Du siehst mich
„Du siehst mich“, so lautete das Motto eines ganz besonderen Evangelischen Kirchentages in diesem Jahr. 500 Jahre Reformation feiern wir in diesem Jahr. Schon öfter habe ich in diesem Tagebuch über Ereignisse berichtet, die mich durch dieses Reformationsjahr begleitet haben. Der Kirchentag war ein besonderer Höhepunkt.
Zu Christi Himmelfahrt hatte mich die Berliner Emmaus-Gemeinde zu einer Bibelarbeit unter dem Motto „Kann man mit der Bergpredigt Politik machen?“ eingeladen. Vor vollem Saal habe ich meine Auslegung der Bergpredigt dargelegt. Ich halte es nicht mit Konrad Adenauer und Helmut Schmidt, die beide der Auffassung waren, dass sich mit der Bergpredigt keine Politik machen lasse. Ich finde, wer die Bergpredigt liest und wer sie vor dem Hintergrund der historischen Einordnung interpretiert, der kommt gar nicht darum herum, festzustellen, dass uns die Bergpredigt auch in der Politik durchaus ein Leitbild für unser Handeln sein kann, ja sogar sollte, wenn es etwa darum geht, die Idee von Versöhnung oder auch von Feindesliebe in praktisches Tun umzusetzen. Versöhnung als Aufgabenstellung mag schwer sein, aber ist allemal besser, als wenn man auf Streit jeweils mit weiterem Streit reagiert und wesentlich friedlicher als auf Provokationen mit Provokationen zu antworten. „Lasse dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Die Emmaus-Gemeinde hatte ein eigenes Programm zum Kirchentag aufgelegt und das Motto ein wenig ergänzt: „Du siehst mich auch im Streit“, hieß es bei Emmaus. Auch meine zweite Veranstaltung, organisiert von der Zeitschrift: „Publik-Forum“ gemeinsam mit der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ war ganz in diesem Sinne streitbar. Es ging um die Vorstellung der neuen Schrift von Ulrich Duchrow „Mit Luther, Marx und Papst – die kapitalistische Zivilisation überwinden“, so ist sie überschrieben und jedenfalls mich hat überrascht, wie umfangreich sich Luther auch mit ökonomischen Fragestellungen befasst hat. Dass er gegen Leerverkäufe, gegen Monopole und den Wucher angeschrieben hat, wer weiß das schon. Marx nannte Luther den ersten deutschen Nationalökonomen. Ich fand das Thema und auch die Debatte überaus spannend, auch, weil uns offenkundig manche Fragestellungen schon seit Jahrhunderten begleiten.
Danach ging es zum Markt der Möglichkeiten auf dem offiziellen Deutschen Evangelischen Kirchentag und wie immer präsentierten sich dort jede Menge Organisationen. Auch für Nichtchristen ist es immer ein Erlebnis dort Parteien, Stiftungen, Gewerkschaften und unterschiedlichste Vereine und Initiativen in ihrer Vielfalt treffen zu können. Ich finde das immer wieder spannend, weil man auf kleinem Raum sehen kann, welche Möglichkeiten des Engagements es innerhalb und außerhalb von Kirchen es gibt in diesem Land. Ich finde, dass auch diese Vielfalt den Kirchentag ausmacht. Es ist eben nicht nur eine innerkirchliche Schau, sondern ein Diskussionsforum, dass weit darüber hinaus wirkt.
