Von gespielter und tatsächlicher Empörung

In Thüringen kann der geneigte Beobachter derzeit einem besonderen Schauspiel beiwohnen. Zeitungen, Twitter und Facebook sind voll davon.

Es geht um ein Bild: Darauf zu sehen sind die Fraktionsvorsitzenden von LINKE, SPD und Bündnis 90 / Die Grünen vor dem Gebäude des Thüringer Landtages. Der SPD-Fraktionsvorsitzende streckt die Hand zur Haus, der Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN hat den Daumen nach oben und die Ärmel nach oben gekrempelt und die LINKEN-Fraktionsvorsitzende lächelt selbstbewusst und twittert: „Gute Laune & Spaß bei der Sache, das ist #r2g“.

Natürlich haben wir nicht immer nur Spaß in der Arbeit miteinander, entscheidend ist aber: Das Foto macht deutlich, dass wir auf Augenhöhe miteinander arbeiten, und dabei durchaus auch Freude und Spaß haben…

Natürlich war es mir ein Bedürfnis dieses Gefühl der Fraktionsvorsitzenden der Koalitionsparteien zu verbreiten und zu retweeten. Soweit so gut, sollte man meinen.

Nicht klar war den Beteiligten, welche Empörungsrhetorik nach der Veröffentlichung des Tweets nun die Runde machte…

Worum geht es? Um vier Buchstaben, die mir beim retweeten nicht aufgefallen waren (Ich habe sie nicht gesehen!). Ganz rechts unten, grau auf grau ist darauf zu lesen: ACAB…

Nun sind weder Susanne Hennig- Wellsow, noch Matthias Hey, Dirk Adams oder ich bekannt als Hooligans oder Punks, so dass es eben doch vorstellbar ist, dass die Bedeutung der vier Buchstaben, die sie jetzt etwa für die Thüringer CDU haben, mir nicht sofort klar war, als ich das Bild auf Twitter geteilt habe. Und der ironische Charakter der Fotomontage sollte sich dem Betrachter doch schnell erschließen, nicht nur weil ein Sozialdemokrat nun plötzlich die „Thälmann-Faust“ erhebt.

Die CDU Thüringen und andere Empörungsrhetoriker interessiert das nicht. Sie interessiert auch nicht der Unterschied zwischen dem Erstellen eines eigenen Tweets und dem einfachen retweeten. Bei letzterem ist eben die Frage, ob man sich durch retweeten mit allen Details des Tweets auch wirklich einverstanden erklärt und diese inhaltlich teilt. Rechtlich macht man sich jedenfalls nicht verantwortlich, wenn man ein Bild durch retweeten freigibt.

An dieser Stelle sei mir der Exkurs gestattet, dass leider der Fraktionsvorsitzende der AfD im Thüringer Landtag, Björn Höcke, darauf verzichtet, die gerichtliche Auseinandersetzung mit mir zu führen, damit diese Frage mal geklärt wird. Dabei ging es um eine von Höcke geforderte Unterlassungserklärung meinerseits zu retweeten eines Bildes mit dem „Höckegruß“ und einem Text der „taz“ dazu.

Im Netz scheiden sich die Geister. Die einen schicken mir nun alle möglichen Deutungen, was ACAB alles bedeuten mag, die anderen unterstellen, ich hätte das Foto mit der Absicht verbreitet, das Ansehen der Thüringer Polizei herabzuwürdigen. Dazu zähle ich auch einen Satz, der Polizistinnen und Polizisten zu Bastarden erklärt. Ich finde diesen Satz falsch und ehrverletzend.

Eigentlich ist diese Behauptung so absurd, dass es kaum lohnenswert ist, sich damit zu befassen. Allein, gerade die Thüringer CDU wiederholt diesen Vorwurf immer wieder.

Mir ist bewusst, was den Beamtinnen und Beamten der Thüringer Polizei permanent abverlangt wird, wie oft sie den Kopf hinhalten müssen, wie oft sie als Prellböcke für gesellschaftliche Auseinandersetzungen missbraucht werden. Ich habe hohen Respekt vor der Tätigkeit der Kolleginnen und Kollegen, die sie jeden Tag im Interesse unseres Bundeslandes erbringen.

