Unterirdische Erkundungen

Endlich ist es richtig Sommer geworden, Ferienzeit, und die Sonne lässt Thüringen nicht im Stich. Mich hat es aber eher unter die Erde gezogen. In der vergangenen Woche habe ich gemeinsam mit unserer Umweltministerin Anja Siegesmund die stillgelegte Kali-Grube Merkers besucht. Wir haben uns über den Stand der Sicherungsmaßnahmen informiert. Natürlich habe ich als Thüringer Ministerpräsident die Interessen des Freistaats zu vertreten. Mir war und ist deshalb wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen dass wir es nicht ohne weiteres akzeptieren können, wenn Thüringen allein für die Sicherung der stillgelegten Kali-Bergwerke zahlen soll. Hier haben uns die Vorgängerregierungen einen schlechten Deal hinterlassen, der die Milliardenlasten für die Sicherung der stillgelegten Bergwerke doch recht einseitig den Thüringer Schultern aufbürdet. Mir ist bis heute nicht plausibel erklärt worden, wie die damalige Regierung einer solchen Vereinbarung zustimmen konnte. Die einzige plausible (und für die damals Verantwortlichen auch ehrenrettende) Hypothese lautet, dass ihnen nicht alle Informationen über das Ausmaß der zu tragenden Risiken vorlagen. Genau das will ich prüfen lassen. Eine andere Prüfung ist aus meiner Sicht dafür gar nicht mehr nötig. Der Bund sucht im Moment nach einem geeigneten Standort für ein Atommüll-Endlager. Die Thüringer Salzstöcke kommen dafür aus meiner Sicht überhaupt nicht in Frage, gerade weil sie nicht trocken sind. Auch das werde ich als Thüringer Ministerpräsident bei jeder Gelegenheit wiederholen.
Davon, dass man aus der Thüringer Erde Rohstoffe fördern kann, ohne die Umwelt unnötig zu belasten, konnte ich mich auch in der vergangenen Woche beim 15jährigen Firmenjubiläum der DEUSA International GmbH in Bleicherode überzeugen. Dort durfte ich eine Festrede halten, und ich meine, Thüringen kann mehr als stolz auf das sein, was das einzige produzierende Kaliunternehmen in Nordthüringen dort gemeinsam mit seinen Beschäftigten geleistet hat. 50 Millionen Euro wurden dort investiert, fast 100 Arbeitskräfte gesichert und zum Teil neu geschaffen, und das alles mit modernen und umweltfreundlichen Verfahren des Solungsbergbaus. Es sind diese Beispiele, die mich zuversichtlich machen, dass Thüringen in den kommenden Jahren zu den europäischen Motorregionen vorstoßen kann, in denen ein ökologisch tragfähiger Wachstumspfad beschritten wird, ohne die Belange der Lebensqualität und der sozialen Sicherheit außer Acht zu lassen. Die DEUSA International GmbH hat im engen Zusammenspiel mit dem Freistaat in die Zukunft investiert, und jetzt werden die Früchte geerntet: Rentabilität, Nachhaltigkeit und sichere Jobs und eine lebenswerte Heimat für die Menschen. Weil wir ein Thüringen wollen, in dem sich ökonomischer Erfolg und ökologische Verantwortung ergänzen, sind wir auch in ständigen intensiven Gesprächen mit K+S, mit dem Unternehmen, mit dem Betriebsrat und mit der zuständigen Gewerkschaft. Es geht auch hier letztlich um die Sicherung von vielen Arbeitsplätzen und um die Sicherung eines Stückchens Heimat für viele Thüringerinnen und Thüringer.
