Tief enttäuscht, aber nicht resigniert
Der 21.7. beginnt für mich zunächst ruhig, ganz früh im Thüringer Wald. Es wird ein heißer Tag werden, nicht nur klimatisch, aber das hat der Wetterbericht wenigstens vorausgesagt. Ich unterbreche meinen Urlaub, um zur Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichts nach Leipzig zu fahren. Auf Antrag der Bundesregierung wird dort das Revisionsverfahren zu zwei Urteilen aus Vorinstanzen geführt, die meine Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz, das dem Innenminister untersteht, beide bisher eindeutig für rechtswidrig erklärt haben. Bei einem kurzen Stopp in Erfurt steigen Mitarbeiter der Landtagsfraktion zu, die mich begleiten.
In Leipzig angekommen, haben wir keine Pause. Vor dem monumentalen Gebäude des Bundesverwaltungsgerichts, Ende des 19. Jahrhunderts errichtetet, wartet schon das erste Fernsehteam. RTL interviewt mich gleich auf den Stufen vor dem Gebäude. Ich erkläre, ich sei optimistisch, dass die geheimdienstliche Beobachtung jetzt durch höchstrichterlichen Spruch endlich endet. Kaum in der großen Halle angekommen, stehe ich dem ZDF Rede und Antwort. So wird es allerdings bis weit in die Nacht weitergehen…
Kurz vor Beginn der öffentlichen Verhandlung wird klar, dass der vorgesehene Verhandlungsraum nicht ausreicht, die Gäste, am Thema Interessierte, politische Freunde und zahlreiche Journalisten, aufzunehmen. Die Kammer trifft die einzige Entscheidung an diesem Tag, die verständlich ist und wechselt in einen größeren Raum. Auch Klaus Ernst ist anwesend, der Vorsitzende der Partei DIE LNKE. Er sitzt direkt neben mir, ebenso mein Anwalt, Dr. Hauck-Scholz.
Das Revisionsgericht ist, juristisch gesprochen, keine „Tatsacheninstanz“. Es nimmt keine eigene Beweisaufnahme vor, sondern soll die formaljuristische Richtigkeit des vorangegangenen Urteils prüfen. Der Vorsitzende Richter führt dazu ein „Rechtsgespräch“, fordert die Parteien auf, sich zu verschiedenen Aspekten zu äußern. Dabei stellen mehrere Mitglieder der fünfköpfigen Kammer vor allem der Gegenseite, dem Rechtsvertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, kritische Nachfragen. Der verlautbart seltsame Dinge wie die, Hinweis auf eine verfassungsfeindliche Bestrebung der LINKEN sei deren „Aversion“ gegen Herrn Gauck. Ich frage mich bestürzt, ob CDU, CSU und FDP verfassungsfeindliches Denken haben erkennen lassen, als sie ebenfalls Herrn Gauck nicht wählten? Oder wäre meine Partei nicht mehr bespitzelt worden, wenn wir Herrn Gauck gewählt hätten? Ist das ein Angebot für ein „Koppelgeschäft“ oder schlicht Ausdruck von Erpressung? Auch betont der Verfassungsschutz-Anwalt, ja, die Wahlentscheidung der Bürger solle natürlich durch die Beobachtung der Partei DIE LINKE und durch die vom Amt herausgegebenen „Verfassungsschutzberichte“ beeinflusst werden. Ein Geheimdienst macht Wahlkampf – das ist für mich nichts Neues. In Thüringen haben die CDU und ihre Gliederungen gleich mehrfach Wahlkampfmaterial veröffentlicht, das mit Geheimdienstinformationen über mich gespickt war, bei einem Autor handelte es sich um eine Honorarkraft des Thüringer Verfassungsschutzes. Der gute Mann glänzte vor allem durch immer neue Decknamen…
In der Pause – die Kammer hat sich dann zur Urteilsbesprechung zurückgezogen – sind sich alle Prozessbeobachter einig, dass ein positives Ergebnis für mich zu erwarten ist. Dann kommen die Richter zurück und der Vorsitzende beginnt: die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben – mit fadenscheinigen Begründungen – meine Beobachtung als Abgeordneter sei rechtsmäßig und nicht unverhältnismäßig, denn bei Ramelow gebe es ja nur eine geringere Eingriffsschwelle! Habe ich wirklich richtig gehört, frage ich mich? Ja. Das ist das völlige Gegenteil der bisherigen Urteile.
