Offener Brief an Herrn Holzapfel, Vereinigung 17. Juni e.V.

Aus gegebenem Anlass möchte ich heute im Tagebuch meine Antwort an Herrn Holzapfel von der Vereinigung 17. Juni e.V. veröffentlichen. Der offene Brief von ihm an mich folgt weiter unten.

Berlin, 14.09.09

Sehr geehrter Herr Holzapfel,

als Reaktion auf Ihren Offenen Brief darf ich Ihnen versichern, dass sich an meinen Feststellungen zum Unrecht in der DDR nichts geändert hat. Ich verstehe allerdings nicht, dass Sie meine inhaltliche Wertung als „entwertet“ ansehen, weil ich eine Mitarbeiterin beschäftige, die ihre Arbeitsbiographie und ihren Lebenslauf nie geleugnet hat.

Meine Mitarbeiterin hat sich bei mir auf eine offene Stelle als Schreibkraft in meinem Berliner Büro beworben. Im Auswahlverfahren hat Ihre Bewerbung von allen eingangenen am deutlichsten überzeugt. Ihre lückenlosen Personalangaben hat sie ungefragt vorgelegt und ich habe ohne jede rechtliche Pflicht geprüft, ob es jenseits ihrer Beschäftigung im Ministerium für Staatsicherheit über ihre „technische“ Tätigkeit als Russischdolmetscherin hinaus Tätigkeiten gegeben haben könnte, die mit Denunziation, Spitzelei oder gar Zerstörung von Menschen in Verbindung gebracht werden könnte.

Ihre Angaben, ausschließlich Übersetzungstätigkeit für die Warschauer Pakt-Staaten gemacht zu haben, erwiesen sich als belastbar und Gegenteiliges konnte ich bei meinen Überprüfungen nicht in Erfahrung bringen. Mit dem jetzt öffentlich debattierten Tätigkeitsbereich von Abhörmaßnahmen gegenüber westdeutschen Bundesbürgern bzw. der Bundesregierung hatte ihr Dienstbereich nichts zu tun. Sie war im Bereich Spionageabwehr mit drei weiteren Mitarbeitern als Referat für Sprachmittlung zuständig, heute bezeichnet als Dolmetscherabteilung. Sie selbst war mit operativen Vorgängen gar nicht befasst, sondern übersetzte Dokumente, Bulletins, Tageslagen, aber auch technische Handbücher in die Amtssprache des Warschauer Paktes, also ins Russische.

Im Übrigen sei wegen der Machtverhältnisse darauf hingewiesen, dass sie überproportional mehr aus dem Russischen ins Deutsche zu übersetzen hatte. Über alle diese Umstände wurde ich umfassend unterrichtet und trage selbstverständlich die Verantwortung für die befristete Einstellung in meinem Büro. Ich könnte es mir einfach machen und Ihnen bestätigen, dass die Beschäftigung jetzt ordnungsgemäß endet. Insoweit habe ich die Forderung aus Ihrem offenen Brief erfüllt. Denn sämtliche Beschäftigungsverhältnisse meines Büros enden durch mein Ausscheiden aus dem Bundestag mit Fristablauf. Einen Grund zur Kündigung gibt es allerdings nicht, da meine Mitarbeiterin mich weder belogen, noch sich arbeitsrechtlich irgendetwas hat zu Schulden kommen lassen.

Ihr Argument, werter Herr Holzapfel, dass man Hauptamtliche aus dem Ministerium für Staatssicherheit nicht aus Steuergeldern bezahlen dürfe, halte ich für nicht tragfähig. Wie sollte ich meiner Mitarbeiterin erklären, dass sie zwar die geforderte Sekretariatsarbeit hervorragend erledigt habe, sie aber mit einem anderen Maßstab behandelt wird als ehemalige Kollegen des MfS bei der BStU oder als die Personenschützer der Bundeskanzlerin? Und das nur, weil sie nach zwanzig Jahren in die Öffentlichkeit gezerrt wird – und zwar nicht durch eigene Veranlassung, sondern lediglich durch ihre Tätigkeit bei mir. Außerdem sind sämtliche Weiterbildungen, ABM-Stellen oder Integrationsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt auch aus Steuergeldern bezahlt. Das Kriterium Steuergeld scheint mir jedenfalls für das Thema Aufarbeitung ungeeignet zu sein. Im Übrigen zahlt meine Mitarbeiterin auch regelmäßig Steuern – hier würde sich das Argument spätestens im Kreis drehen.

