Wachstum und Entschleunigung

Auf den Parlamentsalltag mit Fraktionsvorstandssitzung, etc. folgt an diesem Dienstag ein ereignisreicher Abend. Erst bin ich bei der Vorstellung des Buches „Welchen Fortschritt wollen wir?“ dabei, das Matthias Machnig herausgegeben hat. Es enthält Artikel von Politikern und Sozialwissenschaftlern, die sich alle dem Fortschrittsgedanken widmen. Zur Vorstellung gibt es nicht nur eine Rede von Frau Lieberknecht, sondern auch eine Podiumsdiskussion mit Machnig, Katrin Göring-Eckart und meiner Wenigkeit. Moderiert wird das ganze von meinem Lieblings (TA-) Chefredakteur Paul-Josef Raue. In der Diskussion kommt es mir darauf an, dass Fortschritt und vor allem Wachstum nicht als Wert an sich gesehen werden sollten. Sicher ist Fortschritt notwendig, aber wir müssen schon genau hinschauen, wie er sich qualitativ vollziehen soll. Das heißt auch, dass Politik nicht immer mehr Verantwortung an die Wirtschaft abgeben darf. Und auch eine Reduzierung des Menschen auf eine immer „effizientere“ Lebensweise halte ich für den falschen Weg. Da halte ich es eher mit dem Konzept der Entschleunigung, damit nicht nur Wirtschaft, sondern auch Geist, Kultur und Soziales wachsen kann.

Von der Buchvorstellung eile ich ins Haus Dacheröden zu einem ganz anderen Thema. Es geht um die Erinnerung an das KZ Buchenwald und die Frage, wie wir Erfahrung vermitteln, wenn es immer weniger Zeitzeugen gibt, die über das Geschehene berichten können. Noch haben wir das Glück, mit Überlebenden des KZs sprechen zu können und dankenswerter Weise waren auch vier von ihnen bei der Veranstaltung. Aber es ist absehbar, dass irgendwann der Tag kommen wird, an dem sie uns nicht mehr erzählen können, wie furchtbar die Verbrechen damals waren. Dann brauchen wir andere Erzählerinnen und Erzähler, die den Schwur von Buchenwald lebendig halten.

Wir haben die Veranstaltung auch genutzt um einen der Überlebenden zu ehren, der in den nächsten Tagen seinen neunzigsten Geburtstag begeht: Ottomar Rothmann hat so viele Besucher durch Buchenwald geführt wie kaum ein anderer und unermüdlich über die Todesmaschinerie der Nazis berichtet. Dafür möchten wir ihm Danke sagen.

Der Tag endet mit dem Durchsehen der Post am heimischen Schreibtisch. Dabei ist auch ein Brief vom BKA, in dem mir mitgeteilt wird, dass ich auch auf einer Liste der Terrorristen aus Zwickau stand. Es ist ein komisches Gefühl, das zu lesen, denn es kommt nicht unerwartet und doch erschreckt es einen.