Erfurt – Barcelona – Erfurt – Krakau – Tage in Europa
Außenpolitik gehört nicht zu den Zuständigkeiten für eine Landesregierung aber natürlich pflegen die Bundesländer in Deutschland gute und intensive Kontakte zu anderen Regionen in Europa und zum Teil auch darüber hinaus. Auch Thüringen tut das. Das ist auch in unserem Interesse. Zum einen war ich schon immer der Auffassung, dass sich Europa nur gut und erfolgreich entwickeln kann, wenn es von unten wächst. Nicht jede noch so gut gemeinte Richtlinie, die in Brüssel entsteht, legt die Basis dafür. Die Menschen in Europa werden darüber entscheiden, wie sich unser Kontinent entwickelt. Deshalb braucht es aus meiner Sicht gute Beziehungen zwischen Gemeinden in Europa aber eben auch zwischen Regionen und zwar auf ganz unterschiedlichen Ebene. Schüler-, Kultur- oder Sportaustausch, Kontakte zwischen regionalen Unternehmen, Zusammenarbeit von Hochschulen sind genauso wichtig, wie der politische Austausch. Thüringen pflegt zu mehreren Regionen in Europa derartige Beziehungen und zwar zur Region Hauts-de-France in Frankreich, zu Ungarn und zur Wojewodschaft Malopolskie in Polen.
Ende letzter Woche besuchte ich aber zunächst eine Region in Europa, die zwar immer wieder die Schlagzeilen prägt, zu der Thüringen bisher aber keine engen Beziehungen pflegt. Im Sommer des vergangenen Jahres traf ich mitten in Erfurt einen langjährigen Freund wieder, den Pfarrer Holger Lübs. Holger Lübs ist seit 2013 Pfarrer der Deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde in Barcelona und ich kenne ihn schon lange aus Erfurter tagen. Er vermittelte eine Einladung des Kreises Deutschsprachiger Führungskräfte in Barcelona und so machte ich mich auf nach Katalonien. Spanien hat ökonomisch für Thüringen eine hohe Bedeutung. 5% aller Thüringer Exporte gehen nach Spanien, der Hauptanteil entfällt auf Fahrgestelle, Karosserien und Motoren. Gleichzeitig durchlebt Spanien seit 2008 eine schwere Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit liegt bei knapp 20%, fast die Hälfte aller jungen Menschen sind arbeitslos. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass sich die Bestrebungen nach staatlicher Unabhängigkeit in Katalonien verstärken. Ich war 1976, kurz nach dem Ende der Diktatur Francos das erste Mal in Barcelona, ich weiß um den Stolz der Katalanen auf ihr Land, die Sprache und Geschichte. Die spanische Verfassung heute ist stark zentralistisch geprägt, ein Föderalismus, wie ihn unser Land prägt, kennt Spanien nicht. Es mag durchaus Gründe gegeben haben, die Demokratie in Spanien zunächst von oben zu entwickeln. Mir scheint, dass Spanien nun durchaus in der Lage wäre, in einen Diskussionsprozess einzutreten, wie den Regionen in Spanien mehr Kompetenzen und Rechte eingeräumt werden können als bisher. Immerhin kennt Spanien durchaus differenzierte Recht für die Autonomem Regionen. Das Baskenland darf fast 95% seiner Steuereinnahmen behalten und Navarra betrachtet sich als eigenständige Königreich im Spanischen Nationalstaat. Da wäre eine gemeinsame Bewegung in der Regionalen Selbstständigkeit wohl eine notwendige und gute Lockerungsübung.
In meinen Gesprächen mit der Parlamentspräsidentin Kataloniens Carme Forcdaell und dem Präsidenten der Generalitat, so heißt der Amtstitel des Ministerpräsidenten Kataloniens, Carles Puidgemont habe ich dafür geworben, in der Debatte mehr nach Deutschland zu schauen. Bei aller Kritik, die man auch an unserem Verfassungssystem haben kann, gibt es eben in Deutschland eigenständige Bundesländer, die etwa im Kultur- und Bildungsbereich, ganz eigenständig entscheiden können, welche Prioritäten sie setzen. Und so anstrengend die Verhandlungen um den Länderfinanzausgleich auch waren und so sehr ich andere Überlegungen hatte, so überzeugt bin ich davon, dass das deutsche Modell des Finanzausgleichs durchaus garantiert, dass es einen Ausgleich zwischen unterschiedlich starken Bundesländern gibt. Meine Gesprächspartner zeigten sich sehr interessiert an dem deutschen Modell des Föderalstaates. Gleichzeitig bestehen sie aber auf einem Referendum über die Unabhängigkeit. Das wiederum lehnt der spanische Staat ab und setzt eher auf die juristische Karte. So ist die Parlamentspräsidentin von einem Prozess bedroht, weil sie das Thema des Referendums im Parlament auf die Tagesordnung gesetzt hat. Mein Rat wäre alles zu versuchen, einen gesamtspanischen Dialog zu eröffnen und gegenseitige Provokationen zu unterlassen, denn unversöhnliche Forderungen gegeneinander helfen niemandem.
