Sachor! Gedenke!
Es war eine besondere Woche, die gestern mit dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus abschloss, jenes Tages, den Roman Herzog als Bundespräsident am 3. Januar 1996 proklamierte. Zur Begründung führte er aus:
„Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“
Roman Herzog war am 10. Januar verstorben und wurde in dieser Woche mit einem Staatsakt verehrt.
Wie notwendig es ist, das Gedenken zu pflegen, die Erinnerung wachzuhalten, auch das war in dieser Woche zu besichtigen. Es ist unübersehbar: Die Versuche nehmen zu, die Verantwortung Deutschlands für eines der größten Verbrechen in der Menschheit, der Shoah, herunterzuspielen. Gleichzeitig soll ein Baustein unserer demokratischen Gesellschaft nach 1945 zerstört werden, dass nämlich die Mahnung an die Verbrechen und die Verantwortung unseres Landes dafür, gleichzeitig die Pflicht beinhaltet, alles dafür zu tun, dass nie wieder in Deutschland Kräfte in Verantwortung kommen, die Rassismus und Hetze das Wort reden.
Das Parlament, der Landtag sind üblicherweise der Ort des Wortes. Die Abgeordneten tauschen Argumente in einer Debatte aus und streiten um verschiedene Vorstellungen. Manifestationen im Plenarsaal sind eher unüblich und unerwünscht. Es muss also etwas besonderes geschehen sein, wenn alle Abgeordneten von CDU, LINKE, SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und zwei fraktionslose Abgeordnete sich entschließen, im Plenarsaal bildlich das Mahnmal für die ermordeten Juden von Berlin nach Erfurt holen. Es gibt in dieser Grundfrage eben keinen Dissens zwischen Demokraten. Klar ist aber, die Haltung zu diesem Teil unserer Geschichte, muss für demokratische Parteien eben auch der Gradmesser dafür sein, ob ein Miteinander überhaupt denkbar ist. Wer meint, sich von dieser Pflicht unseres Landes verabschieden zu können, der verabschiedet sich aus meiner Sicht, aus dem Kreis der demokratischen Kräfte unseres Landes.
Und insoweit war es nur konsequent von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Dora-Mittelbau den Opfern des Nationalsozialismus und ihren Angehörigen die Begegnung mit jemandem zu ersparen, der meint, dass sich Deutschland von dieser dämlichen Bewältigungspolitik verabschieden solle und eine Wende in der Erinnerungspolitik um 180 Grad einleiten solle. Wie soll sich die Überlebende von Auschwitz Eva Pusztai, wie der Ehrenpräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora, Bertrand Hertz und wie der ehemalige KZ-Häftling, Günter Pappenheim, dem am Freitag durch den Botschafter der Französischen Republik die Insignien eines Kommandeurs der Französischen Ehrenlegion verliehen wurden? Sie würden mit Recht die Aufrichtigkeit unseres Gedenkens und Mahnens hinterfragen, wenn sie auf jene treffen, die meinen, das alles sei nicht notwendig.
In meiner Rede vor dem Landtag am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus habe ich darauf hingewiesen, dass unser Gedenken nur glaubhaft ist, wenn es den Respekt vor der Vielfalt der Menschen einschließt und wenn wir sie mit der konsequenten Absage an Ressentiments gegenüber Minderheiten, gleichgültig ob es sich um Flüchtlinge, Homosexuelle, Obdachlose oder Andersgläubige handelt. Natürlich lebt Demokratie vom Diskurs, auch davon, unterschiedliche Meinungen auszutauschen und auszuhalten aber eben mit Respekt vor dem Anderen und ohne dabei mit Gewalt und Hass zu arbeiten.
Nein, es darf kein Ende der Erinnerung und Mahnung geben. Fast täglich erleben wir in unserem Land Übergriffe auf Ausländer, antisemitische Ausfälle und viele von uns sind schon Opfer von Hass und Hetze im Netz geworden. Auf diesem Nährboden kann schnell wieder eine Saat aufgehen, die wir doch schon lange ausgelöscht meinten.
Wie mahnte Günter Pappenheim uns im Landtag:
„Wir haben hinter uns 1933 bis 1945. Und alle sind den Rattenfängern von Hameln hinterhergelaufen. Über das Ergebnis haben wir heute hier gesprochen. Sorgen Sie dafür, dass sich das nicht wiederholt!“
Sachor! Gedenke! Heute ebenso wie in der Zukunft.