In Interviews habe ich in den vergangenen Tagen einen seltenen Ausflug in die grundsätzlichen Fragen Bundespolitik gemacht, der mir nicht nur freundliche Reaktionen eingebracht hat. In einem Jahr sind Bundestagswahlen, und ich denke, es tut der Demokratie gut, wenn nicht schon vorher klar ist, wer nachher weiter im Kanzleramt regiert. Die einzige Möglichkeit zur Bildung einer Bundesregierung diesseits der Union ist ein Dreierbündnis meiner Partei mit SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN. In Thüringen regiert ein solches Dreierbündnis seit über 1 ½ Jahren stabil, unaufgeregt und mit ungebrochener Reformfreude. Die Erfolgsvoraussetzung dafür war ist, dass wir uns die Freude am Gelingen durch die Konzentration auf die gemeinsamen politischen Schnittmengen erhalten. Wir können Thüringen gemeinsam voranbringen, den Freistaat sozialer, demokratischer und ökologischer machen, wie es unser Koalitionsvertrag vorgibt, ohne in jeder einzelnen Frage einer Meinung zu sein. Mir wäre auch im Bund eine progressive Regierung lieber als eine, die weiter die Illusion verbreitet, alles wäre soweit in Ordnung ist, dass es eigentlich so bleiben kann, wie es ist. Das kann es nämlich nicht. Es ist auch mir nicht entgangen, dass die politischen Schnittmengen zwischen den drei #r2g-Parteien vordergründig vor allem dazu geeignet sind, eine Perspektive für soziale und demokratische Reformen in Deutschland und Europa zu entwickeln.
Ich wusste, welche Reaktionen ich hervorrufen würde, als ich in einem Interview mit der Haltung zur NATO einen der heftigsten außenpolitischen Streitpunkte zwischen den drei Parteien aufgerufen habe. Ich habe das getan, weil ich auch auf dem Gebiet der Außenpolitik ausreichend Spielraum für eine bundespolitische Regierungsperspektive sehe, die dem LINKEN Identitätskern Geltung verschafft. Die Rückkehr zu einer Außenpolitik in der Tradition von Willy Brandt wäre ein lohnendes Projekt für eine progressive Bundesregierung, die weder auf die Einbindung Deutschlands in transnationale Sicherheitsnetzwerke verzichten, noch die Geltung völkerrechtlicher Verträge in Frage stellen könnte, aber eben auch nicht  die Unveränderlichkeit dieser Verträge anerkennen müsste.
Die Formulierung eines neuen Primats des Gewaltverzichts für die deutsche Außenpolitik, die konsequente Rückführung der deutschen Waffenexporte und die Stärkung der UNO durch die Zuweisung des globalen Gewaltmonopols an die multilaterale Staatengemeinschaft würden eine progressive Außenpolitik umreißen, die nicht mit einem Knopfdruck die Welt anders aussehen lassen, aber einen deutlichen Pfadwechsel für die Außenpolitik einleiten würde, der jedenfalls nicht im Widerspruch zur Grundsatzprogrammatik der LINKEN stünde. Man kann für die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem sein, ohne die Illusion zu verbreiten, Deutschland könnte ohne weiteres morgen sofort und vollständig aus der NATO austreten. Ersteres ist die Perspektive, die das Erfurter Programm der LINKEN aufmacht, letzteres steht dort nicht, und niemand, der das will, kann sich ehrlicherweise darauf berufen, um anderen den Mund zu verbieten.
Im Übrigen wären wir gut beraten, unsere programmatischen Grundsätze als Kompass für einen Prozess der Veränderung der Welt zu begreifen, und nicht als Kopiervorlagen, die vor allem dazu da sind, dass wir darauf immer wieder die Unterschiede zur real existierenden Welt markieren können. Diese Diskussion wird in meiner Partei geführt werden, weil sie geführt werden muss, egal wer da meint, dass sie nicht geführt werden darf, und dass diejenigen, die sie führen, die ideologische Reinheit der Partei gefährden. DIE LINKE wird zum Museum ihrer selbst, wenn sie sich damit begnügt, ein Ort zu sein, an dem immer wieder mit denselben Worten wiederholt wird, dass und wie die Welt eigentlich ganz anders aussehen müsste. Als Museumswärter werden wir nicht gebraucht.