Aber es ging auch darum, wie Thüringen Katalonien unterstützen kann. Bereits jetzt werden bei uns spanische Jugendliche in Metallbetrieben und im Hotel- und Gaststättenbereich ausgebildet und ich bin sehr dafür diese Kooperation auszubauen. Dieses Thema stand auch im Mittelpunkt meines Gespräches beim Kreis Deutschsprachiger Führungskräfte. Deutsche Unternehmen muss ich nicht von der Qualität der dualen Ausbildung in Deutschland überzeugen.
Sehr interessant waren für mich dann am Nachmittag die Gespräche mit dem katalanischen Netzwerk für solidarische Ökonomie XES, dass Genossenschaften aus verschiedenen Bereichen von Landwirtschaft bis Stromerzeugung vereint und neben der klassischen Ökonomie einen anderen Weg gehen will. Ich bin auf engagierte Menschen getroffen, denen es nicht so sehr um die Profitmaximierung geht, sondern denen auch die soziale Bilanz ihrer Arbeit wichtig ist. Das fördert regionales Wirtschaften, Nachhaltigkeit und bietet gute Möglichkeiten Menschen in Arbeit zu integrieren, die sonst eher geringe Chancen hätten. Und auch das Gespräch mit Vertretern des katalanischen Gewerkschaftsverbandes CCOO hatte für mich einen hohen Erkenntnisgewinn. Interessant für mich vor allem die Aussage, dass die Gewerkschaften das Gefühl beschleicht, dass die Unabhängigkeitsdebatte von den drängenden sozialen Problemen Spaniens und Kataloniens ablenkt. Aus deren Sicht ist die Regionalregierung weniger damit beschäftigt, die Schere zwischen arm und reich zu schließen, sondern mehr mit der Referendumsfrage.
Für mich war dieser Kurzbesuch in Barcelona allemal lohnenswert. Mein Verständnis für die Haltung der katalanischen Regierung ist gewachsen und ich konnte meine Position einbringen und für eine föderale Lösung innerhalb Europas werben.
Wenige Tage später ging es dann in den Osten Europas nach Krakau. Seit vielen Jahren verbindet Thüringen und die Wojewodschaft Malopolskie eine enge Beziehung. Gerade jetzt, wo der Dialog mit der Regierung in Warschau schwieriger geworden ist, erweist sich, wie wichtig diese regionalen Kontakte sind, damit die Gespräche und der Austausch nicht abbrechen.
In diesem Jahr konnten wir zum ersten Mal eine weitere Region, außerhalb der EU, zu einem Gespräch begrüßen. Gemeinsam mit dem Marschall der Wojewodschaft Jacek Kruppa traf ich mich mit dem Gouverneur des Oblast Lviv (Lemberg) Oleh Synyutka zu einem Gespräch, um darüber nachzudenken, ob wir einen Trialog der drei Regionen entwickeln können. Uns verbindet die gemeinsame Geschichte im Ostblock, ähnliche Herausforderungen der Transformation und ein gemeinsames Verständnis für die Bedeutung demokratischer Rechte und Freiheiten. Es gibt also eine Reihe von Ansatzpunkten der Zusammenarbeit. Auch das wäre ein wichtiger Beitrag das Haus Europa von unten zu entwickeln und zu befördern.
Anlass meines Besuches war aber ein anderer. In der Gedenkstätte des Deutschen NS-Vernichtungslagers Auschwitz wurde eine Ausstellung über die Erfurter Firma Topf und Söhne eröffnet, jener Firma, die die Verbrennungsöfen lieferte, ohne die die Vernichtung von Millionen Menschen nicht möglich gewesen wäre. Es war mir ein persönliches Anliegen, gemeinsam mit einer Delegation Erfurter Bürgerinnen und Bürger an der Ausstellungseröffnung teilzunehmen und nochmals deutlich zu machen, dass es für Thüringen immer Pflicht sein wird, die Mahnung an den Verbrechen, die im Namen und durch Mittun des deutschen Volkes verübt wurden, wachzuhalten und alles dafür zu tun, dass sich das nie wiederholt.
Für mich ist auch das Teil des Streitens für ein soziales, demokratisches und weltoffenes Europa, frei von Hass und Rassismus. Kein Blick in die Zukunft ohne Verantwortung für das Geschehene und vergangene. Gerade in Zeiten von befremdlichen Forderungen von 180 Grad Wendungen in der Gedenkarbeit.