Menschlich gesehen möchte ich Ihnen gegenüber erwähnen, dass meine Mitarbeiterin alle Texte von mir nach Diktat geschrieben hat, dabei u. a. auch mein Bekenntnis zum Unrecht in der DDR. Schon deshalb haben wir sehr oft auch inhaltlich über solche Themen gesprochen. Aus diesen Gesprächen weiß ich, dass sie meine Sicht auf die Dinge inhaltlich teilt. Und zwar nicht, weil ich ihr Chef bin und sie sich meiner Meinung anpassen wollte, sondern weil sie ihre eigene persönliche Meinung dazu hat.

Sie hat sehr oft mit mir über 1989 und das folgerichtige Ende des Ministeriums für Staatssicherheit gesprochen. Meine Mitarbeiterin hat in diesen Diskussionen immer glaubhaft dargestellt, dass es für sie eine der wichtigsten Erfahrungen 1989/1990 war, dass mit dem Ende der DDR und der Auflösung des MfS kein einziger Schuss gefallen ist. Sie wissen selbst, sehr geehrter Herr Holzapfel, wie angespannt die Situation damals war. Matthias Büchner, Stasi-Opfer, hat beim 10. Jahrestag der Grenzöffnung im Landtag in Erfurt die Aussage mitformuliert, dass er dankbar für den Mut derjenigen sei, die die Stasi-Zentralen gestürmt haben, aber auch für die Besonnenheit derjenigen, die bewaffnete Auseinandersetzungen verhindert haben.

Vielleicht müssen wir uns dies zum 20. Jahrestag auch einmal in Erinnerung rufen. Wie mächtig wird die Staatssicherheit eigentlich, wenn sie wie ein Untoter regelmäßig zu Wahlkämpfen wieder mit Leben erfüllt wird und wie bei meiner Mitarbeiterin bzw. Schreibkraft dazu benutzt wird, gegen mich politisch zu agieren? Dass am Wochenende Journalisten ihre Privatwohnung belagert haben, dass ihr kompletter Name überall abgedruckt wurde, dass auch ihre Familie in Veröffentlichungen mit angegeben wird, ist für mich schwer nachzuvollziehen. Ich dachte, dass ein öffentliches Interesse dann bestünde, wenn jemand lügen, mogeln oder tricksen würde oder beabsichtigt, eine verantwortungsvolle Position in der Politik zu übernehmen. Meine Mitarbeiterin kandidiert aber für kein öffentliches Amt, erfüllt keinerlei VS-Aufgaben, sondern ist eine von mir eingestellte Schreibkraft, die, und das muss ich betonen, ihre Arbeit immer ohne Beanstandungen meinerseits erfüllt hat. Wenn es darum geht, die mögliche Regierungsbeteiligung in Thüringen zu torpedieren, wäre es nicht nötig, sie und ihre Familie in der Öffentlichkeit zu brandmarken. Eine Schreibkraft, die vor zwanzig Jahren Texte übersetzt hat, schadet der Demokratie deshalb doch heute nicht!

Womit ich nicht einverstanden bin, ist der Eindruck von alttestamentarischer Rache. An Aufarbeitung bin ich aus den Gründen, die ich Ihnen schon früher geschrieben habe, weiterhin interessiert, weil eine offene Gesellschaft Diktaturerfahrungen bearbeiten muss. Aber wie soll man mit Menschen umgehen, die im untergegangenen Staat gedient haben und überzeugt waren, dass sie das Richtige tun? Darüber müssen wir reden. Aber geht es darum jetzt wirklich? Am Beispiel meiner Mitarbeiterin wird deutlich, wer sich jetzt wieder temporär als Stasi-Jäger betätigt.

Sehr geehrter Herr Holzapfel, in diesem Zusammenhang möchte ich hinsichtlich des gesamten Themas Aufarbeitung noch Folgendes anmerken: Ich bin froh, dass vor 20 Jahren die Diktatur des Proletariats mit ihrem Schild und Schwert der Partei untergegangen ist und ich bin froh, dass wir darüber reden können. Wenn man aber mit Menschen reden will, die damals dem untergegangenen Staat gedient haben und die aus heutiger Sicht „Täter“ waren, müssen diese auch eine Chance auf ein inneres Bekennen haben. Wenn aber eine reine Existenzvernichtung als adäquate Antwort angesehen wird, darf man sich nicht wundern, wenn ehemalige Beschäftigte das alles für Okkupation und Siegermentalität halten. Wenn aber ein Mensch auf diese Weise an die Öffentlichkeit gezerrt und desavouiert wird, obwohl dieser ohne jegliche äußere Verpflichtung bei der Annahme einer Stelle seine Biographie freiwillig und ohne Zögern mit aller Offenheit Preis gegeben hat, wird es anderen Menschen schwer fallen, auch weiterhin mit ihrer Vergangenheit und den in 20 Jahren Geschichtsaufarbeitung gewonnenen Einsichten offen umzugehen. Meine Mitarbeiterin jedenfalls war immer bereit darüber zu reden und hatte damit die Chance zu erkennen, was die Krake Staatssicherheit alles an negativer und menschenverachtender Entwicklung zu verantworten hatte. Wenn jetzt ihre Entlassung gefordert und ihre Familie gleich mit gebrandmarkt wird, wäre das Signal deutlich, dass die Rache bis in die nächste Generation gehen soll. Dies hätte mit Aufarbeitung und Bearbeitung nichts zu tun.

