Politische Kultur ist keine Einbahnstraße

In der letzten Woche debattierte der Thüringer Landtag über die Situation ostdeutscher Rentnerinnen und Rentner und vor allem über die Situation all jener Personengruppen, die bei der Berechnung ihrer Rentenansprüche immer noch benachteiligt werden.  In der DDR geschiedene Frauen, mithelfende Eheleute in kleinen Betrieben. Professoren… all diese spezifischen Themen wurden bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag übersehen oder vergessen. Diese Menschen kämpfen seit Jahren darum, dass sich ihre Situation verbessert. Auch Thüringen hat hierzu Initiativen im Bundesrat ergriffen und ich habe es bei den Treffen der Ministerpräsidenten thematisiert. Wir brauchen hier endlich eine Lösung, um solche Ungerechtigkeiten zu beseitigen.

Deswegen habe ich mich sehr gefreut, dass der Landtag einen Antrag diskutierte, der die Landesregierung auffordert, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen. Leider finden sich im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD nur wenige konkreten Aussagen dazu. Immerhin ist eine Härtefallregelung vorgesehen. Aber wie so oft kommt es vor, dass die Höhe der Mittel an. Regierungsfraktionen und die CDU-Opposition waren sich einig, dass wir weiter Druck machen müssen, dass hier etwas geschieht. Und dann kam die AfD. Zum Thema hatten die Rednerinnen und Redner der AfD nichts Substantielles beizutragen. Stattdessen kam die übliche Beschimpfung der „Alt- und Systemparteien“ und nur die AfD hätte die Betroffenen wirklich im Blick. Nun ist die Kritik am Einigungsvertrag ja völlig richtig und wurde von meiner Partei seit den 90er Jahren immer wieder vehement vorgetragen (Flugblatt der Bundestagfraktion), nur nützen demagogische Angriffe den Betroffenen nichts, dazu braucht es eher die Fähigkeit, Mehrheiten zu organisieren und zwar gesamtdeutsche Mehrheiten.

Und noch eins wurde in der Debatte wieder deutlich. Der AfD geht es nicht darum, Ungerechtigkeiten abzubauen. Sie will neue Ungerechtigkeiten schaffen und Lebensleistungen von Tausenden einfach ignorieren. Nur deutsche Staatsbürger sollen ein Anrecht auf Rentenbezüge haben. Ich habe darauf hingewiesen, dass es neben Deutschen in Westdeutschland vor allem auch Italiener, Spanier, Portugiesen und Türken waren, die das westdeutsche „Wirtschaftswunder“ mit ermöglicht haben und zwar durch harte Arbeit. Diese Menschen haben von Beginn an Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt und deswegen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass aus diesen Beitragszahlungen auch Rentenansprüche entstehen. Wer einzahlt, hat Anspruch auf Leistungen. Da gibt es keinen Unterschied nach Hautfarbe, Herkunft oder Religion. Da entlarvt sich dann die angeblich „soziale Ader“ der AfD von selbst und ich bin mir sehr sicher, die meisten, für die die AfD vermeintlich spricht, wollen nicht, dass Ungerechtigkeit durch Ungerechtigkeit ersetzt wird.

Ich bleibe dabei, diese rassistischen und menschenfeindlichen Positionen schaden unserem Land. Wohlstand braucht die Arbeit vieler Menschen und Thüringen, ich wiederhole das immer wieder, braucht Zuwanderung, sonst werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern können. Herr Höcke antworte auf meinen Redebeitrag, dass ich ein kommunistischer Ideologe sei, der Verrat am eigenen Volke übe… Ja, ich sei eine Schande für Thüringen, meint Herr Höcke. Nach dem Ende seines Redebeitrages kam er zurück ans Rednerpult und behauptete lautstark, ich hätte ihn ein „Arschloch“ genannt.

Ich habe aber während oder nach den Entgleisungen von Herrn Höcke ihm weder einen Zwischenruf gewidmet noch das Wort an ihn gerichtet habe. Dazu braucht es keine Lippenleser, es ist schlicht so, ich habe mich nicht an Herrn Höcke gewandt.

Damit alle wissen, worüber wir reden, habe ich diesem Tagebuchbeitrag Bilder beigefügt, die zeigen, wie mich Mitglieder der AfD und auch Herr Höcke selbst immer wieder bezeichnen. Für die AfD ist Etikette im direkten Diskurs und Nettikette im digitalen Umgang offenbar eine Einbahnstraße.

Man betrachte die Posts, die im Zusammenhang mit der Durchführung Magnus-Hirschfeld-Tage 2016 in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen entstanden. Man lese, dass Herr Höcke mich permanent duzt und auch vor haarsträubenden Behauptungen nicht zurückschreckt. Da bin ich dann mal der Bahnhofsklatscher und mal der Volksverräter. Für mich zeigt das zumindestens eine Grundhaltung bis hin zu einem Mangel bei der Einhaltung von menschlichen oder demokratischen Grundregeln im politischen Diskurs.

Um mit einer Analogie zu Martin Luther zu enden, will ich festhalten, dass ich selber und auch alle meine Körperteile nicht verzagt sind und trotz dieser Verbalinjurien, denen ich mich seit langer Zeit durch die AfD ausgesetzt sehe, mir meine Fröhlichkeit behalten habe und behalten werden.

Gerade in der Sozialpolitik muss das Solidarprinzip gelten. Die AfD hat nicht nur keine Alternativen, sie will jede Solidarität aufkündigen. Meine Antwort darauf ist: Haben wir Mut und streiten für Sicherungssysteme, die allen Menschen offen stehen. Am Ende brauchen wir eine solidarische Bürgerversicherung, in die alle entsprechend ihrer Leistungskraft und aus allen Einkommensarten einzahlen.