Ich weiß, dass viele es kritisch sehen, dass der Staat und damit die Steuerzahler den Kirchentag unterstützt. Aus meiner Sicht muss man das differenziert sehen. Gerade im Reformationsjahr haben wir viel Geld in die Hand genommen, um Stätten der Reformation zu sanieren. Das sind historische Denkmäler in den Orten der Reformation wie zum Beispiel in Altenburg, Erfurt oder Eisenach, die, wie etwa die Wartburg, Tausende Touristen nach Thüringen locken und das wiederum bringt Steuereinnahmen und sichert Arbeitsplätze und ja wir unterstützen auch Ausstellungen zum Reformationsjahr in Mühlhausen, Orlamünde, Altenburg und Eisenach aber auch Veranstaltungen zum Kirchentag auf dem Weg. Das tun wir aber nicht nur beim Kirchentag, sondern auch bei anderen Anlässen und mir ist jedenfalls nicht klar, warum die Religionsgemeinschaften hier anders behandelt werden sollen. Bei jedem Fußballspiel sei nur mal auf die Kosten der Polizei hingewiesen und das nicht nur zur Verkehrssicherheit. Großereignisse sind für jedes Bundesland besondere Herausforderungen
Am Freitag besuchte ich dann die kleinen Schwestern des großen Kirchentages, die Kirchentage auf dem Weg, die in Thüringen in Weimar, Jena und Erfurt Station machten.
Am Vormittag ging es in der Jenaer Stadtkirche um ein wichtiges Thema, nämlich die Frage, ob Rüstungsproduktion Frieden gefährdet oder garantiert. Für mich ist klar, dass wir jeden Schritt unterstützen und fördern müssen, der Rüstungsexporte reduziert und Konversion zu ziviler Produktion voranbringt. Es ist aber eben auch so, dass viele Produkte sich sowohl zivil wie auch militärisch nutzen lassen und hier hilft tatsächlich nur, dass wir Rüstungsexporte streng regulieren. Und im Bereich Rüstung könnte Deutschland wohl auch was für den Abbau von Exportüberschüssen tun. Aber zur echten Friedenspolitik gehört zu allererst eine Diplomatie im Sinne von Willy Brandt. Krieg ist und bleibt die Ultima Irrratio und militärische Drohkulissen sind der schlechteste aller Ratgeber. Statt also immer mehr Geld in Rüstung und Militärlogik zu stecken braucht es mehr Konversion und noch mehr Friedenspolitik. Abrüstung wäre das Gebot der Stunde.
Weiter ging es zu einem besonders tollen Projekt, dem „Engel der Kulturen“. Die Künstler Carmen Dietrich und Gregor Merten haben das Kunstprojekt Engel der Kulturen geschaffen: Es ist ein Kreis, in dem Stern, Kreuz und Mondsichel als religiöse Symbole angedeutet sind.
In der Mitte erscheint die Gestalt eines Engels. Die Zeichen stehen stellvertretend für alle Kulturen, Religionen und Weltanschauungen. Das Kunstwerk will uns sagen: „Wir leben in einer Welt und lassen uns gegenseitig Raum zur Entfaltung. Mitmenschlichkeit und Achtung vor der Schöpfung prägen die von allen gebildete Mitte.“
Damit soll der interkulturelle Dialog gefördert und das interreligiösen Zusammenleben befördert werden. Nach dem der Engel durch die Stadt gerollt wurde, wurde am Johannistor eine Bodenintarsie eingesetzt. Als Schirmherr des Projektes war es für mich selbstverständlich, dabei zu sein, gemeinsam mit Christen, Juden und Muslimen.
Am Ende des Freitags stand dann die Veranstaltung „Erfurt tafelt“. Auf dem Domplatz waren Tische aufgebaut und viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Nationen waren gekommen, um miteinander zu essen und ins Gespräch zu kommen. Damit aus Fremden Freunde werden, so hieß das Motto und mir war es eine Freude mit Suleman Malik von der Erfurter Ahmadiya-Gemeinde das Brot zu teilen, genauso wie mit der Erfurter Pateninitiative, Christen aus Somalia und Schiiten aus Syrien. Ein Abend der gezeigt hat, dass sich der Dialog lohnt, dass er Vorurteile abbaut. Umso schlimmer, dass wenige Tage später der Bauplatz der geplanten Moschee der Ahmadiya-Gemeinde in Erfurt geschändet wurde.