Erste Ehrenbürgerin seit über 45 Jahren

Kaum zurück aus dem Urlaub erlebe ich gleich ein Wochenende voller Ereignisse des jüdischen Lebens. Am vergangenen Samstag wurde in Eisenach die Ehrenbürgerschaft an Avital Ben-Chorin verliehen.
Es ist mir eine große Freude, dass ich dieser Verleihung, übrigens der ersten in Eisenach seit über 45 Jahren, beiwohnen darf. Auch wenn ich nicht ganz unbeteiligt am Zustandekommen der Ehrung war, war es eine würdige Entscheidung des Eisenacher Stadtrates. Dass der gesamte Prozess in nicht einmal vier Wochen unter der neuen Oberbürgermeisterin Katja Wolf über die Bühne gegangen ist, finde ich phänomenal.

Alle demokratischen Stadträte standen in dieser Entscheidung einhellig hinter der Oberbürgermeisterin und dies ist auch in der Veranstaltung sehr deutlich geworden.
Im Zentrum stand die Versöhnung. Nicht vergessen, nicht verschweigen und nicht drum herum mogeln. Der Ausgangspunkt ist die schmähliche Vertreibung von Avital Ben-Chorin aus ihrer Geburts- und Heimatstadt Eisenach.

Sie sagt, dass ihr damaliger Lehrer Hartmann, ein Naziideologe in ihrer Schule, sie massiv schikaniert und auf schlimmste Art behandelt hat. Das hat sie als Kind sehr gekränkt und sie hat dies als zutiefst ungerecht empfunden.

Der Hass dieses Lehrers auf die Juden hat der Jüdin Avital Ben-Chorin letztendlich das Leben gerettet. Da sie nicht länger von ihm unterrichtet werden wollte, hat sie sich von ihren Eltern überzeugen lassen, ohne Verwandtschaft und mit nur 13 Jahren nach Jerusalem zu emigrieren. Allein die Vorstellung, was es für eine 13-jährige bedeuten muss, ohne Eltern oder Verwandtschaft auszuwandern, lässt es mir kalt den Rücken herunter laufen. Vor allem, wenn sie dann weiter erzählt, dass zwei Freundinnen von ihr, die den Weg zwei Jahre später beschreiten wollten, direkt in die Vernichtung gegangen sind.
Es war daher von hoher Bedeutung dass die Stadträte und auch Katja Wolf deutlich gemacht haben, dass man nicht   Avital Ben-Chorin ehrt, sondern das Avital Ben-Chorin die Stadt Eisenach ehrt. Sie hat in ihrer Erwiderung darauf hingewiesen, dass sie die Ehrung stellvertretend für alle ermordeten und geschundenen Juden annimmt.

Pfarrer Büchner, der sie 1986, als sie nach über 50 Jahren das erste mal wieder in Eisenach war, begleitet hat, verwies in seiner Laudatio auf die kalten Herzen der Brüder und Schwestern in Christo, von denen in der Nazizeit sehr viele weggeguckt oder mitgemacht haben.

Die Veranstaltung hatte daher auch nichts mit einem Event zu tun, sondern es ging vielmehr um das bearbeiten von Wunden, die in deutscher Verantwortung in schlimmster Weise zugefügt wurden.
Mich persönlich hat ein Satz von Avital sehr berührt, der von ihrem Mann Schalom Ben-Chorin stammt: „Auf eine ausgestreckte Hand sollte man zugehen und sie ergreifen, damit sie sich nicht zurückzieht und wieder zur Faust wird.“
Am Abend nehme ich sie dann mit zurück ins Erfurter Augustinerkloster. Wir verbringen gemeinsam mit Prof. Homolka, Prof. Schramm und dem Landesrabiner Konstantin Pal den Abend. Die Schwierigkeit des Abends besteht darin, aus klassischer Thüringer Küche koschere Gerichte abzuleiten. Letztendlich wurde das Problem gelöst, aber man merkt, dass diese Fragestellung nicht zu den alltäglichen in einem Thüringer Gasthaus zählt.
Am Sonntagmorgen stand das MDR-Sommerinterview in meinem Kalender. Ein wenig erstaunt war ich, dass ich vom zweistufigen Verwaltungsaufbau gesprochen habe und der MDR mir einen dreistufigen in den Mund legt. Ansonsten hat es mir jedoch sichtlich Spaß gemacht den Sonntagmorgen mit dem MDR-Team zu verbringen (Hier mit kurzem Anreißer.).
Den restlichen Sonntag begleite ich Avital und ihre Tochter Ariela Kimchi. Um 16 Uhr findet dann der gemeinsame Gottesdienst aus Anlass des 60. Geburtstag der Erfurter Synagoge statt. Der erste und wohl einzige Synagogenbau in der DDR. Der Gottesdienst endet mit einem Lied von Avitals verstorbenem Ehemann Shalom Ben-Chorin. Für mich ist es natürlich eine große Freude Avital genau an diesem Tag in Thüringen zu haben. Seit über zwei Jahrzehnten begeleitet sie die Arbeitsgemeinschaft „Kirche und Judentum in Thüringen“, die diese gemeinsame Veranstaltung organisiert hat.
Der Abend endet mit einem gemeinsamen Abendessen mit Avtial und ihrer Tochter. Sehr erfreut war ich über die Anwesenheit war beim Essen von Ilse Neumeister. Vor über vier Jahren, bei meinem ersten Besuch in der Synagoge in Jerusalem, hat mir Avtial Ben-Chorin nicht nur die von ihr auf deutsch übersetzten liturgischen Texte vom Shabatt überreicht, sondern sie hat mir auch Grüße an Frau Neumeister mitgegeben. Nach so vielen Jahren schließt sich so für mich ein kleiner Kreis bei einem gemeinsamen Abendessen in einem Erfurter Gasthaus.
Am heutigen Montagmorgen klingelt dann bereits um 5 Uhr der Wecker. Ich lasse es mir nicht nehmen Avital und ihre Tochter zum Flughafen zu bringen.
Die Reise hatte einen kleinen Wehrmutstropfen: Da zu so früher Stunde kein Frühstück möglich war, hatte ich um Lunchpakete gebeten. Trotz meiner deutlichen Bitte um koscheres Essen, waren beide Päckchen prall gefüllt mit Thüringer Wurst vom Schwein.
Ungeachtet dessen haben Avital und Ariela ihr Flugzeug pünktlich erreicht und  befinden sich nun wieder auf der Heimreise.
Vielen Dank an unsere Oberbürgermeisterin Katja Wolf, dem Eisenacher Stadtrat, der Ministerpräsidentin und allen weiteren Beteiligten, die die Ehrung und die Reise von Avital Ben-Chorin möglich gemacht haben.