Ich bin tief enttäuscht, muss mich aber schnell sammeln. Die Journalisten wollen meine Meinung hören. Ich erkläre ihnen, die Kammer habe jetzt dem Schnüffelstaat Tür und Tor geöffnet. Das ist nicht übertrieben. Im Kontext des Urteils stehen plötzlich alle Mitglieder der LINKEN, 80.000 Menschen, unter Generalverdacht. Es geht jetzt nicht mehr um Tatsachen, jeder Verdacht gegen die Partei oder irgendeines ihrer Mitglieder reicht aus, dass alle anderen Mitglieder geheimdienstlich überwacht werden können, dürfen und wohl auch sollen, Landtags- und Bundestagsabgeordnete eingeschlossen. Das Aussprechen der Vermutung gegen Dritte in der Partei reicht ab sofort für die Beschnüffelung aus. Jetzt haben die Menschen aus dem öffentlichen Dienst, mindestens in Bayern, wo regelmäßig schriftlich die Mitgliedschaft in unserer Partei ausgeforscht wird, Ärger zu befürchten, wenn sie bei uns Mitglied sind, mit der LINKEN sympathisieren, oder ihr spenden. Wir kehren zurück in die Zeit der Berufsverbotepraxis – und gerade deshalb ist es für mich ein trauriger Tiefpunkt: Meine Verfassungsschutzakte begann mit Herbert Bastian, einem Berufsverboteopfer, mit dem ich mich in den 1980er Jahren solidarisch erklärt habe… Dieses Urteil darf deshalb keinen Bestand haben, sonst sind Kernbereiche der Demokratie in Gefahr. Es lädt den Verfassungsschutz geradezu zu Hexenjagden ein. Ich muss und werde beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde einlegen. Die LINKE hat nicht resigniert, wir lassen uns nicht einschüchtern. Den Mund lasse ich mir nicht verbieten.
Ich habe nie geschwiegen und werde zu Unrecht – egal ob in der DDR, in Gaza, in den USA oder in der aktuellen Bundesrepublik bei Hartz IV oder Kriegseinsätzen der Bundeswehr und anderem – nicht schweigen.
Würde der ergangene Grundsatz allerdings universell gelten, müsste die aktuelle Bundesregierung ab sofort überwacht und per Dossiers erfasst werden. Während bei uns schon die Debatte über Verstaatlichung reicht, hat Frau Merkel gehandelt! Während unsere Solidaritätserklärungen zu Kuba erfasst werden, macht Frau Merkel große Umarmungen mit der KP-Führung Chinas! Während der Besuch einer einzelnen Professorin der Parteihochschule der KP Chinas in meine Verfassungsschutz-Akte eingefügt wird, besucht Frau Merkel diese Hochschule und gibt dort Grundsatzerklärungen zur Gemeinsamkeit von Deutschland und China ab!
Aber wenn wir ab sofort auch haften für jeden kleinsten Verdacht gegen einzelne Mitglieder, wie bewertet man dann beim Verfassungsschutz schwarze Kassen, die als „jüdische Vermächtnisse“ getarnt waren; wie einen Ehrenvorsitzenden der vorsätzlich gegen Gesetze verstoßen hat; wie einen Landesvorsitzenden, der Gelder aus arabischen Quellen für zweifelhafte Bundeswahlkampagnen genutzt hat; wie einen Ehrenvorsitzenden, der rechtskräftig wegen Parteispenden verurteilt ist; wie einen Ministerpräsidenten, der einen verstorbenen Ministerpräsidenten vom NS-Täter fast zum Widerstandskämpfer umdeutet usw… Es gäbe viel für den Verfassungsschutz zu tun, ja wenn die Maßstäbe gleich wären!
Warum nur kommt mir da der Begriff der „gelenkten Demokratie“ in den Sinn oder warum geistert bei mir die Bananenrepublik durch den Kopf?
Mein Urlaub ist jedenfalls futsch!
Aber meine Lebensdevise heißt: drum bleibe im Land und wehre dich täglich!