Thüringen braucht ein starkes Europa
Die vergangene Woche war in vielerlei Hinsicht ein sehr ereignisreiche für mich. Seit langem hatte ich einen Besuch in Paris, Lille und in Brüssel geplant, nicht nur, aber eben auch, um um den 9. November herum, einen besonderen Akzent zu setzen.
In Paris weilte ich am Dienstag auf Einladung des Maison Heinrich Heine zu einem Vortrag zum Thema „Rot-rot-grün in Thüringen – Ein Vorbild für Deutschland?!“. Der Saal war voll mit deutschen Studierenden aber auch mit französischen Gästen, die sich sehr dafür interessierten, ob ein Bündnis von mitte-links funktionieren kann, welche Akzente es setzt und inwieweit es Beispiel, auch für Optionen auf Bundesebene sein kann. Natürlich ging es auch um den erstarkten Rechtspopulismus in Frankreich und Deutschland. Eine spannende Debatte mit Prof. Henri Menudier von der Pariser Sorbonne.
Aber bereits vorher konnte ich interessante Gespräche führen. Mit dem französischen Außenminister Jean-Marc Ayrault sprachen wir vor allem über die Belebung des Weimarer Dreieck zwischen Frankreich, Polen und Deutschland. Ich machte deutlich, dass aus meiner Sicht, die Regionen hierbei eine besondere Rolle spielen müssen. Vor Ort erlebe ich viel Sympathie für die europäische Idee und auch konkrete Ansätze, um den Nutzen Europas zu verdeutlichen. Wer durch Thüringen fährt, wird über Hinweise, welche Projekte alle mit europäischen Fördermitteln entstanden, kaum hinwegsehen können. Aber viele Menschen sehen eben auch, ein Europa, dass eben nicht dazu führt Lebensverhältnisse anzugleichen, sondern die Unterschiede allzu oft verschärft. Dass das letztlich nur Ergebnis des Handelns von Nationalstaaten ist, kommt bei vielen nicht an. Hinzu kommt, dass die europäischen Institutionen allzu oft als handlungsunfähig erscheinen.
Spannend auch die Gespräche mit der deutsch-französischen Gruppe im Senat. Die guten Beziehungen beider Länder müssen weiter vertieft werden und ich finde den Vorschlag, eine deutsch-französische Arbeitsgruppe auch im Bundesrat zu schaffen, für mehr als bedenkenswert.
Besonders interessant war für mich das Gespräch mit dem Generalsekretär der französischen Gewerkschaft Force ouvrière, Jean-Claude Mailly. In den letzten Monaten gab es in Frankreich heftige Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Gewerkschaft um eine neue Arbeitsgesetzgebung. Manche kommentierten die Politik von Präsident Hollande in Deutschland als eine Art „Hartz IV-Reformen“ in Frankreich. Insofern war der Austausch sehr wichtig für mich. Ich will aber nicht verschweigen, dass die Aussagen von Kollegen Mailly insbesondere zum Zustand der politischen Linken in Frankreich und zu einem möglichen Ausgang der Wahlen im kommenden Mai alles andere als optimistisch waren.
Und dann der 9. November… Noch in der Nacht war unsere kleine Delegation von Paris nach Lille gereist und als wir abends ins Bett gingen, ahnten wir wahrlich noch nicht, welche Note der 9.11.2016 für uns bereit hielt. Donald Trump, der 45. Präsident der USA. Es würde den Rahmen dieses Eintrages sprengen, wollte ich hier allzu ausufernd kommentieren. Aber auch wir in Deutschland tun gut daran, das Ergebnis und dessen Ursachen zu analysieren. Ein selbsternannter Kämpfer gegen das amerikanische Politestablishment gewinnt diese Wahl mit einem Programm, bei dem zu befürchten steht, dass es das Land eher noch weiter spaltet.
Ich war nach Lille gereist, um den Präsidenten des Regionalrates der Region Hauts-de-France, Xavier Bertrand, zu besuchen, einer Region, die am 1. Januar 2016 durch den Zusammenschluss der beiden Regionen Nord-Pas-de-Calais und der Picardie entstanden. Thüringen und die Picardie verbindet eine lange Partnerschaft. Es gab und gibt regen Austausch zwischen Schulen, Hochschulen und Vereinen und natürlich bin ich sehr daran interessiert, diese guten Beziehungen auch mit der neuen Region Hauts-de-France zu pflegen. Auch deswegen war ich mehr als erfreut, dass dies ein beidseitiges Interesse ist. Beide Regionen einen ein tiefgreifender Strukturwandel (wenn auch mit unterschiedlichen Ursachen) und demografische Herausforderungen. Deswegen kann der Austausch, wie wir unsere Regionen erfolgreich nach vorn entwickeln für beide Seiten interessant sein. Xavier Bertrand war sehr interessiert am dualen Ausbildungsprinzip in Deutschland und der Kraft unserer kleinen und mittelständischen Unternehmen. Konkret haben wir den Besuch von Xavier Bertrand in Thüringen 2017 vereinbart.
In Brüssel wartete schon das nächste wichtige Gespräch auf mich. Von Günther Öttinger, dem EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft konnte ich mich ganz konkret über die aktuellen Themen auf Ebene der Kommission informieren lassen. Immerhin steht die nächste Förderperiode vor uns und will schon jetzt vorbereitet werden, die für Thüringen viele Herausforderungen bedeuten, nicht nur, aber eben auch durch den Brexit. Und natürlich war es mehr als informativ auch darüber mit dem künftigen Haushaltskommissar der EU zu reden.
Der Abend rundete dann meinen Besuch in Frankreich und Belgien ab. In der Bibliotheque Solvay in Brüssel diskutierte ich mit Günter Verheugen und Zusza Breier über die Osterweiterung der EU, ganz bewusst übrigens am 9. November. Was blieb von der Aufbruchstimmung im Osten Europas. Herr Verheugen berichtete aus seiner konkreten Erfahrung als Erweiterungskommissar, Frau Breier als Ungarin in Deutschland. Für mich ist ganz klar: Ohne die europäische Solidarität stünde Thüringen heute längst nicht da, wo es jetzt angekommen ist und das bedeutet dann eben auch, ein Stück dieser Solidarität zurückzugeben. Es gab viel Übereinstimmung in der Runde. Etwa darüber, dass Europa nur dann bestehen wird, wenn es gelingt, dass die Menschen auf dem Kontinent das Gefühl haben, dass Europa einen Wert für sie hat. Viele Sorgen und Ängste treiben die Menschen um, die es ernst zu nehmen gilt und denen sich Politik vor Ort wie dann auch auf europäischer Ebene stellen muss. Eine spannende Debatte.
Ich bin mit vielen Eindrücken, Ideen und Aufgaben zurückgekehrt nach Thüringen. Es lohnt sich weiter für ein soziales, ein demokratisches und ein vielfältiges Europa zu streiten, dass von den Regionen, von den Menschen her wachsen muss.
Es war eine Woche mit ganz unterschiedlichen Begegnungen und die Woche endete zum einen mit der Eröffnung des Reformationstages in Thüringen in Eisenach, womit wir schon wieder bei Europa sind. Auch die Reformation hat Europa ganz tiefgreifend verändert.
Am Freitag dann gab ich eine Regierungserklärung zum neuen Thüringen-Monitor 2016, der sich mit durchaus auch mit einem europäischen Thema befasst: Dem Umgang mit Flüchtlingen, Haltungen und Einstellungen, wenn auch bezogen auf Thüringen.