„Der erste Schritt zur Weisheit ist Bescheidenheit!“

Anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Alevitischen Gemeinde Deutschland fand heute in Berlin ein Festakt statt. Bodo Ramelow sprach ein Grußwort, das nachfolgend dokumentiert ist:

Sehr geehrter Herr Bundesvorsitzender der Alevitischen Gemeinde Deutschland, verehrter Turgut Öker, sehr geehrter Herr Generalsekretär Ali Ertan Toprak, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

Sevgili Canlar,
wir feiern heute das 20-jährige Bestehen der Alevitischen Gemeinde Deutschland und es ist mir eine große Freude, an diesem Festakt teilnehmen zu dürfen. Vielen Dank für Ihre Einladung.

Wir haben bei unserem Türkeiaufenthalt im letzten Jahr die Alevi-Bektasi Föderation in Ankara besucht. Dort hatten wir Gelegenheit, zusammen mit den religionspolitischen Sprechern aller Bundestagsfraktionen gemeinsam über Glaubensfreiheit und das Recht seinen Glauben als Christ in Kirchen oder als Alevit Cem-Häusern auszuüben gesprochen. Glaubensfreiheit ist universell und für Aleviten, wie für Moslems, Jesiten, Juden, evangelische, katholische oder orthodoxe Christen gleichermaßen wichtig und nur gleichberechtigt möglich.

Ich halte es für wichtig, für die Fragen, die es zu Religion und Glauben gibt, für die Erläuterungen zu Unterschieden und zu den Gemeinsamkeiten ein einheitliches Fach zur Vermittlung aller Grundlagen zu haben. Dies ersetzt nicht das Recht auf Religionsunterricht.

Die Aleviten, ihr Glaube und ihre Kultur sind fester Bestandteil der jüngeren Migrationsgeschichte Deutschlands und der gegenwärtigen Gesellschaft in unserem Lande. Wie auch in anderen Fragen der Integration hat unser Staat in Bezug auf die Aleviten lange Jahre gebraucht, um auf deren Bedürfnisse einzugehen. Und dennoch ist es zweifelsohne ein Gewinn für uns alle, dass die Aleviten in Deutschland nach Art.7, Absatz 3 unseres Grundgesetzes als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt worden sind.

Hier in Berlin hat der Senat ebenfalls das Kulturzentrum Anatolischer Aleviten im Jahr 2002 als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt, was dazu führte, dass es seitdem alevitischen Religionsunterricht an Berliner Grundschulen erteilen darf.

Auch Nordrhein-Westfalen ist diesen richtigen Weg gegangen. Im Schuljahr 2008/09 wird in den Städten Bergkamen, Köln und Wuppertal an insgesamt 4 Grundschulen die alevitische Religion unterrichtet. In Duisburg startete nach den Herbstferien 2008 ebenfalls der Unterricht. In weiteren Städten ist die Einführung des alevitischen Religionsunterrichts geplant. Ich freue mich sehr über diese Entwicklung, denn sie ist richtig und war seit langem notwendig.

Sehr geehrte Damen und Herren der Alevitischen Gemeinde, ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass diese erfreuliche Entwicklung zu einem großen Teil Ihr Verdienst ist. Ihrer jahrelangen Arbeit, Ihrem Engagement und Ihrer Kooperation ist es zu verdanken, dass die Aleviten in Deutschland ihren Platz in unserer Gesellschaft eingenommen haben, ohne dabei ihre Wurzeln, ihren Glauben und Ihre Kultur zu vergessen.

Insbesondere mit Ihren Bemühungen im Bildungsbereich leisten Sie eine fundamentalen Beitrag dazu, dass in unserem Land Generationen von selbstbewussten Aleviten heranwachsen werden, die, Ihre Wurzeln und Kultur kennend, die kulturelle Vielfalt in Deutschland bereichern werden. Junge Menschen, deren Religion sie zu einem friedlichen, toleranten und respektvollen Umgang mit anderen aufruft.
Menschen, deren Weltanschauung mit dem europäischen Humanismus sehr gut vereinbar ist.

Selbstverständlich ist mir bewusst, dass uns noch viele Aufgaben und Herausforderungen erwarten. Doch ich merke, dass wir auf dem richtigen Weg sind, um ein rechtlich, politisch und sozial gleichberechtigtes Miteinander zu erreichen. Heute in diesem Kreise fühle ich mich in diesem Gefühl noch mehr bestärkt.

Wenn ich mich an die quälenden Leitkulturdebatten der vergangenen Jahre erinnere, würde ich denen, die eine wie auch immer definierte deutsche Leitkultur über die anderen Kulturen in diesem Lande stellen wollten, am liebsten mit den Worten von Hacı Bektaş Veli antworten: „Der erste Schritt zur Weisheit ist Bescheidenheit!“

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 20-jährigen Bestehen und alles Gute für die Zukunft!

Vielen Dank.