Eine ganz besondere Begegnung

Die Reisen in die polnische Region Malopolska sind für mich schon eine schöne Tradition. Immerhin begehen wir im kommenden Jahr bereits den 20. Jahrestag der Regionalpartnerschaft zwischen Thüringen und Malopolska. Mir sind diese Partnerschaften sehr wichtig, denn ich halte die lokalen und regionalen Kontakte zwischen Menschen in Europa für das entscheidende Element der Entwicklung der europäischen Idee. Die Schüleraustausche, die Vereinsbesuche, Kulturaustausch aber auch die Kontakte zwischen Hochschulen, Unternehmen und Kammern sind für alle Beteiligten sicher nachhaltiger als der allgemeine und oft sehr abgehobene Diskurs über die Idee eines vereinten Europas.

Diesmal war nicht die Regionalpartnerschaft der Anlass für meinen Besuch aber natürlich habe ich trotzdem die Gelegenheit genutzt und mich zu einem Austausch über den Dächern Krakows mit dem direkt gewählten Marschall der Woiwodschaft Malopolska Herrn Jacek Krupa getroffen. Gemeinsam haben wir uns zur aktuellen Lage in unseren Regionen aber auch in Europa insgesamt ausgetauscht. Wir waren uns einig, dass es uns gelingen muss im zwanzigsten Jahr unserer Beziehungen neue Impulse zu setzen. Das ist schon deswegen wichtig, weil die Stimmen derer, die eher auf die nationalistischen und abgrenzenden Impulse als auf die europäische und gemeinsame Karte setzen, durchaus lauter werden. Das lässt sich in Polen genauso wie in Deutschland beobachten. In Polen stehen im Herbst Kommunal- und Regionalwahlen an, so dass manches auch vom Ausgang dieser Wahlen abhängt. Natürlich werden wir von Thüringen aus alles tun, um die Regionalpartnerschaft weiterzuentwickeln.

Es war eine Initiative des Zentralrates der Muslime und der Union Progressiver Juden, die mich in diesem Jahr nach Krakow führte und die es mir wert wahr, auch meinen Urlaub für ein paar Tage zu unterbrechen. Im letzten Jahr habe ich mit einer großen Bürgerdelegation aus Thüringen an der Eröffnung der Internationalen Wanderausstellung „Industrie und Holocaust: Topf & Söhne – Die Ofenbauer“ im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau in Oświęcim teilgenommen. Damals, im März 2017, ging es darum, die besondere Rolle Erfurts bei der systematischen Ermordung von über 1,5 Millionen Menschen in Auschwitz-Birkenau darzustellen. Schon das war ein sehr besonderer Moment, der mich sehr bewegt hat.

Als mir Aiman Mazyek und Walter Homolka von ihrer Idee berichteten, muslimische und jüdische Jugendliche zu einer gemeinsamen Begegnung in Thüringen und Kleinpolen zu vereinen. Junge Muslime, die als Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien nach Thüringen kamen und junge Jüdinnen und Juden aus Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Gemeinsam wollen die Jugendlichen die Stätten der Vernichtung besuchen und sich über ihre Erfahrungen dabei austauschen. Mich hat dieses Projekt sofort überzeugt.

Wie oft lesen wir davon, dass seit 2015 der Antisemitismus in Deutschland massiv zugenommen habe und dass es vor allem Flüchtlinge Muslimischen Glaubens wären, die schuld daran seien. Für mich greift diese Analyse viel zu kurz. Erstens ignoriert sie den fest verankerten Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung, der sich etwa in Thüringen seit Jahren auf stabilen Niveau feststellen lässt, wie wir im Thüringen Monitor jedes Jahr wieder feststellen müssen und zum zweiten spricht er uns frei von der Verantwortung, den Dialog und Austausch zu suchen. Deswegen sind interreligiöse Projekte, wie dieses, so wichtig.

Junge Leute begegnen nicht nur unvorstellbaren Verbrechen und dem System dahinter, sie begegnen auch einander und ihren Religionen, sie sind im Dialog miteinander.

Weil die jungen jüdischen Seminarteilnehmer aus Schleswig-Holstein kommen und die jungen Muslime aus Thüringen, habe ich bei einer Sitzung des Bundesrates meinen Nachbarn, den Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, dann gefragt, ob er Interesse hätte, die jungen Leute gemeinsam mit mir in Auschwitz zu treffen. Es hat mich sehr gefreut, dass der Kollege Günther sofort bereit war, diesen Termin gemeinsam mit mir wahrzunehmen. Ich weiß, für manche in unserem Land, ist allein der Umstand, dass ein Ministerpräsident der LINKEN und ein Ministerpräsident der CDU gemeinsam an einem solchen Termin teilnehmen, berichtenswert. Aber für mich ist das ein normaler Umgang unter Kollegen, denen es um die Sache geht. Bei der Frage der Verantwortung für unsere Geschichte, bei der Herausforderung junge Menschen das Thema des Holocaust nahezubringen und in der Auseinandersetzung mit jenen, die nun von einer 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur schwadronieren, sehe ich aber keine Differenzen zwischen mir und Kollegen Günther. Natürlich war das kein „normaler“ Termin, wie hätte er das auch sein sollen an jenem Ort aber er ist Ausdruck eines normalen Umgangs unter Ministerpräsidenten.

