Unrechtsstaatsleugner und Stasiverharmloser

Eigentlich hätte ich heute über den Tag in Pößneck geschrieben und über die wohltuende Entwicklung, dass nicht nur Astrid Rothe-Beinlich und Christoph Matschie mit bei den Gegenaktionen zum sogenannten „Fest der Völker“ dabei waren, sondern auch Christine Lieberknecht. Damit gab es endlich das lang ersehnte gemeinsame Bekenntnis gegen die Nazis.

Der Tag war aber auch geprägt, von einer Meldung des Spiegels und der Südthüringer Zeitung, wonach ein Hauptmann des MfS in meinem Büro arbeitet. Die Richtigkeit dieser Meldung kann ich bestätigen. Meine Sekretärin hat sich nach der Schule zur Dolmetscherin für Russisch ausbilden lassen und dann in dieser Funktion bis zur Wende offiziell für die Stasi gearbeitet. Nach der friedlichen Revolution hat sie eine Umschulung gemacht, verschiedene Berufsstationen durchschritten und sich Ende 2005 bei mir als Schreibkraft für mein Büro im Bundestag beworben. Dabei hat sie von Anfang an auf ihre Vergangenheit hingewiesen und wir haben offen über ihre frühere Tätigkeit gesprochen. Sie hat mir deutlich gemacht, dass sie sich eindeutig und unmissverständlich davon distanziert hat und auch wenn sie „nur“ Übersetzerin war, hat sie Verantwortung übernommen für Unrecht, das sie vielleicht mit zu verantworten hat oder gegen das sie nicht aktiv vorgegangen ist. Damit war alles offen gelegt.

Nun soll das alles zum Skandal aufgebaut werden. Es wird so getan, als sei ein Geheimnis gelüftet worden, dabei gab es keines. Jede Frage zu diesem Thema wäre beantwortet worden. Am 14. August beispielweise fragte ein Journalist bei mir an, weil er einen anonymen Brief mit genau dieser Information erhalten hatte. Aus unserem Gespräch ergab sich für für ihn wohl der Schluss, dass es keinen Grund gibt über die Vergangenheit einer Schreibkraft zu berichten. Der anonyme Briefeschreiber war offensichtlich enttäuscht, dass die Geschichte mitten im Landtagswahlkampf nicht aufgenommen wurde und so wird er es wohl nun – mitten im Bundestagswahlkampf und vor den nächsten Sondierungsgesprächen – wieder probiert haben. Mit der Südthüringer Zeitung hat er einen dankbaren Empfänger der Nachricht gefunden, denn dort wurde ich ja schon zum Unrechtsstaatsleugner gemacht. Nun wird das Bild ergänzt durch meine Eigenschaft als Stasiverharmloser, denn für jede erklärende Äußerung werde ich als solcher tituliert.

Das Unrecht in der DDR und insbesondere die Stasi dürfen nicht verharmlost werden. Es gab viele tödliche Schüsse an der innerdeutschen Grenze. Es gab politische Gefangene – allein in Thüringen waren es mehrere Tausend. Es gab Drangsalierung und Bespitzelung im Alltag und wer nicht mit der Staatsmeinung konform ging, bekam schnell die Kräfte des Systems zu spüren. Das alles war bittere Realität. Dieses furchtbare Unrecht muss klar benannt werden und über Verantwortung ist zu reden. Was aber nicht geht, ist Unrecht mit neuem Unrecht heilen zu wollen. Eine Differenzierung ist für wirkliche Aufarbeitung unerlässlich. Die Frau, die heute in meinem Berliner Büro von mir diktierte Texte abtippt, hat früher beim MfS Dokumente für die Staaten des Warschauer Pakts übersetzt. Sie hat keinen Anteil an der Entstehung dieses Militärbündnisses aber sie war ein kleiner Teil, der zum Funktionieren des Systems beigetragen hat. Sie hatte die Position eines Hauptmanns, weil sämtliche Mitarbeiter des MfS militärische Dienstgrade hatten, selbst das Reinigungspersonal. Sie war Abteilungsleiterin – manche Zeitungen nannten es heute schon „Referatsleiterin“ – weil sie die Leiterin des Teams mit insgesamt vier Russisch-Dolmetschern war. Wenn man Verantwortung klären will, dann muss man über diese Details reden können, ohne gleich als Verharmloser dargestellt zu werden.

Zur Aufarbeitung des Unrechts gehört auch, dass wir endlich Maßstäbe finden, mit denen wir damaliges und heutiges Agieren bewerten. Meine Sekretärin hat nie ein öffentliches Amt angestrebt und erfüllt in meinem Büro keinerlei politische Aufgaben. Sie ist keine öffentliche Person und wollte nie eine sein, sondern sie will einfach nur ihrer Arbeit als Schreibkraft nachgehen. Das sollte eigentlich möglich sein. Stattdessen werden sie und ihre Familie heute vor ihrer Wohnung von Journalisten belagert und zu Interviews gedrängt.

Die Südthüringer Zeitung schreibt übrigens angesichts des „Skandals“ dann auch gleich von meinem „IM-Umfeld“. Dabei hat meine Mitarbeiterin nie inoffiziell gearbeitet, niemanden ausgehorcht und auch nicht spioniert. Offensichtlich soll mit dem Bericht auch mir und unserer ganzen Partei geschadet werden. Aber wir werden uns – wieder – der Debatte stellen. Das Unrecht der DDR-Diktatur ist ein Fakt und dass Die Linke hier besondere Verantwortung trägt, soll und wird nicht wegdiskutiert werden. Nicht annehmbar sind aber pauschale Vorverurteilungen, die nicht zur Aufarbeitung sondern nur der politischen Propaganda dienen. Das kann auch nicht im Sinne der Opfer der Diktatur sein.