„Eisenach ist mehr als Wartburg und Bach…“

Häufiger war ich in diesem Jahr in Eisenach. Die Stadt war neben Erfurt das Zentrum der Thüringer Aktivitäten im Rahmen des Reformationsjahres. Eisenach dürfte neben Wittenberg nun weit über die Grenzen Thüringens bekannt sein. Allein die Zahl der Übernachtungen in der Wartburgstadt Eisenach stieg um über 17 Prozent und die Nationale Sonderausstellung „Luther und die Deutschen“ zählte rund 310.000 Besucherinnen und Besucher und davon kam ein Viertel aus dem Ausland.

Aber Eisenach ist eben mehr und deshalb habe ich mir dieses Jahr an einem ganz besonderen Tag, dem 9. November, einen ganzen Tag Zeit genommen, um mich einmal Themen zuzuwidmen, die auch für Eisenach und seine Entwicklung stehen.

Mein erster Termin führte mich in die Gemeinschaftsschule „Oststadtschule“. Begrüßt wurde ich auf dem Schulhof von der Eisenacher Oberbürgermeisterin, Katja Wolf, der Schulleiterin, Kerstin Lüder und dem Eisenacher Schuldezernenten, Ingo Wachtmeister. Frau Lüder stellte mir ihre Schule vor. Eine wachsende Schule. Zur Zeit lernen dort 280 Schülerinnen und Schüler und mit jedem Schuljahr kommen um die 20 Kinder dazu. Damit ist schon eine der Herausforderungen für Eisenach genannt. Seit 2015 wächst die Stadt wieder, was vor allem an jenen Menschen liegt, auf der Flucht vor Not und Krieg, auch in Eisenach eine neue Heimat fanden.

Schon in der Schule spürt man das große Engagement der Stadtgesellschaft. Flüchtlingskinder lernen hier Deutsch und beginnen ihren Weg. Die Schule selbst sieht sich auch als soziales Zentrum des Stadtteils. Die Heterogenität des Stadtteils spiegelt sich auch in der schule wider. Deswegen braucht es kluge inklusive und integrative Angebote, die den Schülerinnen und Schülern hier geboten werden und eine gute Zusammenarbeit mit dem nahen Jugendclub. Ich bin beeindruckt, was in der Schule geleistet wird und deswegen freue ich mich mit der Schule, dass demnächst auch ein Anbau die Lernbedingungen deutlich verbessern wird. Aber auch andere Hausaufgaben bekomme ich mit auf meinen Weg: Wir müssen die Gemeinschaftsschulen inhaltlich stärken. Für die Oststadtschule hieße das, auch eine gymnasiale Oberstufe zu ermöglichen und die Schuleingangsphase zu stärken. All das würde diesen Schultyp attraktiver machen. Gut, dass Bildungsminister Helmut Holter gerade im Land unterwegs ist und genau darüber mit Schülern, Lehrern und Eltern diskutiert.

Der Leiter des JobCenters von Eisenach berichtet, wie er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich bemühen, Integration konkret zu unterstützen, vor allem bei der Suche und dem Finden von Ausbildungsplätzen und der Vermittlung der notwendigen sprachlichen Kompetenz. Ja, die Arbeitslosigkeit sinkt auch in Eisenach aber nun wird die Herausforderung alles dafür zu tun, die Langzeitarbeitslosigkeit nachhaltiger zu bekämpfen und nicht zuzulassen, dass die Schere zwischen jenen, die in Arbeit sind und jenen, die schon lange arbeitslos sind, immer größer wird. Dazu braucht aber das Jobcenter die notwendigen Geldmittel um diese Aufgabe erfolgreich meistern zu können. Da helfen keine Berechnungen der durchschnittlichen Fallzahlen, die zwei Jahre zurück liegen, denn die Wanderungsbewegung zwischen den umliegenden Landkreisen und Eisenach haben wesentlich höhere Notwendigkeiten geschaffen. Da muss es einfach schnellere Anpassungen geben.

Ein besonderer Termin wartet danach im Eisenacher Rathaus auf mich: Zu den schönen Aufgaben des Ministerpräsident gehört auch die Übernahme von Ehrenpatenschaften für Familien mit sechs und mehr Kindern. 189 solcher Patenschaften habe ich aber in Eisenach durfte ich das erste Mal persönlich die Patenschaftsurkunde überreichen. Das freut mich sehr, denn sonst sehe ich meine vielen Patenkinder und ihre Familien an sich nur auf dem großen Kinderfest einmal im Jahr. Um so schöner, dass ich diesmal direkt mein neues Patenkind begrüßen durfte. Und auch hier treffe ich auf eine Herausforderung: Es gibt zu wenig Wohnungen für Familien mit vielen Kindern. Hier haben wir eine Aufgabe vor uns. Ich rege an, hier auch mal über ein Modellprojekt nachzudenken, dass wir als Land unterstützen könnten. Eisenach wird durchaus auch wieder neue und größere aber auch preiswertere Wohnungen brauchen.

