Schwere Kost im heiligen Land

Sehr früh verabschieden wir uns von Jerusalem und verlassen das Beit Shmuel. Die ersten zwei Abende verbrachten wir ja im Bildungszentrum der Weltorganisation der liberalen Juden. Dem Ort an dem die Studierenden des Potsdamer Abraham Geiger Kollegs auch einen Teil ihrer Ausbildung durchlaufen. Wir wurden sehr herzlich aufgenommen und wie Freunde behandelt. Natürlich geht es unter uns auch um die Errichtung einer jüdischen Fakultät in Brandenburg oder Thüringen. Meine Amtsschwester Kerstin Kaiser ist ja auch in der Delegation und so gibt es mehrere Ebenen des intensiven Gesprächs speziell zu diesen Thema. In einem Punkt sind wir uns aber absolut einig: Es muss nun konkret werden und voran gehen mit der Bildung der Fakultät.

Um 6.00 Uhr klingelt der Wecker und es geht in die West Bank, den besetzten Gebieten. Schon auf der Busfahrt bekommen wir umfassende Infos über die Struktur des Besatzungsregimes. Es geht um die Unterteilung in A, B und C Zonen, Erläuterungen zu den Wohnrechten in den Ansiedlungen, Benutzungsrechte der Straßen, wer Wasser und Strom in den jeweiligen Ansiedlungen bekommt, wer und wer nicht nach israelischem Recht illegal ist und wer damit rechnen muss ohne Papiere beim aufgreifen durch die Sicherheitsbehörden einfach vertrieben zu werden. Das sind sehr viele, komprimierte Informationen in kurzer Zeit, aber als wir dann die durch die Straßen fahren und alle paar Kilometer die Kontrollpunkte erleben steigt die Verwirrung und wir fragen uns: Wer ist aus- und wer ist eingesperrt?
Unsere erste Station ist eine Ansiedlung Namens Susiya. Es sind beduinische Landbewohner, deren Vorfahren hier seit Jahrhunderten leben und dem wirklich kargen Boden am Rande des Negev ihre Ernte abringen. Dort sprechen wir mit den Bewohnern über ihre aktuellen Probleme. Für alle Kinder dieser Landbevölkerung hat ein schwedisches Hilfsprogramm eine kleine Schule errichtet. Unscheinbar, aber mit Toiletten, Photovoltaik-Anlage und Wasserversorgung. Hier ist gerade die iusraelische Armee vorstellig geworden und hat die Abrissverfügung übergeben. Es sei ein illegaler Bau, da er 1967 noch nicht gestanden hätte. Selbst die neu eingefassten und über 150 Jahre alten Zisternen, sollen weg. Auch die von Deutschland finanzierte PV-Anlage zwischen den beduinischen Zelten droht zu verschwinden. Das mit der Zisterne ist besonders hart, da das Wasser für die Bauern für ihre kleinen Ackerstückchen und das Vieh überlebensnotwendig ist. Brunnen bohren dürfen sie nach dem gültigen Besatzungsrecht in der C-Zone nicht und das Wasser welches sie käuflich erwerben, kommt vom israelischen Wasserbetrieb, der hier alleine zuständig ist.

Ungefähr 500 Meter entfernt, genau gegenüber sehen wir ein neu erbautes Dorf. Davor ein Wachturm und eine Asphaltstraße führt dahin. Mit fließend Wasser und natürlich Strom. Das ist eine israelische Neusiedlung, weit hinter Jerusalem und schon in Sichtweite der jordanischen Berge. Nach internationalen Recht sei diese illegal, sagen unsere Begleiter. Mit dem jüdische Siedlungsbau soll der Ring um Jerusalem geschlossen werden.

Die Bauern berichten, dass man wolle, dass sie gehen, aber sie gehören in keine Stadt oder gar in feste Häuser. Sie gehören auf ihr Stück Land und zu ihrem Vieh. Diesen Gegensatz nehmen wir als ungelöstes Problem in unser Herz auf. Was soll man sagen, wenn Menschen von einem solch kargen Boden vertrieben werden und ihren Kindern unter fadenscheinigen Gründen das Schuldach über dem Kopf genommen werden soll? Wir sagen zu, darüber im Bundestag zu berichten. Immerhin war der Dorfälteste mit seinen 75 Jahren bei der Berlinale in einem Dokumentarfilm vertreten und wurde vom Außenminister empfangen. Da können wir doch wenigstens mit Öffentlichkeitsarbeit im Bundestag nachhelfen. Die Hoffnung stirbt zum Schluss sagen sie uns zum Abschied.

Beim gehen treffen wir noch zwei Vertreter einer NGO. Ich erkenne das Wappen am Ärmel sofort und freue mich riesig. Der Hahn und das Kreuz, vom EAPPI Programm des Weltkirchenrats. Wir haben ja gerade von Pfarrer Martin Rambow seine Fotodokumentation zu seiner ehrenamtlichen Arbeit für dieses Projekt in Bethlehem im Thüringer Landtag. Gestern berichtete ich in der Reisegruppe darüber und heute stehen uns ein Schweizerin und ein Norweger gegenüber. Man trifft sich – Inschallah.

Apropos Hoffnung: Am Nachmittag sind wir stundenlang in Hebron. Dieser Rundgang durch die Altstadt macht uns richtig ratlos. Wem gehört die Ibrahimi Mosche? Wem gehört das Grab Abrahams? Wer trägt die Verantwortung für die absolut blutige Vertreibung der gesamten jüdischen Bevölkerung 1929? Wer trägt die Verantwortung für 17 aus Fanatismus ermordete Menschen? Was wir sehen deprimiert uns, was wir hören macht uns traurig, aber was wir spüren ist gleichwohl der Wunsch nach Normalität. Aber davon ist man hier sehr weit entfernt. Hebron, eine Stadt die wohl schon seit über 5.000 Jahren existiert. Eine Stadt in der alle abrahamitischen Religionen ihre blutigen Spuren hinterlassen haben. Die christlichen Vertreter haben auch mal kurzerhand blutig Vertrieben, Gotteshäuser abgerissen, die Grabstätten für sich okkupiert und mal schnell die eigene Kirche darauf gebaut. Eine irre Traditionslinie der Ermordung und Vertreibung.

Der Abend endet beim Araber in Ramallah und Ramelow trinkt mit Klaus Ernst noch einen Arrak und wir prosten auf den Weltfrieden.  ;-))

Aktuelle Bilder von meiner Reise gibt es auf flickr.

P.S.: Es ist aber nicht alles nur schwarz. Es gibt auch Lichtblicke. Z.B. die palästinensich-israelisch-jordanische Initiative „Friends of the Earth Middle East„. Diese setzt sich aktiv vor Ort für Frieden ein und sie wurde im November in der Dormitio ausgezeichnet.