Spannende Stunden in Kairo
Es liegt Spannung in der Luft am Dienstagabend. Es knistert förmlich. Wir sitzen seit 19.00 Uhr bei der Sozialisten Partei Ägyptens und sprechen über die Revolution vom Tahrir-Platz. Wir sprechen über die Geschehnisse vom Januar und Februar 2011. Peer Gynt liegt mir im Ohr: „Ist es das Erhoffte oder das Erreichte, das uns verzweifeln lässt?“ Dieser Satz ist in jedem Gespräch zu spüren.
Am Anfang der Revolution brauchte man Mut um die eigene Angst zu überwinden. Eine sehr reale Gefahr war vorhanden. Wenn man nicht zum System der Mächtigen gehörte und für mehr Freiheit, vor allem Gestaltungsfreiheit, auf die Straße ging. Panzer und Schlagstöcke waren sehr brutal und sind heute noch sehr real. Die Bilder und Graffitos der ermordeten Aktivisten sind überall an den Häuserwänden zu sehen. Interessant ist für mich, dass das Zumauern von Bewegungsräumen von Menschen hier offenbar weit verbreitet ist. Rund um die Amerikanische Universität, direkt neben dem Tahrir-Platz sind einfach die Querstraßen zugemauert und mit Stacheldraht gesichert. Es erinnert mich an Hebron. Nur dass ich nicht direkt in Gewehrläufe schaue. An einer solchen Mauer fasziniert mich ein Grafitto. Eine Strassenszene ist dort aufgemalt. Sie zeigt wie die Straße aussah, als noch die friedlichen Demonstranten darauf bis zum Tahrir-Platz gehen konnten. Kreativer Protest, gegen eine immer noch vorhandene Staatsmacht, die einfach Straßen und Wege zumauert um dem Volk die Bewegungsmöglichkeit zu nehmen.
Am Abend bekommen wir eine doppelte Erkenntnis, was und wie sich die Prozesse in Ägypten vollziehen. Fünf Minuten vor 20.00 Uhr stocken unsere Gespräche, aus für uns vorerst nicht verständlichen Gründen. Unsere drei Gesprächspartner der Sozialistischen Partei halten alle Ihre Handys in der Hand und geben sich Zeichen. Arabische Schrift ist zu sehen und starr die Augen auf das Gerät. Unsere Regionalmitarbeiterin sagt uns, dass gerade die Ergebnisse erwartet werden, wer von den Präsidentenkandidaten zugelassen und wer abgelehnt wurde.
Die beiden wohl bekanntesten und möglicherweise erfolgversprechendsten Kandidaturen wurden unter, wie uns gesagt wird, fadenscheinigen Gründen abgelehnt. Die Moslembrüder und die Partei der Salafisten hatten mit über 75% deutlich die Parlamentswahl gewonnen, nur hat das Parlament noch kein Gewicht, weil die Verfassung noch nicht verabschiedet und der zukünftig mächtigste Mann, der Präsident, noch nicht gewählt ist. Also werden die Kandidaten der Moslembruderschaft und der Vertreter der Salafisten nicht zugelassen. Der eine hätte eine Großmutter mit einem Pass aus den USA und der andere sei zwar nach einer Verurteilungen vom alten Regime begnadigt worden, aber eben nicht rehabilitiert und so ist er vorbestraft und müsse laut Wahlvorschrift abgelehnt werden. Wir ahnen, als die Bestätigung per Internet Meldung kommt, dass alle zehn Kandidaten weiterhin nicht zugelassen werden, dass es eine unruhige Nacht werden wird.
Die Polizei vor der Wahlzentrale hatten wir ja schon Sonntagnacht gesehen. Nun kam der Aufruf der abgelehnten Kandidaten zur Sitzblockade vor der Wahlzentrale. Wir erfahren am nächsten Morgen auf unserem Weg zum Flughafen, dass es eine unübersehbare Menschenmenge gab, welche sich zum Protest versammelte.
Am Abend sprechen wir noch über die Erwartungshaltungen der Linken in Ägypten an unsere Partei. Ein aktiver Blogger meint, dass man sich in Ägypten auch so breit aufstellen wolle wie wir in Deutschland, denn mit der Reduzierung auf Ideologien könne man ja keinen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen nehmen. Digital alleine reicht nicht aus, um gute Beispiele zu liefern. Ich antworte, dass wir auch vor Problemen stehen, denn mit der digitalen Welt kämen auf uns ganz neue Herausforderungen zu, die wir schnellstens angehen müssten. Da können wir auch von ihnen lernen, denn nur kluge, analoge Antworten alleine reichen auch nicht mehr.
Wir verabreden uns zum gemeinsamen und gegenseitigen voneinander lernen. Da hat die Reise sich doch gelohnt, denn hier kann die Stiftung helfen, Wissenstransfer in beide Richtungen zu organisieren.
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