Über Winkelemente und Anstand

Sechs Uhr aufstehen und in frostiger Kälte den Hund Gassi führen. Anschließend zum Bahnhof und ab nach Berlin, wo ich die Sitzung des Fraktionsvorstandes leiten muss. Neben der Klausurtagung muss die Druck- und Medieneinsatzplanung für dieses Jahr besprochen werden. Germana warnt mich vor den Tücken der Bahnfahrt, sagt aber angesichts des Wetters, dass Autofahren auch keine Lösung ist. So nehme ich den Zug der nicht über Bitterfeld fährt, damit mir die stundenlange Wartezeit erspart bleibt. Der „Bitterfelder Weg“ bekommt Eisenbahntechnisch eine ganz neue Bedeutung – muss ich mit meiner Ehefrau noch mal in Ruhe über die Ironie reden, die mir da durch den Kopf ging. Ich denke gelernte DDR Bürger verstehen meinen Sprachwitz.

Also rein in den Zug und Zeitungsschau. Die Zeitung mit den großen Buchstaben berichtet mit supergroßem Foto von mir über politische Winkelemente, wobei die genannten sich natürlich nicht als solche sehen. Eine Erfurter Zeitung berichtet über zwei herausragende Ereignisse vom Vortag: Das erste ist, dass der Vertrag für den Intendanten des Deutschen National Theaters in der Aufsichtsratssitzung wieder nicht beschlossen wurde. Es ist ein Trauerspiel, ein schlechtes, unnötiges Theater ums Theater auf dem Rücken der Mitarbeiter und um den Preis der Freiheit der Kultur. Da intrigiert der zum Glück verhinderte Beinah-Kultusminsiter Krause (CDU) heftig im AR und spielt mit seinen Kumpanen auf Zeit. Und was sagt der Aufsichtsratsvorsitzende und Kultusminister Bernward Müller? Man bräuchte noch mehr Zeit. Ein halbes Jahr ist vergeudet, ohne die Dinge zu regeln und Thüringen wird weiter deutschlandweit zum Gespött gemacht.

Die zweite Nachricht dreht sich um Müllers Vorgänger, Ex-Kultusminister Göbel. Der ist nun “nur noch” Landtagabgeordneter und hat Zeit. Deshalb ist er auch Berater einer privaten Krankenhausgesellschaft geworden. Vom Kultus zur Gesundheit? Vom Theater zum Krankenhaus? Ein weites Feld, will man meinen. Ja unsere Thüringer CDU-Politiker sind umtriebig. Jedenfalls hat diese, von ihm beratene Gesellschaft einen Antrag auf Fördergelder zum Bau einer Klinik gestellt, deren Spezialisierung, dort wo sie gebaut werden soll, gar nicht gebraucht wird. Doch Potzblitz, da sind doch noch 40 Mio € Steuergelder da, wie die Zeitung unschwer raus bekam. Dass der Thüringer Krankenhausplan zum Leidwesen der bestehenden Einrichtungen nicht mehr eingehalten wird, sagte man mir auch schon während meiner Thüringen-Tour. Aber wozu eine Planung, wenn man jemanden kennt, der jemanden kennt, der jemanden kennt. Damit wird zwar das Land nicht systematisch entwickelt aber die Parteifreundschaft bleibt erhalten.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich auch an das gut funktionierende Spaßbad-Beraterteam. Am Entstehen beteiligt ein ehemaliger Fraktionsvorsitzender, der schon mal Geldsäckchen unterm Landtagstisch annahm, ein Rechtsanwalt der beim Spaßbad betreuen auch aktiv war und nun einen ehemaligen Justizminister als Kompagnon in der Kanzlei hat, der bei der Pilzkrise einmal zuviel telefoniert hat. Da ist es eigentlich eine Petitesse, wenn ein Fraktionsvorsitzender der langjährig finanzpolitischer Sprecher war und Wahlkampfwerbung mit Bierdeckel-Steuererklärungen gemacht hat auf einmal vom Finanzamt gepfändet werden sollte. Hatte er vielleicht Bierdeckel statt Steuererklärungen abgegeben?

So geht mir die Idee von den politischen Winkelementen weiter durch den Kopf. Gut, dass die Wähler darüber befinden können, ob solche Verfilzungen nicht von Zeit zu Zeit doch mal aufgelöst werden sollten, um frischen Wind reinzulassen. Apropos frischer Wind, der kalte Wind ist heftig, als ich wieder zum Berliner Hauptbahnhof gehe. Zum Glück geht es reibungslos zurück nach Thüringen. Um 18 Uhr bin ich zurück und dann geht’s noch mal raus mit Attila.