Das Land miteinander gestalten, nicht in Abwehrschlachten
Am Donnerstag übergaben 72 Bürgerinnen und Bürger dem Innenminister ihr Gutachten zur anstehenden Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform (https://die-gebietsreform.de/buergergutachten-an-die-landesregierung-uebergeben/ ). In dem Gutachten sind viele Ideen, Vorschläge und Rahmenbedingungen für eine notwendige Reform enthalten, die es wert sind, einer genaueren Betrachtung unterzogen zu werden.
Bei MDR Thüringen wird am Tag der Übergabe des Bürgergutachtens allerdings eine aufgeregte Meldung zur lauten Begleitmusik, die den ganzen Tag mit unterschiedlichen Schattierungen gespielt wird und deren lautstarker und vermeintlich spektakulärer Inhalt überdeckt dann die ganze Arbeit der Bürger und hat halt mit dem Gutachten nichts zu tun. Suggeriert wird, dass es große Neuigkeiten in einem Schreiben des Innenministers gäbe und viel Streit darum entstanden sei. Geplante freiwillige Zusammenschlüsse sollten behindert, verzögert oder gar ganz blockiert werden. Das gelte vor allem für solche Fusionen, die als „Abwehrfusionen“ dazu führen könnten, Ober-, Mittel- und Grundzentren zu schwächen.
Einer der ersten Kommentare unter dem MDR-Beitrag auf der Internetseite von Radio Thüringen stammt interessanterweise von Markus Ermert, dem Stellvertretenden Chefredakteur des „Freien Wortes“, der kurz und knapp formuliert:
„Der Brief formuliert lediglich, was im Gesetz steht: Der Landtag entscheidet, keiner sonst. „Freiwilligkeitsphase“ heißt, dass Gemeinden Fusionen vorschlagen und vorbereiten können. Dass sie selber darüber entscheiden dürfen, war niemals vorgesehen. Das würde übrigens auch in der Praxis nicht funktionieren.“
Auch ich darf aus Sicht von MDR Thüringen in einer solchen „Story“ nicht fehlen. Ich hätte mit Bezug auf eine geplante Fusion von St. Kilian, Schleusingen und Nahetal-Waldau im Kreis Hildburghausen gesagt, dass diese als Abwehrfusion gegen Suhl nicht akzeptabel sei.
Gestern wurde die Debatte in den Thüringer Printmedien fortgesetzt. Die „Osterländer Volkszeitung“ zitiert mich gestern mit der Aussage, ich hätte gegen eine solche Fusion nichts einzuwenden, während das „Freie Wort“ zu wissen glaubt, dass ich eine solche Fusion doch ablehnen würde.
Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Landesregierung zur Frage der Fusionen von Gemeinden, die möglicherweise angrenzende Ober- und Mittelzentren schwächen oder in deren Entwicklung beeinträchtigen, immer klar Stellung bezogen hat. Die Landesregierung kann solche Fusionen im Hinblick auf eine nachhaltige Landesentwicklung nicht zulassen. Darauf habe auch ich mehrfach hingewiesen, so in einem Interview mit dem „Freien Wort“ im Sommer 2016. Konkrete Beispiele zu nennen, habe ich nach Möglichkeit vermieden, will aber am Beispiel von zwei Gemeinden deutlich machen, worum es mir in dieser Debatte geht:
Blicken wir nach Krauthausen bei Eisenach. Eine wunderbar entwickelte Gemeinde mit einem sehr gut gefüllten Gewerbegebiet. Dort gibt es viel Arbeitsplätze in Firmen, die aber gern auch mal den Namen „Krauthausen“ weglassen und gleich von „Eisenach“ sprechen. 1.500 Menschen leben dort in der Gemeinde aber ohne Eisenach wäre dieses Gewerbegebiet nicht denkbar: Arbeitskräfte kommen aus der ganzen Region und auch direkt aus Eisenach. Solche Standortentscheidungen hängen natürlich auch vom Vorhandensein guter Infrastruktur ab, wie zum Beispiel/ Kultureinrichtungen, Krankenhaus, Fachärzte, Hochschule, Berufsschule, Fachschule, weiterführende Schulen und Kultureinrichtungen und alles ist selbstverständlich im nahen Eisenach vorhanden. Man nennt das weiche Standortfaktoren, die für jede Gewerbe- und Wirtschaftsansiedlung wichtig sind. Nur finanziert wird das alles von der Stadt Eisenach, während sich Krauthausen über sprudelnde Gewerbesteuereinnahmen freut. Ist das eine gute oder gar faire Entwicklung?
