Kinderkrankheiten
Nach einem Tag in Erfurt mache ich mich am Montagmorgen erneut auf in Richtung Norden, allerdings nicht zurück an die Nordsee sondern ins hochwinterliche Berlin. Wir treffen uns im Kongresszentrum am Alex zu unserem politischen Jahresauftakt und es ist sicher nicht schwer vorstellbar, dass das Interesse an der Veranstaltung nach den Debatten der letzten Tage ziemlich groß ist. Ich werte das aber als positives Signal, denn eine Diskussion zu der noch Stühle herein getragen werden müssen, ist allemal besser als wenn es andersherum wäre.
Vor den versammelten Genossinnen und Genossen finden Lothar Bisky, Klaus Ernst und vor allem Gregor Gysi viele richtige Worte, die sie uns mit auf den Weg geben. Sie machen deutlich, dass wir mehr „Vereiniger“ in der Partei brauchen, denn wenn wir weiter politisch wirken wollen, müssen wir zusammenwachsen. Es ist unzweifelhaft, dass es Unterschiede in der politischen Kultur in unseren Ursprungsparteien gegeben hat und diese Unterschiede bestehen nach wie vor. Für die Zukunft wird es aber unerlässlich sein, dass wir gegenseitig diese Unterschiede aushalten und möglichst auch zu schätzen lernen. Es gibt viele Bilder, mit denen sich das umschreiben ließe, aber ob man nun meint, dass es sich gut fliegen lässt, wenn beide Flügel aktiv sind oder dass aus Reibung Energie entsteht, ist nachrangig. Entscheidend ist, dass wir uns einig sind, dass wir in Deutschland einen Mindestlohn brauchen, dass die Bundeswehr sich nicht länger am Krieg in Afghanistan beteiligen darf, dass es eine soziale Sicherung geben muss, die den Menschen nicht ihre Würde nimmt, und so weiter. Bei den konkreten Fragen gibt es in der Grundauffassung keinen Dissens. Deswegen sollten wir uns jetzt damit beschäftigen, wie wir unsere politischen Inhalte weiterentwickeln.
Ich hatte von dem Treffen eigentlich auch erwartet, dass wir uns genau in diese Richtung orientieren, dass wir nämlich inhaltlich einige Punkte abstecken, mit denen wir uns in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen. Leider war das etwas zu viel erwartet, denn die Debatte um Personal hat sowohl im Kongresszentrum wie auch in der Medienwirkung viel mehr Raum eingenommen, als ich gedacht hätte. Eigentlich gehört dieses Thema in den Parteivorstand und nicht in eine solche Kulisse wie die gestrige. Es ist allgemein bekannt, dass ich nicht davor zurückschrecke über schwierige Dinge zu sprechen, aber alles hat einen Ort und eine Zeit. Nun müssen wir sehen, wie sich die Debatte weiterentwickelt . Gregor hat deutlich gemacht, dass er sich stärker in die Parteiarbeit einbringen wird, um diesen Prozess zu begleiten. Seine Auffassung über das notwendige Zusammenwachsen der Partei kann ich nur teilen. Ich erinnere mich noch gut, wie er während des Parteineubildungsprozess immer mal wieder gedrängelt hat, dass der Weg zur neuen Partei doch schneller beschritten werden müssen. Nun hat die Partei bald ihren dritten Geburtstag und muss wohl – vergleichen mit einem Kleinkind –jetzt auch durch ihre bockige Phase um Erwachsen zu werden. Wenn wir uns letzteres gemeinsam als Ziel setzen, sollte das aber zu machen sein, wenn auch nicht von heute auf morgen.