Warten wegen Sarko

Der Tag beginnt gemütlich. Verabredung mit Walter Homolka, dem Chef des Potsdamer Abraham Geiger Kollegs zum Frühstück im Bet SHMUEL! Wir besprechen den gestrigen Abend und reflektieren noch einmal die Einführungsreferate der Konferenz. Das Podium war hochrangig besetzt mit den Repräsentanten des religiösen Lebens in Jerusalem: Rabbi David Rosen(AJC), H. B. Michel Sabbah (Emeritus Latin Patriarch of Jerusalem)und Quadi Muhammed Zibdi (Quadi of Jerusalem). Die Vertreter der abrahamitischen Religionen haben ein gemeinsames Netzwerk gebildet und es wird über den Stand der Arbeit berichtet, Gemeinsames aufgezeigt und Trennendes deutlich ausgesprochen. Da sind sie wieder, die kleinen und größeren Verletzungen! Da berichtet der katholische Vertreter über die offene Wunde Tempelberg und der muslimische Vertreter ergänzt die Frage der Rückführung der Palästinenser in die Dörfer, die es oft gar nicht mehr gibt. Da fragt der Moslem, warum denn nur ein Haus auf einem muslimischen Friedhof gebaut werden soll und der jüdische Vertreter sagt, dass die Gräber vor dem Goldenen Tor auch eine immerwährende Wunde seien!

Diese Äußerungen erinnern mich an die Grabeskirche, wo schon sechs christliche Kirchen miteinander tief zerstritten sind und seit 160 Jahren nicht klären können, wer denn nun die stehengebliebene Leiter über dem Portal abnehmen darf. Also bleibt sie und verrottet als Sinnbild für diesen sinnlosen Streit! Aber zur Grabeskirche gab es wohl vor über 100 Jahren eine grandiose Idee: alle Christen dürfen sinnlos streiten, aber den Schlüssel zur Kirche bewahrt eine arabische Familie! Dort müssen jeden Morgen die Streithammel warten, bis das Tor aufgeschlossen wird. Es funktioniert – seltsamerweise – und ich denke wunderbar!

Der Lateinische Patriarch kann so offen und klar sprechen, wie er sagt, weil es sein erster Abend als Privatmensch ist. Der neue Patriarch wurde gerade am selben Morgen in der Grabeskirche ins Amt eingeführt. Da sagt er einen Satz der unter die Haut geht: Erst wenn der Palästinenser mit den Augen des Juden schaut und umgekehrt, dann wird es eine Hoffnung auf Frieden geben. Denn die Zusammenarbeit der Religionen steht am Anfang und Religion darf nicht Teil des Problems sein, sondern muss Teil der Lösung werden. Noch haben wir nicht die Vision vom Frieden, aber die Pflicht genau diese Vision zusammen zu erarbeiten! Große Worte umrahmt vom zustimmenden Nicken der anderen Mitdiskutanten!

Während wir im Auto sitzen und zu unserem Veranstaltungszentrum quer durch Jerusalem fahren wollen, haben wir auf einmal sehr viel Zeit über das gehörte des vergangen Tages zu sprechen. Sarkozy blockiert unsere Aktivitäten und gibt uns Zeit zum gemeinsamen Reflektieren im Rückstau. Der Französische Staatspräsident fährt genau in dem Moment los, an dem wir auch starten wollen, unser Quartier liegt direkt neben der französischen Botschaft und unterhalb des Hotels in dem der Präsident bei diesem Staatsbesuch wohnt. Da wir aus der Einbahnstraße raus wollen und die Polizei die Prioritäten von Staatsbesuchen anders gesetzt hat, müssen wir eben warten!

Macht aber nichts. So kann ich Walter Homolka erzählen, wie unser Besuch in Yad Vashem war. Der Hinweis auf die Gedenksteine für all die verlorenen Gemeinden in Europa kam von ihm. Da kann ich nur danken, es war ein wichtiger Teil der Reise. An dem Stein der ermordeten Erfurter Juden stellvertretend Blumen niederzulegen, war mir wichtig und zeigt unsere Verbundenheit. Es wird in Yad Vashem deutlich, dass nicht nur die Juden ermordet wurden, sondern unsere Europäische Kultur mitzerstört wurde. Das Europäische Judentum war Teil unserer eigenen Kultur. Es war nicht nur unbegreiflicher Massenmord, sondern auch Kulturbarbarei. Yad Vashem macht nicht nur betroffen, sondern zeigt unsere Geschichte. Während aber Juden den Schmerz fühlen, spüren wir leider nicht genug, wie viel von uns selber mitermordet wurde. Unsere besondere Verantwortung und Solidarität ist hier dauerhaft gefragt!