Bereits im Landtagswahlkampf 2014 führte mein Hinweis auf diese ungleichen Bedingungen zu heftigen Protesten gegen mich als Spitzenkandidat meiner Partei, begleitet von Zeitungsannoncen und dem Aufruf mich bei Wahlentscheidungen halt nicht mit der Stimme zu bedenken. Insofern kann ich für mich nur konstatieren, dass ich meiner Haltung treu bleibe und jetzt nichts anderes vertrete, als vor der Landtagswahl.
Und schauen wir uns noch ein zweites Beispiel an, die Gemeinde Ichtershausen (Amt Wachsenberg). Der Lage in der Nähe der Autobahn verdankt die Gemeinde mit knapp 3.000 Einwohnern mehrere Gewerbegebiete in der Nähe zu Erfurt und Arnstadt. Die Steuereinnahmen sprudeln dank des Erfurter Kreuzes. Arnstadt dagegen muss sehen, wie es klar kommt. Wen wundert es, dass die Bürger, danach gefragt, ob sie lieber die niedrigen Gebühren für den Kindergarten und die geringeren Steuerhebesätze in Ichtershausen und Holzhausen behalten bzw, bekommen können oder sich an den Kosten der sozialen und kulturellen Infrastruktur in Arnstadt beteiligen wollen, sich für eine Fusion ohne Arnstadt entscheiden. Arnstadt muss dann sehen, wie es seine Infrastruktur, die auch Menschen im ganzen Gewerbe und Industriegebiet und auch in Ichtershausen oder Holzhausen nutzen, finanziert. Meine simple Frage ist: „Was darin ist fair und gerecht?“
Ich bin einer gleichwertigen Entwicklung der Lebensverhältnisse in Thüringen verpflichtet und so sehr ich mich über volle Gewerbegebiete freue und auch über Unternehmen, die hier Steuern zahlen, so sehr stört es mich, dass auch dieser Reichtum nicht gleichmäßig verteilt wird. Alle Unternehmen in dieser Region wissen, dass sie von den Angeboten und Arbeitskräften aus Erfurt oder Arnstadt profitieren. Aber Ichtershausen muss eben weder Gymnasium, Krankenhaus oder gar Theater oder Museum unterhalten.
Zur Qualität des Standort Thüringens gehört aber eben auch, wie gut unsere Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser in Schuss sind, ob wir Theater, Museen und Sporteinrichtung vorhalten. Das ist der Grund, weshalb ich eine ausgewogene Entwicklung des ganzen Landes in den Mittelpunkt meiner Haltung in dieser Frage rücke. Das ist im übrigen auch nicht neu und revolutionär, sondern auch langjährige Beschlusslage meiner Partei, der Unterschied zu Vorgängerregierungen besteht allerdings darin, dass ich es nicht bei Worten belasse. Ich und die Landesregierung werden diese Reform umsetzen.
Ich wiederhole mich gern: Ich bin offen für Vorschläge über das „Wie“. Deswegen hat mich übrigens ein zweiter Aspekt des Beitrages von MDR Thüringen verwundert. Viele Bürgermeister würden das Modell einer Verbandsgemeinde begrüßen und müssten nun feststellen, dass die Landesregierung hierzu keine Gesetzesinitiative ergreife. Ich kann mir nur verdutzt die Augen reiben. Am Beispiel der Niedersächsischen Samtgemeinde oder der Verbandsgemeinde in Rheinland-Pfalz habe ich immer wieder deutlich gemacht, dass ich in dieser Frage offen wäre. Auch deshalb habe ich der Bürgerinitiative „Kommunale Selbstverwaltung“ schriftlich Verhandlungen angeboten, damit wir zu einem guten Kompromiss miteinander kommen, ohne, dass hier der Verfassungsgerichtshof entscheiden muss.
Und weder in den vielen Gesprächen mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die ich beinahe täglich führe oder in Briefen, die ich erhalten habe, ist mir hier bisher ein konkreter Vorschlag dazu begegnet.
Ich bleibe dabei: Führen wir die Debatte anhand von Argumenten und nicht anhand von Unterstellungen oder Mutmaßungen. Meine grundlegenden Argumente für die Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform habe ich zuletzt in einem Brief an die Landrätinnen, Landräte, Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister dargelegt. Daran lasse ich mich auch gern messen. Sachlichkeit werden uns und unser Thüringen deutlich weiter bringen.