So viel Verbindendes, so viel Trennendes

Mit Sarko begann der Tag im Stau und siehe da, mit Sarko endet er auch. Der französische Präsident wohnt direkt neben uns im berühmten King David Hotel. Als wir nach einem schönen arabischen Essen noch einen Abendspaziergang machen, den Blick auf die atemberaubende Altstadt auf uns wirken lassen und die kleinen Gassen in den Parkanlagen durchwandern, kommen wir schließlich auf die Hauptstraße. Dort gibt es um 23 Uhr ein Hupkonzert und wir haben erstmal keine Erklärung. Fußball? Nein, ist heute nicht und wer sollte in Jerusalem auch für wen hupen. Was dann? Ganz einfach, Sarko kommt ins Hotel zurück und alle Seitenstraßen sind gesperrt. Da hupt der erboste Jerusalemer, weil irgendwie nicht klar ist, warum man auf einmal 20 Minuten sinnlos festgehalten wird. Gut, dass wir zu Fuß sind und schnell am Chaos vorbei kommen, ab ins Bett.

Aber es sind schon die unvorhergesehenen Begegnungen, die diese Reise prägen. Gestern lauschte ich noch dem Lateinischen Patriarchen Michel Sabbha, quasi an seinem ersten Tag nach seiner Amtszeit und heute drücke ich ihm die Hand und erzähle ihm von der Thüringer Zeitung, die heute über ihn berichtete. Dann kommt noch der neue Patriarch dazu, wir sind beim katholischen Empfang und ich stehe zwischen Juden, Muslimen und wahrscheinlich allen Vertretern sämtlicher christlicher Kirchen: Koppten, Armenier, Syrer, Griechische und Russische Orthodoxe Christen und natürlich meiner eigenen Kirche, den Protestanten, Lutheranern und Anglikanern. So viele Kirchen, so viel Religion, doch ein Glauben an einen großen Gott, der uns alle wollte. Das alles an diesem Ort: Jerusalem!

Nach dem Stau am Morgen nahm ich zuerst an einem Workshop über die jüdisch-palästinensische Zusammenarbeit teil. Dort lausche ich aufmerksam dem Vortrag über Hans J. Morgenthau, dem Begründer der Schule des radikalen Realismus – nicht zu verwechseln mit dem fast gleichnamigen ehemaligen US-Finanzminister, der seltsame Pläne für Nachkriegsdeutschland plante. Gott sei Dank kam der eine Morgenthau nicht zum Zuge und der andere war ein radikaler Kritiker des Vietnamkrieges. Der ließ sich von dem Gedanken leiten, dass nicht die Unkenntnis über den “Anderen” das Problem darstellt, sondern die Geringschätzung über die Handlungszwänge des “Anderen”, die dann immer wieder zum Krieg führt. Man muss die Mechanismen der Macht kennen und die Zwänge des anderen kennen, um dagegen eine Friedenslogik zu entwickeln. Spannend!

Danach stehe ich auf dem Dach von Tantur, dem Ökumenischen Zentrum Jerusalems – ein Zeichen der Hoffnung gegen die Unlogik der Trennungen. Von Paul XI. initiiert, nach einem Besuch auf diesem Bergrücken zwischen Jerusalem und Bethlehem! Eine Heimstatt für alle Christen (katholisch, protestantisch, orthodox, ..) und offen für Juden und Muslime. Von dort oben schaut man auf Bethlehem und auf der gegenüberliegenden Seite Jerusalem. Zwischen den bedeutenden Orten entsteht die umstrittene Siedlung Ha Chomar, fast eine ganze Stadt und 1500 Wohnungen sollen jetzt noch dazu gebaut werden. Eine Handbreit daneben dann die neue martialische Mauer! Hinter dieser Mauer leben aber die arabischen Christen. Die, die von allen Akteuren in diesem Konflikt immer vergessen, ausgegrenzt und geringgeschätzt werden. Diese Mauer soll mit schwäbischer Betontechnik errichtet worden sein und am Abend versichert mir eine Kennerin, dass die Überwachungstechnik auch deutsch sei! Manchmal wünscht man sich nicht, an jedem Export beteiligt zu sein. Aber es ist leider nicht die einzige Mauer in der Gegend, nur die bekannteste. Zwischen Gaza und Ägypten steht wohl eine ähnliche, nur eben nicht von den Israelis gebaut, sondern vom Brudervolk!

Dieser Ort Tantur ist ein Schlüssel der Christen zu sich selber, zu den eigenen Wurzeln und offen für die Abrahamitischen Religionen. Ein Ort der Besinnung und der Studien – mit einem Blick auf eine Mauer, die schmerzt. Aber auch dem Wissen von arabischen Familien die sagen: „Gut, nun wissen wir, dass unsere Söhne nicht mehr von der Hamas geholt werden, nicht mehr den Weg als Märtyrer gehen.“ Für mich schwer zu verdauen.