Tag der Erinnerungen

Am Vormittag bin ich auf dem Jüdischen Friedhof in Erfurt und gedenke mit vielen anderen Bürgerinnen und Bürgern den Opfern der Reichspogromnacht vor 71 Jahren. Diese Nacht war der Beginn eines einmaligen Verbrechens, in dessen Verlauf sechs Millionen Juden grausam ermordet wurden. Es ist gut, wenn heute Überlebende des Holocausts oder Nachgeborene nach Deutschland kommen, damit wir gemeinsam erinnern und gemeinsam mahnen können. Es ist unsere ständige Aufgabe gegen jegliche Formen alten und neuen Antisemitismus vorzugehen. Deshalb kann ich auch nur begrüßen, dass Wolfgang Nossen ein NPD-Verbot fordert, denn es ist höchst Zeit, dass diese Verfassungsfeinde nicht länger Parteienstatus haben.
Ein sehr freudiges Erlebnis passiert am Rande der Gedenkveranstaltung: Ich begegne einem jungen Rabbi, den ich schon im vergangenen Jahr in Israel getroffen habe. Er ist Absolvent des Abraham Geiger Kollegs und berichtete mir damals von der Rabbiner Ausbildung in Potsdam und Jerusalem. Dass er nun hier in Erfurt zu Gast ist, freut mich besonders und es wäre doch schön, wenn er auch hier in Thüringer Rabbiner würde.
Dass der 9. November nicht nur Jahrestag der Reichspogromnacht ist, sondern auch der Tag, an dem vor 20 Jahren die Mauer fiel, weckt natürlich auch Erinnerungen bei mir. Ich war an diesem Tag im Herbst 89 als Gewerkschafter bei einem Vor-Ort-Termin in einem Penny-Markt in Weilburg und es war ein anstrengender Arbeitstag, weil wir bis zum Abend um jeden Arbeitsplatz rangen. Als wir die Sache erfolgreich beendet hatten, fuhren mich die Kollegen noch heim nach Gießen und ich weiß noch, dass ich einen Brief aus dem Briefkasten holte, über den ich mich sehr freute. Mit diesem Brief in der Hand setzte ich mich auf die Couch vor den Fernseher und noch während ich am Lesen war, kam in den Nachrichten die Meldung vom Mauerfall. Das war wirklich ein emotionaler Moment, der mir die Tränen in die Augen trieb, weil wir grade ein paar Wochen zuvor noch zu Besuch bei unserer Verwandtschaft in der DDR waren und meine Kinder gefragt hatten, wann sie wohl die Kinder, die auch zu unserer Familien gehören aber in einem anderen Staat leben, wiedersehen können. Das Warten auf dieses Wiedersehen hätte eigentlich mehrere Jahre gedauert, aber mit diesem 9. November wurde die Zeit auf wenige Tage verkürzt.
Unangenehme Begleiterscheinung des heutigen Tages ist, dass es eben nicht nur um die gemeinsame Erinnerung und die Freude über das Ende des Kalten Krieges geht, sondern auch versucht wird, politische Debatten der Gegenwart mit Pauschalurteilen über die Geschichte zu „bereichern“. So wird erneut die Diskussion aufgemacht, dass ich doch ein Unrechtsstaatsleugner sei, der die Mauer rechtfertigt und die Stasi verharmlost. Ich habe es hier und an anderer Stelle mehrfach gesagt, dass es nichts an dem himmelschreienden Unrecht, das es in der DDR gab, zu beschönigen gibt. Einige Texte dazu sind auch hier auf der Webseite dokumentiert. Wenn nun die Bürgermeisterin von Eisfeld eine Tafel aus einer Ausstellung über die Geschichte der deutschen Teilung entfernen lässt, weil dort falsche Behauptungen über mich auf- und ausgestellt werden, ist das völlig gerechtfertigt. Wenn es in einer historischen Ausstellung schon um aktuelle politische Debatten geht, dann sollten die betreffenden Politiker wenigstens mit Äußerungen repräsentiert werden, die sie auch wirklich getroffen haben. Alles andere ist eine Dämonisierung, die vielleicht ins politische Kalkül einiger Akteure passt, aber mit Aufarbeitung nichts zu tun hat.