Als Christ will ich mit der Erkenntnis schließen, dass ein Bekenntnis mit Bereuen einhergeht, wenn es eine Chance auf Vergebung geben soll. In Südafrika hat hier Desmond Tutu Maßstäbe gesetzt, die mich heute noch prägen. In Südafrika hat man nach der rassistischen Gewaltherrschaft das Wort Vergebung aktiv in die Aufarbeitung einbezogen. Dies fehlt mir im gesamtdeutschen Dialog immer noch. Ich danke ausdrücklich für Ihren offenen Brief und würde mich freuen, wenn sie auch meine offene Erwiderung veröffentlichen würden, denn ich halte unseren bisherigen Dialog dazu aus tiefstem Herzen für aufrichtig und würde mich freuen, wenn das auch weiterhin so bliebe.

Mit freundlichen Grüßen
Bodo Ramelow

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VEREINIGUNG (AK) 17. JUNI 1953 e.V.
P r e s s e

Ehemalige Stasi-Mitarbeiterin im Bundestag unerträglich
Offener Brief an Ramelow: Vertrag nicht verlängern

Berlin, 13.09.2009/cw – In einem offenen Brief hat sich die Vereinigung 17. Juni an den stv. Vorsitzenden der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Bodo Ramelow, gegen die Weiter-Beschäftigung einer ehemaligen hauptamtlichen Mitarbeiterin im Bundestagsbüro des Abgeordneten gewandt. Der Brief hat (ungekürzt) folgenden Wortlaut:

„Sehr geehrter Herr Ramelow,

Sie haben sich seinerzeit auf meine Anfrage hin in klarer Form von dem Unrechts-System der DDR distanziert. Das haben Sie und das haben wir im Internet veröffentlicht. Insoweit habe ich die diesbezügliche Kampagne der JU in Thüringen in dieser Sache nicht nachvollziehen können.

Im Gegensatz zu Ihren seinerzeitigen Bekundungen beschäftigen Sie laut Presse-Berichten in Ihrem Büro eine Mitarbeiterin, Frau Marion Wallrodt, die sich ihrerseits für eben dieses Unrechtssystem engagiert hat. Die Verpflichtung als hauptamtliche Mitarbeiterin des MfS ist keine normale DDR-Biografie, sondern ein deutliches und engagiertes Bekenntnis zu den rechtsstaatswidrigen Handlungen eines Unrechts-Systems, zu denen auch der allumfassende Einsatz des MfS gegen die eigenen Bürger gehörte. Die Verpflichtung Ihrer Mitarbeiterin für das MfS beschränkte sich nicht auf das Bekenntnis zu einer kommunistischen Gliederung, wie z.B. der SED, sondern beinhaltete zuförderst die uneingeschränkte Bereitschaft, innerhalb des Unrechtssystems an diesem aktiv mitzuwirken.

Ich halte es nach wie vor für unerträglich, wenn ein frei gewählter Abgeordneter mittels zur Verfügung gestellter Steuergelder unsere demokratischen Grundsätze durch die Beschäftigung derart belasteter Personen mit Füßen tritt. Die Verfolgten des Unrechtssystems der SED-DDR fühlen sich durch derartige Verhaltensweisen erneut gedemütigt und re-traumatisiert. Ich fordere Sie auf, Ihre bisherige nicht mehr nachvollziehbare Einstellung ernsthaft zu überprüfen und den Vertrag mit Frau Wallrodt zumindest nach der Bundestagswahl nicht mehr zu verlängern.

Mit freundlichen Grüßen
Carl-Wolfgang Holzapfel
Vorsitzender
Vereinigung 17. Juni 1953 e.V.“