Ein Tag der Freude, ein Tag der Nachdenklichkeit

Gestern beging Deutschland den 26. Tag der Deutschen Einheit. Am 3. Oktober 1990 traten die ostdeutschen Bundesländer dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei. Formal war damit die deutsche Teilung überwunden.

Bewusst meine ich formal, denn wir alle wissen, dass in vielen Köpfen und Herzen die Unterschiede, die Fremdheit nicht abgebaut ist, weder in Ost noch in West.

Der 26. Tag der Deutschen Einheit war ein besonderer. Dresden, die sächsische Hauptstadt, war in diesem Jahr Gastgeber für die offiziellen Feierlichkeiten. Gemeinsam mit einer Delegation von Bürgerinnen und Bürgern aus Thüringen war auch ich unter den vielen Gästen.

Und Dresden zeigte sich uns allen mit zwei Gesichtern. Da waren die vielen Gespräche mit Bürgern der Stadt und ihren Gästen über all die Themen, die uns in diesen Tagen bewegen. Antworten auf all die Herausforderungen sind nicht einfach, aber jedes Gespräch empfinde ich als hilfreich und wichtig, auch für mich selbst. Deswegen bin ich gern im Dialog mit den Menschen, ob bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, beim Bundesrat oder dem Thüringen-Zelt.

Dialog setzt aber voraus, dass beide Seiten auch ein Gespräch wollen und da war ich schockiert, dass es einigen offenbar nur noch darum geht, zu pöbeln, zu schreien und nicht mehr zu reden. Es war entsetzlich anzusehen, wie der Botschafter eines afrikanischen Staates mit Affengeschrei und dem Ruf „Abschieben“ empfangen wurde, wie sich die Repräsentanten unseres Landes als Volksverräter beschimpfen lassen mussten. Und die selbsternannten Retter des Abendlandes machen Jagd auf den Repräsentanten der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek. Was für Gegensätze…

Gerade deshalb stimme ich Norbert Lammert zu, wenn er in seiner Rede zum Festakt ausführt:

„Dieser Staat, dessen Einheit wir heute feiern, unsere Gesellschaft, kann und will Möglichkeiten eröffnen, ein Leben in Frieden und Freiheit zu führen: „Dem deutschen Volke“, Hiergeborenen und Zugewanderten, Jungen und Alten, Frauen und Männern, Christen, Muslimen und Juden, Armen und Reichen. Vielfalt ist keine Worthülse – längst wohnen hier in Sachsen gebürtige Schwaben, aber auch Tschechen und Polen, haben Brandenburgerinnen Bremer mit türkischen Wurzeln geheiratet, sind einst aus der DDR freigekaufte Berliner vom Rhein zurück an die Spree gezogen, Westfalen haben in Mecklenburg-Vorpommern ihr Glück gemacht, Niedersachsen in Thüringen – als Ministerpräsidenten zum Beispiel. Und ein Dresdner Schauspieler beeindruckt seit Jahren ein millionenstarkes Fernsehpublikum im „Münster-Tatort“. Deutschland ist ein vitales Land, ein attraktiver Standort, eine vielfältige, bunte Gesellschaft, durch Persönlichkeiten geprägt, die Tradition wie Innovation überzeugend verkörpern.“

Ja, es ist die Vielfalt, die unser Land ausmacht. Und genau für diese Vielfalt müssen wir offenbar derzeit heftig streiten. Nein wir dürfen nicht vergessen, dass es in diesem Land viele gibt, die ausgegrenzt sind oder sich so fühlen: Arbeitslose, Menschen mit Behinderungen, Rentner. Es stellt sich die Frage, wie wir Solidarität künftig neu denken. So sehr ich immer wieder froh bin, dass 1989/90 kein Schuss gefallen ist, dass der kalte Krieg nicht in einem heißen endete, so viele Gründe gibt es für mich für eine faire und solidarische, für eine Gesellschaft der Menschlichkeit und Vielfalt zu streiten.

Der Riss verläuft eben nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen oben und unten. Reiche werden in diesem Land noch immer reicher und Arme bleiben arm.

Mein Plädoyer heißt deshalb: Machen wir den 3. Oktober zu einem Tag der Debatte und des Dialogs, wie wir dieses, unser Land in Zukunft gestalten wollen. Lassen wir uns weniger verstaubte Feierstunden abhalten und dafür mehr miteinander reden: Geflüchtete und Deutsche, Jung und Alt und ja auch Ossis und Wessis und lassen wir nicht zu, dass unsere Gesellschaft von Hass und Gewalt geprägt wird, nicht am 3. Oktober und auch an keinem anderen Tag.