Zwischen Begeisterung und Abscheu

Fürs Tagebuch vom Wochenende fange ich am besten ganz hinten an, denn das war auch gleich das schönste Erlebnis der letzten beiden Tage. Gestern Abend waren wir wieder bei einer Premiere im Erfurter Theater: Simon Boccanegra, eine halbszenische Oper. Das Format lässt sich kurz als Verdi 2.0 beschreiben. Das Orchester sitzt um die Handlung herum und füllt den Raum mit Musik. Die verschiedenen Akte werden szenisch verbunden, den Text kann man dabei oben mitlesen.

Es geht um Politik – also Bestechung, Manipulation, Intrige, Putsch, Vergiftung, Mord und Totschlag – das ganze Programm. Die Handlung beginnt vor zweihundert Jahren und endet mit einer „Live-Schaltung“ ins Parlament. Hinterher gab es tosenden Applaus für alle, aber ganz besonders für den Hauptdarsteller, den Bariton Kartal Karagedik. Er stammt aus der Türkei, wurde 1984 in Izmir geboren.

Die Herkunft des hervorragenden Sängers bringt mich zu den nicht so schönen Seiten des Wochenendes, die mal wieder dicht mit der Lektüre der Thüringer Speziellen zusammenhängen. Da lässt man nämlich in einem Leserbrief „Herrn und Frau Müller“ über die Überfremdung unseres Landes durch muslimische Einwanderer schimpfen. Konkret geht es Müllers um „Muslimische Familien, mit bis zu zehn Kindern, die keiner sozialversicherungspflichtigen Arbeit in Deutschland nachgehen und die von deutschen Steuergeldern ernährt, bekleidet, wohnen, kostenlos medizinisch versorgt werden und die Schule besuchen können. Muslimische Familien, die nur aus wirtschaftlichem Kalkül ihr Heimatland verlassen haben.“

Dem Impressionisten Max Liebermann wird das Zitat zugeschrieben „Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.“ Beim Lesen der rassistischen Parolen von Familie Müller musste ich unwillkürlich daran denken. Das ist der Nährboden, auf dem rechter Terror wie der NSU wächst. Und die Thüringer Spezielle veröffentlicht diese islamfeindliche Hetze auch noch ungeniert und unkommentiert. Wer sich stattdessen tatsächlich über muslimisches Leben in Deutschland informieren will, dem möchte ich ein Interview ans Herz legen, das ich vor einigen Tagen mit Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, für Salve TV gemacht habe.