Bittere Stunden im August

Die Ereignisse von gestern sind bestimmendes Thema in den Medien und auch ich bin den ganz Tag mit Telefonaten, Gesprächen und dem Lesen von neuen Begebenheiten aus Jena beschäftigt. Aus diesem Grund stelle ich an dieser Stelle nochmal meinen Text von gestern hier ein, möchte ihn aber um eine Presseschau am Ende des Artikels erweitern.
Danken möchte ich den über 600 Personen, die am Abend spontan zusammen gekommen sind um gegen das Vorgehen der Dresdner Staatsanwaltschaft und der Sächsischen Polizei zu demonstrieren und die ganz klar und deutlich ihre Solidarität mit Lothar König und allen Aktiven gegen Neonaziaktionen gezeigt haben.
Natürlich war auch am Mittwoch wieder Energietour, an diesem Tag vorrangig in der Fachhochschule Nordhausen. Den Bericht gibt es hier zu lesen.
Hier nun der Text von gestern: Mit entsetzen höre ich am 10.08.2011 das die Privatwohnung des Jugendpfarrers Lothar König der Jungen Gemeinde Jena, die gleichzeitig eine Pfarrerdienstwohnung, mit darin enthaltenem Pfarrerdienstzimmer ist, seit heute Morgen von der sächsischen Polizei durchsucht werden. Angeblich sei das Thüringer Innenministerium in Kenntnis gesetzt worden bzw. soll die Aktion dienstlich besprochen worden sein. Dies im Thüringer Innenministerium in Erfahrung zu bringen ist mir nicht gelungen. Ich muss davon ausgehen, dass die Maßnahmen der sächsischen Polizei auf dem Thüringer Territorium außerhalb des üblichen Dienstweges vorgenommen werden. Aber die Behauptung, dass dies alles aus ermittlungstaktischen Gründen geschieht und man deswegen die Thüringer Polizei nicht eingeschaltet hätte wirft ein bezeichnendes Licht auf das Rechtsverständnis, dass in Sachsen an den Tag gelegt wird.
Von dem besonderen Schutz eines Pfarrerdienstzimmers hat man offenbar in Sachsen noch nie etwas gehört. Gleichzeitig wird der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Thüringer Landtag, Anja Siegesmund, und dem Bundestagsabgeordneten Ralph Lenkert unserer Fraktion der Zutritt zu den Räumen verwehrt und mit einem mitgebrachten Abschleppwagen wird sogar der Bus der Jungen Gemeinde nach Sachsen verbracht. Bestürzt frage ich mich, warum mich diese Ereignisse an andere Bilder in meinem Kopf erinnern? Zumindest ist es eine ungute Tradition das in hiesigen Breitengraden mit staatlichen Mitteln versucht wird Junge Gemeinden zu disziplinieren. Der Jugendpfarrer Lothar König hat meinen Respekt und meine Solidarität für seine ganze Arbeit und seinen kritischen und unangepassten Geist während der DDR-Zeit genauso wie heute. Offenbar will aber die sächsische Staatsanwaltschaft Zeichen setzen, die bei mir als Versuch der praktizierten Einschüchterung ankommen.
Nur was passiert wenn niemand mehr Demonstrationen organisiert, wenn Nazis offen in den Städten und Gemeinden aufmarschieren?
Was passiert wenn BürgerInnen nicht mehr eingeladen werden sich dem braunen Ungeist höchstpersönlich zu Widersetzen?
Aufstand der Anständigen oder wegsehen der Zuständigen ist hier die Frage, die sich bitter in meinem Herzen und Kopf breitmacht.
Landfriedensbruch soll der Vorwurf sein, aber ein Land, dass seinen Frieden mit Nazis macht wäre das schlimmste was in Deutschland passieren kann.

Bilder von der Durchsuchung gibts auf flickr: http://www.flickr.com/photos/haskala/
Und hier Bilder von der Soli-Demonstration: http://www.flickr.com/photos/linksfraktion-thueringen/sets/72157627402953862/


Heimsuchung bei Pfarrer König

Ein Radiokommentar von David Begrich (Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e.V. in Magdeburg)

Eines muss man den Dresdner Ermittlern lassen: Sie haben ein Gespür für bildhafte Inszenierungen mit historischem Bezug. Die bisher verfügbaren Bilder der in den frühen Morgenstunden in Jena begonnenen Durchsuchung der Räume evangelischen Junge Gemeinde Jena Stadtmitte erinnern an das Vorgehen der DDR-Sicherheitsorgane gegen die kirchlichen Gruppen der DDR Opposition der Jahre 1953, 1976, 1983 und 1987/88. Wie damals halten Polizisten den Zugang zur kirchlichen Räumen versperrt, Zeugen – auch Landtagsabgeordnete-sind nicht zugelassen, die Vorwürfe infam, dumm, absurd und ungeheuerlich. Ausgerechnet Pfarrer Lothar König soll an der Vorbereitung und / oder Durchführung von Straftaten im Kontext der Proteste gegen den Dresdner Naziaufmarsch im Februar beteiligt sein? Jener Pfarrer König also, der sich seit mehr als zwanzig Jahren gegen Rassismus und Neonazismus engagiert, selbst in Zeiten als andere weggesehen haben? Jener Pfarrer König, der zu den führenden Aktivisten der DDR Opposition gehörte, gegen die Ausbürgerung Biermanns ebenso protestierte, wie gegen die Militarisierung der DDR und der non-konforme, oppositionelle Jugendliche unterstütze? Die Dresdner Ermittler haben offenkundig bei ihrem Vorgehen jedes Maß verloren. Nicht nur dass massenweise Handydaten präventiv erhoben wurden, Protestierende öffentlich unter Generalverdacht gestellt wurden. Nun gehen die sächsischen Behörden in bester DDR Manier gegen einen unbequemen Pfarrer vor, der sich ein in der Demokratie eigentlich selbstverständliches Recht herausnimmt: Das Recht des Engagements für diese Demokratie. Angesichts der Haus- nein Heimsuchung der „Sicherheitsorgane“ des Bundesrepublik ist es Zeit, den sächsischen Behörden eine zeitgeschichtlich wohlbegründete und demokratische Antwort zu geben.


Presseschau:

Unsere Pressemitteilung.
Proteste gegen Durchsuchung der Wohnung von Jenaer Jugendpfarrer – TLZ

Jugendpfarrer in Jena weist Vorwürfe der Dresdner Ermittler zurück – DNN online

Razzia gegen einen „Aufwiegler gegen Rechts“ – in Südthüringen
Jugendpfarrer soll zu Dresdner Krawallen aufgestachelt haben – Freie Presse
Pfarrer erhält nach Razzia breite Unterstützung – Freie Presse
Polizeiaktion gegen Jenaer Pfarrer – Junge Welt

LINKE Jena kritisiert Razzia bei König – Jenanews

Kommentiert: Wann wird Widerstand zur Pflicht? – Jenanews