Ein Abschluss voller Überraschungen

Am ersten Tag der Konferenz ging es um Bolivien und Ecuador, am zweiten Tag hörten wir Vertreter aus Kuba und Venezuela. Da gab es für mich die größte Überraschung. Die Venezuelaner vertraten mit großer Verve eine Revolutionsbeschreibung, die offenbar wenig Widerspruch erduldete. Es wurde der Weg von den Wahlen über die Rückeroberung der großen Volksmassen an Entscheidungsprozessen beschrieben. Das war beeindruckend, auch der Ausbau des Bildungs- und Sozialsystems wurde mit großer positiver Ausstrahlung vorgetragen. Doch als es Fragen nach der neuen Chavez-Partei gab, wurde es einsilbig. Weil der Feind so mächtig sei, müsste man sich in Venezuela quasi in militärischer Verteidigungslogik gegen ihn wappnen. Die neue Partei – gegründet vom Präsidenten – organisiert sich in Gliederungen die militärische Namen haben. Widerspruch dazu war nicht gewünscht, schließlich sei man auf dem richtigen Weg. Da halfen auch freundliche Nachfragen nicht weiter und irgendwie fühlte ich mich per Zeitsprung an eine Veranstaltung in der DDR erinnert. Schade! Es gibt so viel bei diesem Prozess zu verteidigen, aber nur wenn es auch unter Linken plural zugeht.

Unerwartet kam ein nüchternes und klares Gegenprogramm von dem aus Kuba angereisten Vertreter. Ohne das Richtige, das Erreichte zu verschweigen oder klein zu reden, ging er mit klarer Sprache zu einem ernüchternden Befund über. Kuba befindet sich in einem Übergangsprozess von einem gescheiterten Sozialismus hin zu einem nachhaltigen Sozialismus. Wir sind gedanklich noch ziemlich stark in der sowjetischen Zeit verstrickt.Er träumte laut von einem Umbau des Systems, bei dem die Menschen mehr Partizipation als Entscheidungsprinzip bekommen, das dann den Staat trägt. Er argumentierte unverdächtig für einen sozialistischen Staat, wollte aber über Fehler nicht schweigen. Auf eine Frage aus dem Publikum an ihn auf dem Podium, ob in Kuba die Bevölkerung nicht eine zu hohe Konsumerwartung hätte, sagte er schlicht: Sie müssten mal in Kuba leben und unendlich lange auf Seife warten, dann einen Preis bezahlen, der deutlich über unserer Preisskala liegt und wenn Sie dann zur Kenntnis nehmen, dass ein Facharzt, ein Chirurg, soviel Einkommen hat wie eine Putzfrau, dann ahnen Sie, wie dysfunktional unsere Ökonomie geworden ist. Deshalb braucht es einen Neuaufbruch in Kuba. Raul Castro hat wichtige Reformen eingeleitet, in den letzten Jahren kann auch erheblich mehr diskutiert und in Frage gestellt werden. Doch nun müssen wir sehen, welche Ergebnisse und Effekte das bringt, und ob auf diese Debatten gehört wird.

Da schloss sich der Kreis zu Bolivien, zu Ecuador und zu den Verfassungsgebenden Konferenzen, die im Kampf durch die Menschen erzwungen wurden. Jetzt kommt es darauf an die Partizipation aller Menschen zu erreichen. Da spielt in Lateinamerika natürlich der Plurinationalismus auch eine Zentrale Rolle, also der Kampf von indigenen Völkern gegen den Raubbau am Urwald oder an den Erölvorkommen. Wenn der Ressourcenraubbau auf Kosten Ihrer Urheimat stattfindet, dann muss es auch ein Recht der Ureinwohner sein, sich gegen diese Zerstörung zur Wehr setzen zu können. Da stehen dann die Interessen der multinationalen Energie- und Rohstoffkonzerne gegen die Bürger- und Menschenrechte der indigenen Bevölkerung. Da geht es um ein aktives Widerstandsrecht gegen Natur- und Umweltzerstörung – ein Spannungsbogen der auch die Gewaltfrage beinhaltet. Wenn der Urwald unwiderbringlich abgeholzt ist, was darf dann diese Landlosenbewegung? Was muss sie? Was bedeutet da eine Verstaatlichungsoption im Verfassungsgebenden Prozess?

Am Schluss der Konferenz stand nicht die fertige Antwort eines Demokratischen Sozialismus – die müssen wir weiter erarbeiten – aber ein Satz stand am Ende: Wenn der Weg nicht demokratisch ist, kann es das Ziel nicht werden! Gesprochen von Alberto Acosta, dem ehemaligen Präsidenten der Verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors unter großem Applaus! Der Saal war zu dieser Zeit hoffnungslos überfüllt, bestimmt 200 Menschen aus sehr vielen Ländern Lateinamerikas, die auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Vision vom Demokratischen Sozialismus debattierten. Rosa würde es gefreut haben. Danke RLS!