuten, dass die nunmehr entlasteten Grundstückseigentümer/innen flächendeckend den Ausbau von Anliegerstraßen vorantreiben.
 
Während sich die Diskussion um die Straßenausbaubeiträge in der Regel auf den Siedlungsraum bezieht, muss die öffentliche Hand auch das Verkehrswegenetz garantieren und aufrecht erhalten, das die Ortschaften miteinander verbindet. Letztlich steht auch die Frage der Gerechtigkeit im Verhältnis zu den generellen Steuererhebungen eines Staates. Sind alle Verbraucher/innen und alle Arbeitnehmer/innen zusammen die Hauptsteuer-quelle, über welche privates Eigentum eine Entlastung oder eine Wertver-besserung erfährt, dann halte ich dies für ein brisantes politisches Thema.
 
Mittels dieses Briefs wollte ich mich in einigen wichtigen gesellschaftlichen und politischen Grundfragen zu Wort melden. Ich übersende ihn mit der Bitte, ihn auch Ihren Mitgliedern und den Absender/innen der „Roten Karten für Straßenausbaubeiträge“ als meine Antwort zur Verfügung zu stellen.
 
In meinem Kampf für eine solidarische Gesellschaft, werde ich auch weiterhin „brennende“ Themen behandeln. Dazu gehört mehr Gerechtigkeit in der Steuerpolitik und eine größere Kraftanstrengung für die Beitrags-freiheit von Bildung und Betreuung für alle unsere Kinder, die in unserem Land aufwachsen. Ich möchte  jedem Kind eine Schulbildung ermöglichen, die ihm  ein Leben ohne Armut oder Altersarmut ermöglicht.
 
Ebenso intensiv wie für die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge setzte ich mich auch für die Abschaffung von Studiengebühren, gegen Schulgeld und letztlich auch konsequent gegen Beiträge in den Kindergärten ein.
 
Es bleibt unsere Zusage, einen Rechtsrahmen schaffen zu wollen, mit dem zukünftig auf Straßenausbaubeiträge verzichtet werden kann, ohne unkal-kulierbare Risiken für den Landeshaushalt und damit auf alle Einwoh-ner/innen Thüringens zu schaffen. Dies ist und bleibt meine Verantwortung.
 
Mit freundlichen Grüßen
 
 
 
Bodo Ramelow