Zwischen allen Stühlen

Der Mittwoch ist ein typischer Tag, wo ich meinen Platz nur zwischen den Stühlen finde. Zunächst schreibe ich einen Brief an die TA zum Thema Papstbesuch, weil man dort ein Zitat von mir in Zusammenhang zu einer Frage gesetzt hat, die mir gar nicht gestellt wurde. Die Junge Union hatte sich auch gleich aufgeregt und von mir verlangt, ich solle mich distanzieren. In meinem Brief habe ich dem Redakteur nun meine Sicht auf unser Gespräch erklärt. Für mich gehört einerseits das Demonstrationsrecht ganz natürlich zum Rechtsstaat – auch wenn der Papst kommt, und andererseits möchte ich persönlich nicht, dass der liturgische Ablauf der Messe gestört oder religiöse Gefühle in irgendeiner Form verletzt werden können.

In dem Zusammenhang stolpere ich über einen Beitrag aus einer österreichischen Nachrichtensendung, den ich bei 3sat gesehen habe. Da verlangt eine Gruppe von 300 katholischen Priestern umfassende Reformen in der eigenen Kirche. Der Aufruf ist mit „Aufruf zum Ungehorsam“ überschrieben und gleich im ersten Punkt heißt es „Vor Gott gilt Redefreiheit“. Das finde ich hochspannend und es ermutigt mich, mich auch weiterhin mich prächtig zwischen den Stühlen zu platzieren, vor allem wenn sie ideologisch sind. Aber Mäuschen wäre ich bei der JU in Thüringen schon gern, wenn dort mal über den österreichischen Aufruf debattiert werden würde. Immerhin sind es mindestens zehn Prozent der katholischen Priester in Österreich, die das gemeinsame Abendmahl für alle Christen nicht mehr verweigern wollen. Das nenne ich zielgerichtete Debatte von unten. Und möglicherweise tragen solche Aktionen dazu bei, dass Papst Benedikt eines Tages die evangelische Kirche als gleichwertige Kirche anerkennt – vielleicht sogar bei seinem Besuch im Augustinerkloster.

Apropos Aufstand von unten: In Israel demonstrieren seit sechs Wochen hunderttausende Menschen für soziale Gerechtigkeit. Die Menschen sind nicht mehr bereit still zu sein, wenn viel Geld in den illegalen Siedlungsbau und noch mehr Geld in die militärische Absicherung gesteckt wird, statt ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum innerhalb Israels zu finanzieren. Das sind die größten Demonstrationen seit Gründung des Staates Israel. Und irgendwie höre ich ein ohrenbetäubendes Schweigen bei den deutschen Linken, die sich sonst immer vehement für die berechtigten Interessen von Palästinensern einsetzen. Und da das Kampfblatt für die Gaza-Flotille „Junge Welt“ zum fünfzigsten Jahrestag des Mauerbaus mit einem zynischen „Danke“ für Mauer, Sperranlagen samt tödlicher Logik auf der Titelseite das Bollwerk feiert, frage ich gestern bei Facebook und Twitter, ob die „Junge Welt“ auch ein Danke drucken möchte für die Mauern in Tijuana und im Westjordanland. Damit schließt sich der Kreis, des zwischen den Stühlen sitzen, denn die halbe Nacht twittere ich mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Erfurt, der doch allen Ernstes zuerst behauptet in Bil’in gäbe es gar keine Mauer, worauf ich ihm eine Youtube-Doku zu genau dieser Sperranlage zumaile. Daraufhin meint er, dass man in der Nähe von Jerusalem wohl die Wahrnehmung einer Mauer haben könne. Aber diese Sperranlage wäre nicht gegen das Verlassen Israels gebaut, sondern soll vor dem Eindringen schützen. Als ich einwand, dass palästinensische Christen, die nun durch diese „Nicht“-Mauer abgeschirmt seien, das durchaus anders empfinden würden, antwortete er mir, sie könnten sich ja bei den Terroristen bedanken.

Bei meinem Besuch in Israel empfand ich diese Mauer als ausgesprochen bedrückend (siehe vorletzter Abschnitt im Tagebucheintrag vom 24. Juni 2008) und denke, dass solche Mauern sehr untauglich sind bei Zusammenleben und Zusammenwachsen von Menschen. Die einfachen Freund-Feind-Schemata sind häufig im Weg, um Lösungen zu finden.

Der Mittwoch endet zumindest soweit versöhnlich, dass ich mich über eine Meldung der MDR-Nachrichten freuen kann: Das Ermittlungsverfahren gegen Lothar König wegen der Bildung einer kriminelle Vereinigung wird sich – so das Zitat – „nicht erhärten lassen können“. So wird wohl ein ungeheuerlicher Vorwurf lax beerdigt. Wird Zeit, dass der Rest auch eingestellt wird.