Mit Herrnhuter Losungen auf tarifpolitisches Neuland

Mancher mag sich noch erinnern an die 2014/2015 als der Streik der Lokführer über Monate das Land beschäftigte. Damals hatte mich die GDL zum ersten Mal gebeten, gemeinsam mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Brandenburg, Matthias Platzeck für die Deutsche Bahn AG, in den Tarifverhandlungen zu schlichten.

Am 1. Juli 2015 konnten wir ein umfangreiches Tarifergebnis präsentieren und ein langer Arbeitskampf wurde beendet. Im Rahmen des damaligen Tarifabschlusses verständigten sich die Tarifparteien nicht nur zu ganz konkreten Entgeltverbesserungen, sie verständigten sich auch zum Abbau von aufgelaufener Mehrarbeit und zu einem Schlichtungsverfahren. Es ist durchaus anzuerkennen, dass in den letzten zwei Jahren viel passiert ist. Neue Lokführer wurden eingestellt und Mehrarbeit durchaus abgebaut.

In den Tarifverhandlungen ging es der GDL nun darum, endlich zu einer verlässlichen Arbeits-, Freizeit- und Urlaubsplanungen für Lokführer und Zugbegleitpersonal zu kommen. Ja, der Eisenbahnverkehr ist hoch komplex. Im Prinzip rollen Zügen an 365 Tagen rund um die Uhr. Während im Personenverkehr Fahrpläne relativ verlässliche Planungen zulassen, hängt der Güterverkehr an konkreten Aufträgen. Und wenn dann noch Baustellen, krankheitsbedingte Ausfälle oder Wetterkapriolen dazukommen, wird es kompliziert.

Kompliziert vor allem für die Beschäftigten und deren Familien. Man stelle sich vor, die Lebensplanung wäre abhängig vom permanenten Blick auf den Computer oder ins E-Mail-Postfach, ob sich der Schichtplan gerade wieder geändert hat. Für viele Beschäftigte bei der Bahn war das bisher Realität. Wer gerade noch glaubte, er könnte morgen mit der Familie ins Kino oder einfach die Beine hochlegen, stellt vielleicht fest, dass plötzlich eine neue Schicht da ist. Deswegen standen eben nicht so sehr Lohnforderungen im Zentrum, sondern die Forderung nach einer verbindlichen Arbeits-, Urlaubs- und Freizeitplanung für die Beschäftigten.

Als mich dann Ende letzten Jahres der Vorsitzende der GDL anrief und fragte, ob ich erneut bereit wäre, als Schlichter zur Verfügung zu stehen, hatte ich abzuwägen zwischen der Belastung aus der Schlichtertätigkeit aber natürlich auch dem Umstand, dass ich aus der letzten Schlichtung natürlich auch wichtige Basiskenntnisse mitbringe. Ich habe mich nach Abstimmung mit meinem Kabinett dafür entschieden, erneut zu schlichten. Interessant war dabei für mich, dass die meisten Journalisten schrieben: „Also, wenn Platzeck und Ramelow das übernehmen, dann wird die Schlichtung auch erfolgreich beendet.“

Daran musste ich oft denken, wenn die Verhandlungen stockten. Ich gebe zu, ab und an habe ich gezweifelt, dass wir wirklich zu einem Ergebnis kommen, zumal auch die Rahmenbedingungen nicht einfach waren. Der Rücktritt des Bahnchefs Grube etwa platzte mitten in eine Verhandlungsrunde. Da war „göttlicher Beistand“ gar nicht so schlecht. Es ist gute Tradition, dass jede Schlichtungsrunde mit der Herrnhuter Losung beginnt und fast immer traf sie die Stimmung im Raum.

Am Ende muss ich sagen, dass ich sehr zufrieden bin mit dem Ergebnis. Wir haben konkrete Verbesserungen sowohl bei der Schichtplanung als auch beim Entgelt vereinbart, wir haben deutliche Verbesserungen für Auszubildende vereinbart und vor allem: Mir scheint, dass es einen Aufbruch gibt zwischen GDL und Deutscher Bahn, dass das Klima und die Arbeitsatmosphäre deutlich besser ist. Legendär der Handschlag von Sigrid Heudorf, der Konzernverantwortlichen der Deutschen Bahn und Claus Weselsky im ICE zwischen Berlin-Spandau und Berlin-Hauptbahnhof. Übrigens fand dieses Treffen nicht, wie vielfach in den Medien kolportiert im Speisewagen, sondern in einem normalen Zugabteil statt. Ich hoffe, dass das vereinbarte Gesprächsforum vor allem auch dazu dient, flächentarifvertragliche Vereinbarungen zu erzielen. Dazu braucht es aber sowohl auf Arbeitnehmer- wie auch auf Arbeitgeberseite Tarifpartner. Denn eins ist mit diesem Abschluss aus meiner Sicht klar: Der Wettbewerb wird künftig nicht mehr über Personalkosten zu führen sein. Schon jetzt fehlen allen Eisenbahnverkehrsunternehmen gut ausgebildete Fachkräfte. Wer da mit schlechten Arbeitsbedingungen und Dumpinglöhnen kommt, wird auf dem Markt nicht bestehen.

Wenn man sich anschaut, was in dieser Hinsicht in anderen Bereichen gerade passiert, etwa im Handel, der sollte froh darüber sein, dass offenbar die Eisenbahn Vorreiter ist für eine Gegenbewegung. Wenn dem so wäre, hätte sich auch meine Arbeit als Schlichter allemal gelohnt.

Erstaunt hat mich aber die Berichterstattung in einigen Thüringer Zeitungen. Berichtet am Freitag noch Funk und Fernsehen über das erfolgreiche Ende der Schlichtung und gibt es viel Echo in den sozialen Netzwerken, so müssen die Zeitungsleserinnen und Zeitungsleser außerhalb von Südthüringen am Samstag auf eine Berichterstattung fast gänzlich verzichten. Offenbar gilt hier eine journalistische Regel in Thüringen: „Nicht gemeckert, ist höchst mögliches Lob.“