Auch deshalb finde ich jede Form von verbalen oder auch tatsächlichen Attacken auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte unerträglich und nicht hinnehmbar!

Das habe ich auch mehrfach öffentlich erklärt, die Empörung der CDU und anderer kann das bei Twitter irgendwie nicht stoppen.

Vielleicht sollte sich die CDU Thüringen lieber darüber empören, dass der Landesverband der CDU Rheinland-Pfalz sich über eine Eisenacher Anwaltskanzlei mit Spenden aus dubiosen Quellen versorgen lässt. Das wäre ein Grund. Oder sind die Kollegen einfach mal nur „mausgerutscht“?

Oder vielleicht sollte die CDU Thüringen sich deutlicher in die Debatte um die Ereignisse des 3. Oktober in Dresden einbringen, als die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin und viele andere Gäste unerträglich beschimpft und beleidigt wurden. Bei mir hat das viele Fragen ausgelöst, die sich auch andere Gäste gestellt haben, auch aus der CDU. Von der CDU Thüringen habe ich dazu wenig vernommen. Übrigens auch in Dresden waren es viele Polizistinnen und Polizisten, die Reflektionsfläche der Auseinandersetzungen wurden.

Das nenne ich empörend!

Ja, wenn mir die Buchstaben auf dem Bild aufgefallen wären, hätte ich dafür geworben, sie mit dickem Stift durchzustreichen oder ich hätte daneben geschrieben. ACAB = All Cops are beautiful!

Aber selbst das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil zu eben jenen Buchstaben festgestellt:

„Nach den dargelegten Maßstäben reicht es nicht aus, dass die Polizeikräfte, die die Parole „ACAB“ wahrnehmen, eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten bilden. Vielmehr bedarf es einer personalisierenden Adressierung dieser Parole, für die hier nichts ersichtlich ist. Das Wissen der Beschwerdeführer, dass Polizei im Stadion ist und die Parole wahrnehmen würde, reicht hierfür nach verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht.“ (Beschluss vom 17. Mai 2016)

Das hindert einen CDU-Abgeordneten und ehemaligen Innenminister dennoch nicht, Strafanzeige zu stellen. Vielleicht hätte es der Respekt vor dem höchsten deutschen Gericht geboten, sich sachkundig zu machen, bevor Anzeige erstattet. Aber auch das gehört zur Empörungsrhetorik.

Und bei all dem geht es um eine Montage, hier wurde nicht ein Haus mit Graffitis beschmiert und damit eine Sachbeschädigung begangen, hier geht es um ein Foto.

Es lohnt sich daran zu erinnern, dass es noch nicht lange her ist, da verschwanden junge Leute im Knast, weil sie sprühten: „Macht aus diesem Staat Gurkensalat“, oder „Neue Männer braucht das Land!“. Meinungsfreiheit ist in einem demokratischen Rechtsstaat ein hohes Gut und deswegen haben wir allen Grund, sorgsam damit umzugehen.

Ich sage aber auch, wären mir die Buchstaben aufgefallen, hätte ich das Foto nicht retweetet und leider gilt in diesem Fall: hätte, hätte Fahrradkette.

Ein Hinweis noch zum Schluss:. Ich bin Schirmherr der Magnus-Hirschfeld-Tage. Magnus Hirschfeld ist ein anerkannter Sexualwissenschaftler, den die Nazis ins Exil trieben, dessen Institut sie vernichteten, der viel für einen aufgeklärten Umgang mit Sexualität getan hat, lange bevor an Erika Berger und Doktor Sommer zu denken war.

Im Rahmen der Magnus-Hirschfeld-Tage finden in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen viele Veranstaltungen statt, die für Toleranz und Vielfalt werben und gegen Diskriminierung. Die AfD in Thüringen nimmt das nun zum Anlass um auf widerlichste Weise ihre homophobe Propaganda zu verbreiten. Dass die AfD ein Problem hat mit einem selbstbewussten Umgang mit dem Thema Sexualität ist ja nichts neues, dass sie gegen Andersdenkende, Andersaussehende und Andersliebende hetzt, wo immer sie kann, oder auch nicht, nur leider ist bei diesem Thema die Empörung in der Gesellschaft nicht annähernd so groß, wie die um vier Buchstaben.

Und das  macht mir  Sorge.