Nach dem Gespräch will es der Zufall, dass ich mich gemeinsam mit der Katja Wolf, der Oberbürgermeisterin der Presse stellen muss, weil PSA just an diesem Tag verkündet, wie es mit OPEL in Deutschland weitergehen soll. In Eisenach sind neben 1.800 Beschäftigten bei OPEL auch viele Beschäftigte bei Zulieferbetrieben davon betroffen. Für Eisenach sind es vorsichtig optimistische Nachrichten. Ab 2019 soll ein neues Fahrzeug auf der Plattform von PSA hier vom Band rollen. Aber natürlich wird abzuwarten sein, was das für das Unternehmen und die Beschäftigten heißt. Katja Wolf und ich sind uns einig, dass es jetzt schnell auch Gespräch zwischen Unternehmen, Gesamtbetriebsrat und IGM/  geben muss. Wir werden an dem Thema in jedem Fall dran bleiben.

Die Oberbürgermeisterin erzählt mir beim gemeinsamen Essen, wo sie der Schuh drückt. Es ist die strukturelle Unterfinanzierung ihrer Stadt. Zum einen nimmt die Stadt viele Funktionen auch für das Umland wahr, etwa im kulturellen Bereich, zum andern hat die Stadt auch besondere Lasten zu tragen. Mich bestärkt auch dieses Gespräch darin, dass wir über Aufgaben- und Funktionsverteilung weiter reden muss. Eisenach und der Wartburgkreis sind sich grundsätzlich schon lange einig, dass sie künftig einen gemeinsamen Kreis bilden wollen. Aber für Eisenach ist in diesem Prozess auch wichtig, dass es seine besondere Rolle behält und definiert werden muss, worin diese im und für den Kreis bestehen kann. Kooperation auch im neuen Kreis, Aufgabenübernahme jeweils für den anderen. Dann wird dieser Prozess auch von den Menschen mitgetragen werden. Kurz danach erfahre ich von unserer Finanzministerin, dass Thüringen allein 2017 mit fast 350 Millionen Euro zusätzlichen Einnahmen rechnen kann und wir beide sind uns einig, dass ein Teil dieser Mittel auch den Kommunen zugutekommen muss, um dringend notwendige Investitionen in die öffentliche und soziale Infrastruktur auf den Weg zu bringen.

Ich muss aber sagen: Die Stadt hat sich unter der Oberbürgermeisterin Katja Wolf gut entwickelt. Nicht nur nach außen hat der Name Eisenach einen guten Klang. Auch in der Stadt tut sie sehr viel dafür, dass sich der soziale Zusammenhalt in gut entwickelt. Ähnlich wie bei mir, begann auch ihre Amtszeit mit Horrorszenarien, dass der Stadt nun schlimme Zeiten bevorstehen. Dem ist nicht so. Eisenach entwickelt sich bei allen Schwierigkeiten gut und das ist auch ein Verdienst der Oberbürgermeisterin.

Mein Besuch in Eisenach endet mit dem Gedenken an den 9. November 1938. An diesem Tag brannten in Deutschland die Synagogen, auch in Eisenach. Auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge schlage ich in meinen Gedenkworten einen Bogen von den antisemitischen Schriften Luthers, die von den Nazis benutzt wurden, um den Holocaust zu rechtfertigen. Gerade im zu Ende gehenden Reformationsjahr gehört auch das zu den Wahrheiten, vor allem in einer Stadt, in der das Entjudungsinstitut der Evangelischen Kirche ihren Sitz hatte. Niemals dürfen wir das Erinnern und Mahnen an diesen Tag und das, was folgte, unterlassen. Es gehört zu unserer Geschichte und der Verantwortung dafür. Wir sind nicht verantwortlich für das was geschehen ist, aber wir tragen die Verantwortung dafür wie wir mit unserer Vergangenheit umgehen. Mich leitet der Schwur von Buchenwald und das „Nie wieder!“

 

P.S.: Vielen Dank für die Bilder von Paul-Philipp Braun aus Erfurt.