Die Herzen voller Frieden, Shalom!
Nach der Podiumsdiskussion beim Verband der Wirtschaft in Thüringen trudele ich gestern Abend mit dem Spätzug in Berlin wieder ein. Die beste aller Ehefrauen schläft schon und Attila denkt, er könnte jetzt erst mal eine Runde spielen. Ich bin aber viel zu müde, um mich auf Ballspiele mit dem lieben Hund einzulassen. Der Abend in Thüringen war spannend, und die Wirtschaftsvertreter waren sehr daran interessiert zu erfahren, mit welchen Leitbildern die Linke in den Landtagswahlkampf gehen wird. Schön war, das eine oder andere vertraute Gesicht zu sehen, denn in den 20 Jahren habe ich doch eine ganze Reihe von Firmen durch dick und dünn begleitet.
Mit dem Fahrdienst geht es heute morgen in die Berliner Synagoge in der Rykestraße zu einem, man könnte sagen historischen Ereignis. Der erste in Deutschland ausgebildete jüdische Kantor nach 1945 wird feierlich in sein Amt eingeführt und drei vom Abraham-Geiger-Kolleg ausgebildete Rabbiner werden ordiniert. Die liberalen Juden Deutschland durchdringen unser alltägliches Leben mit neuem jüdischen Leben und ich spüre, wie ergriffen ich bin, dass nach der Schoah jüdisches Leben in Deutschland wieder zur Normalität wird.
Auf dem Hof vor der Synagoge treffe ich Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka und ich witzele über Fotos, die er mir vor einiger Zeit geschickt hat. Dort war er etwas unvorteilhaft in Olivgrün abgebildet und ich sage zur Begrüßung spaßig „So gefällst du mir heute besser als in Uniform.“ Kaum hatte ich den Satz gesagt, da höre ich neben mir eine Stimme, die sagt „Wieso? Was haben Sie gegen Uniformen?“ Und es steht ein leibhaftiger Brigadegeneral neben mir. Da das Abraham Geiger Kolleg gemeinsam mit der Bundeswehr eine Ausstellung zu Feldrabbinern im 1. Weltkrieg entwickelt hat, versichere ich schnell, dass ich gerade bemüht bin, diese Ausstellung in die Kleine Synagoge nach Erfurt zu holen. Die Vorbereitungen sind getroffen und ich glaube, es ist gut, auch zu sehen, dass vor den rassistischen Verbrechen der Nazis jüdisches Leben in der ganzen Breite in der deutschen Gesellschaft verankert war. So gehörten eben auch Feldrabbiner dazu. Dies ist auch ein Hinweis darauf, warum hoch dekorierte Soldaten des 1. Weltkriegs so entsetzt waren, als sie in den Gaskammern vergast wurden, obwohl sie dachten, ihren deutschen staatsbürgerlichen Pflichten nachgekommen zu sein. Rassismus macht eben vor nichts Halt und führt immer ins Verderben.
Die Textzeilen aus der Thora zur Ordination finde ich am heutigen Tag in vielfacher Hinsicht ausgesprochen aktuell. „Akzeptiere die Wahrheit – aus welcher Quelle sie auch kommen mag“, lautet der eine Text und „Schaue nicht auf den Krug, sondern auf seinen Inhalt“ ein anderer. Gemessen an diesen mehrere tausend Jahre alten Texten aus der Thora fühle ich mich seltsam befremdet, als ich im Büro die heutige Attacke der Thüringer Bild-Zeitung in Sachen Stadtwerke Erfurt lese. Nun werden in Form einer Verbrecherkartei Stadträte der CDU und der Linken abgedruckt, und irgendwie habe ich das beklemmende Gefühl, dass nur noch „Wanted“ darüber geschrieben wird. Die Wahrheit scheint in Erfurt mittlerweile völlig unter die Räder gekommen zu sein, und es scheint die Bild-Zeitung auch nicht mehr zu interessieren, dass Wirtschaftsprüfer das Unternehmen ordnungsgemäß geprüft und ein gutes kaufmännisches Verhalten der Geschäftsführer festgestellt haben.
Nun werden Geschäftsführer und Stadträte zur puren Neiddebatte vorgeführt und die Betriebsführung wird offenbar kampagnenartig zum Abschuss frei gegeben. Es ist schon bedrückend, wie wenig Wahrheit hier noch gefragt ist. Man hat das Gefühl, dass die Stadtverwaltung in einer Art Geisterfahrt das Unternehmen versucht zu torpedieren, und beklemmend ist, wie die Bild-Zeitung das Kesseltreiben gegen jeden betreibt, der nicht laut ruft, dass hier ein Skandal passiert sei. Dieser Skandal entpuppt sich nur als ein normaler und in sich schlüssig erklärbarer Vorgang, der tatsächlich Rechtsansprüche auf eine Pensionsregelung schafft, die arbeitsvertraglich den Geschäftsführern zugesagt war. So starren die Bild-Zeitung und der Oberbürgermeister auf den Krug, aber der Inhalt scheint nicht mehr von Interesse zu sein.
In der Synagoge in Berlin erlebe ich aber noch eine Überraschung. Der Vorsitzende der jüdischen Landesgemeinde in Thüringen, Wolfgang Nossen, ist an der Liturgie beteiligt und ich freue mich, ihn zu treffen. Beim Rausgehen treffe ich allerdings eine größere Gruppe Erfurter, über die ich mich ebenso riesig freue. Die Pröpstin Begrich, Schwester Katharina vom Casteller Ring und eine ganze Delegation aus dem Augustinerkloster waren im Gottesdienst zur Ordination in Berlin anwesend. Schwester Katharina und Pröpstin Begrich müssen sofort weiter, um ins Kloster Volkenroda zu kommen, denn in Thüringen wird heute Ernesto Cardenal Gedichte vortragen. Da bin ich traurig, nicht dabei sein zu können.
Ich selber muss in den Bundestag und erlebe eine Glanzstunde des Parlamentes. Über alle Parteigrenzen hinweg wird am Schluss ein, wie ich finde, liberaler, guter Gesetzestext verabschiedet zum Thema Patientenverfügung. Dies war wahrlich nicht zu erwarten und ist ein schöner Abschluss auch meiner Parlamentstätigkeit. Es zeigt, dass Partei übergreifend gearbeitet werden kann. Die Parlamentssitzung zieht sich allerdings bis in die Nacht und auf einen traurigen Umstand werde ich durch den FDP-Abgeordneten Königshaus aufmerksam gemacht. Er hatte einen Gruppenantrag zum Thema Religionsfreiheit formuliert. Das universelle Recht, zu glauben oder nicht zu glauben, sich einer Kirche anzuschließen oder auch eine Religion zu wechseln, sollte Gegenstand des Antrags sein. Er hatte dies mit uns und mit anderen Fraktionsmitgliedern beredet und Gregor Gysi und ich hatten gemeinsam in der Fraktion dafür geworben. Eine ganze Reihe meiner Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion hatten zwischenzeitlich den Gruppenantrag gezeichnet. Heute Abend teilte er mir mit, dass die CDU-Fraktion sich weigern würde, diesen Antrag überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen, wenn auch nur ein einziger linker Abgeordneter mit auf dem Antrag stehen würde. Daraufhin hat der Abgeordnete Königshaus entschieden, dass er dann den Antrag gar nicht einbringt, weil – wie kann man für eine Freiheit werben, die von einer Partei, die ein „C“ in ihrem Namen trägt, schon mit Ausgrenzung aufgerufen werden soll. Chapeau, Herr Königshaus – ich ziehe den Hut!