Die Jugendlichen haben schon ein intensives Programm hinter sich: gemeinsame Gespräche, Begegnungen mit Zeitzeugen, ein Besuch in Birkenau. Das alles liegt schon hinter ihnen, als wir am Donnerstagmorgen aufeinandertreffen um gemeinsam der Ermordeten zu gedenken. Für uns alle in jedem Fall ein ganz besonderer Moment dem muslimischen und jüdischen Totengedenken beizuwohnen.

Es waren die bemerkenswerten und eindringlichen Gedenkworte von Aiman Mazyek und dem ehemaligen niedersächsischen Landesrabbiner, Henry G. Brandt, die in Erinnerung bleiben.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, bekannte sich zur Verantwortung von deutschen Muslimen für ihr Land. Auschwitz als „Ort des unbeschreiblichen menschlichen Leids ist ein furchterregendes Symbol für die Entrechtung, Entmenschlichung und Verfolgung von Millionen Menschen, für den von Deutschen begangenen Zivilisationsbruch, der Schoah“, sagte er. „Wir deutschen Muslime bekennen damit, uns für den Erhalt unseres Rechtsstaates einzusetzen, wir bekennen uns zu unserer freiheitlichen Demokratie, zu unserer von Vielfalt geprägten, pluralen Gemeinschaft in Deutschland.“

Es müsse alles unternommen werden, „damit sich eine derartige Katastrophe wie die Schoah niemals wiederholen kann. Weder in unserem Land noch sonst wo auf dieser Welt.“ Er sagte: „Jede Form von Antisemitismus, gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit und Rassismus ist eine Sünde im Islam.“ Er wandte sich zudem gegen „Schlussstrich“-Forderungen: „Mit uns wird es diesen Relativismus, diesen Hang zur Geschichtsvergessenheit nicht geben und mag er sich noch so billig der Meinungsfreiheit bedienen und sich als intellektuelles Schwert maskieren.“

Der frühere Landesrabbiner von Niedersachsen und heutige Vorsitzende der allgemeinen Rabbinerkonferenz Henry G. Brandt appellierte an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, unabhängig von der Religionszugehörigkeit zuerst den Menschen in einem Gegenüber zu sehen. Alle Menschen seien als Ebenbild Gottes erschaffen worden. Sie sollten nicht zuerst über ihre Herkunft oder religiöse Zugehörigkeit definiert werden, sondern man solle erkennen: „Er ist ein Mensch.“ Er zeigte sich „tief beeindruckt, dass Muslime und Juden hier zusammen sind“.

Ein Rundgang durch das Stammlager schloss sich an, der uns eindrücklich vor Augen führte, wie einmalig die Verbrechen in Auschwitz-Birkenau sind und bleiben.

In der anschließenden Diskussion in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz ging es viel um Ängste um die Entwicklung in Deutschland. Wird die AfD stärker? Was können wir tun für ein friedliches Miteinander? Welche Perspektiven haben junge Menschen in unserem Land? Was Daniel Günther und ich antworten konnten, war vor allem, dass wir dann keine Angst um unser Land haben, wenn jene, denen die Demokratie in unserem Land am Herzen liegt, aktiv für diese Demokratie einstehen, wenn junge Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion den Dialog miteinander pflegen und auch über Vorurteile reden, wenn wir unser Land nicht den Schreihälsen und Lauten überlassen, die keine Lösungen bieten, sondern nur Angst und Hass schüren. Das ist unsere Verantwortung.

Es ging aber auch ganz konkrete Sorgen und Frage. Da war die Frage nach der Haltung der LINKEN zu Israel, die ich für mich sehr eindeutig beantwortete. Es darf kein Zweifel in dieser Frage geben. DIE LINKE muss immer für das Existenzrecht von Israel stehen und kann nicht mit Organisationen zusammenarbeiten, die dieses Recht in Frage stellen und die Vernichtung Israels als oberstes Ziel propagieren. Da war aber auch die Frage einer jungen Frau, die das Gefühl hat, dass sie keinen Praktikumsplatz findet, weil sie ein Kopftuch trägt. Darum werde ich mich kümmern, dass wir doch eine Stelle finden und es ging darum, wie wir auf Menschen zugehen, die uns nicht gleich freundlich zugewandt sind.

Wir alle fuhren mit vielen Eindrücken nach Krakow und bei mir bleibt vor allem der Eindruck, dass uns nicht bange sein muss, dass junge Leute sich nicht für unsere Geschichte interessieren. Nein, sie tun das, sicher anders als wir aber trotzdem mit großer Verantwortung. Das macht mir Mut und zeigt mir, dass sich solche Begegnungen und Projekte immer lohnen, auch in Zukunft.