Erfurt: Luthers Eheweib verschwunden
Ein schönes Ritual jährt sich zum 15. Mal: Die Domstufenpremiere. Für uns eine große Freude und wie immer ein Anlass liebe Menschen zu treffen und Kunst vor einer wunderbaren Kulisse zu genießen. Ein paar wunderschöne Stunden in einer einzigartigen Umgebung. Nachdem der Premierenapplaus verklungen ist, beginnt aber das Nachdenken darüber, was man da gerade gesehen und wie es einem gefallen hat. Ich muss zugeben: Mein Eindruck ist zwiespältig. Man kann die Kulisse nicht hoch genug loben. Diese gigantischen, handgeschmiedeten Vierkantnägel, meterhohe Kolosse, die in das wunderschöne Domstufenensemble geschlagen wurden. Die aufgebrochene Domstufenarchitektur, die sich um die Nägel schmiegt und damit faszinierende Spielfläche wird – mit einem Wort: traumhaft.
Dann aber entwickeln sich das Leiden und die Zweifel Martin Luthers zwischen Kunst und Klamauk. Dieses Stück als Musical zu inszenieren, ist sicherlich eine Herausforderung. Aber die dramatischen Wendepunkte, die das Wirken Martin Luthers prägten, werden meines Erachtens verspielt. Die Liebe zu Ursula kommt leichtfüßig daher und nimmt unglaublich viel Raum ein. Die Studenten wirken wie Komödianten, während die Szene von Stotternheim irgendwie in einem Event-Feuerwerk untergeht. Bei mir machte sich das Gefühl breit, dass die unerreichte Liebe und ein übermächtiger Vater, der eigentliche Antriebsgrund waren, das Papsttum zu bekämpfen. Im Gegensatz dazu, ist der Golf-Caddy fahrende Heilige Vater einfach nur noch ein Brüller. Die singenden Kardinäle im Wechselschritt eines Zwanziger Jahre Musikfilms erinnern eher an Monty Python.
Als Protestant habe ich meine Freude daran, aber im Wechselbild zum Gewalt verherrlichenden Thomas Müntzer war mir der Wechsel zu abrupt. Dann wieder der tanzende Versicherungsvertreter Tetzel, der mit seinen Ablassbriefen raffgierig den Himmel verspricht. Die Bilder, die gezeichnet wurden und die Musik, die die Inszenierung trug, waren mir zu wechselhaft. Irgendwie war es nicht entschieden, was es als Gesamtwerk sein sollte. Warum die Liebe Luthers am Anfang so überbetont wird und am Ende Frau von Bora völlig unterschlagen wird, bleibt das Geheimnis des Autors. Ich glaube Martin Luthers gute Seele hätte es verdient, in Erfurt nicht verschwiegen zu werden. Auch wenn Ursula toll gesungen hat und sehr anziehend wirkte. Aber der historische Wahrheit die Ehre die ehemalige Nonne Katharina von Bora war die wirklich starke Frau an Luthers Seite.
Trotzdem ein wunderschöner Abend, kein Regen, nicht gefroren und eine super Premierenfeier. Die Domstufen lohnen sich wie immer zu besuchen, auch wenn die Weltpremiere Martin L. möglicherweise etwas mehr Zeit zum Reifen gebraucht hätte. Die Farben, das Licht, das Ensemble von Dom und Severin entschädigen für alles.