Gerichtliche Beerdigung
Heute erfolgt vor dem Amtsgericht in Erfurt die Schlussberichterstattung zu einem über fünfzehn Jahre laufenden Konkursverfahren. Eine über 100-jährige Tradition Thüringer Konsumgeschichte findet ihren traurigen, aber endgültigen Abschluss. Akten mussten gewälzt werden, Bücher wurden geprüft und Vermögenswerte von mehreren hundert Millionen damals noch DM mussten bewertet, abgerechnet, veräußert und wiederum neu verteilt werden.
Das Leben war lang, mit Höhen und Tiefen, aber in der Summe mit mehr Erfolg als Niederlagen. Konsumgenossenschaften als Teil der Arbeiterbewegung waren im mitteldeutschen Raum fester Bestandteil der Gewerkschaftsentwicklung, und wenn ich an das Haus „Regenbogen“ in der Erfurter Johannesstraße denke, war dies ein modernes Zentrum, in dem sowohl der Konsumverein als auch der Arbeitersportverein, die Arbeitergesangvereine und die Gewerkschaften ihren Sitz hatten.
In der DDR war der Konsum eher der Versorger im ländlichen Raum und viele Dorfkaufhallen waren das Zentrum. Nach der Wende drohte genau hieran der Konsum zu scheitern, denn die Handelsflächen waren zu klein und die Konkurrenten zu groß.
Ein besonderes Problem stellte der Grund und Boden dar, bei dem schöne, große und moderne Kaufhallen auf volkseigenem Grund und Boden standen, und genau hieran gingen häufig die Sanierungsbemühungen der Genossenschaften dann endgültig zu Grunde. Es gelang nicht, durchfinanzierte marktkonforme Umschuldungskredite zu erhalten, weil Kaufhallen auf fremdem Grund und Boden nicht beleihungsfähig waren. Es gelang nicht, die Landesregierung zu überzeugen, ein attraktives Dorfladenprogramm nach finnischem oder schwedischem Vorbild aufzubauen, um damit im ländlichen Raum Multifunktionshallen eine Überlebenschance zu geben. Es gelang nicht, die Obere Finanzdirektion zu bewegen, wenigstens den volkseigenen Grund und Boden den Konsumgenossenschaften zu veräußern, um den Laden und das Grundstück zu verbinden, damit sie in die Bilanz der Konsumgenossenschaften aufgenommen werden konnten usw. usw. Tausend Fallstricke, gegen die die Vorstände, die Betriebsräte und die Mitarbeiter der Konsumgenossenschaften täglich den Kampf führten.
Mit über 4 000 Beschäftigten ging dann der Konsum Nordthüringen in den Konkurs. Ich war damals als amtierender Aufsichtsratsvertreter und als stellvertretender Vorsitzender letztendlich derjenige, der bei der Ausgründung des Fleischwerkes genauso Feuerwehrdienste leisten musste wie bei den Verhandlungen mit REWE und EDEKA. Der Konkursverwalter übernahm das Kommando und es begann ein Wettlauf gegen die Zeit.
Unsere Zielstellung war es, möglichst viele lebendige Betriebseinheiten weiterzuführen und möglichst viele Beschäftigungsverhältnisse ohne Kündigung zu neuen Betreibern überzuleiten. Letztlich gelang es bei rund einem Drittel aller Beschäftigungsverhältnisse einen direkten Weiterbetrieb zu ermöglichen. 90 % aller Kaufhallen wurden veräußert und damit in eine neue Struktur überführt. Das Fleischwerk gehört heute zu einem der erfolgreichsten Betriebe Thüringens und hat eine eigene Erfolgsgeschichte, drohte aber mitten in der Insolvenz ebenfalls in den Konkurs getrieben zu werden, was ich mit verhindern konnte. Die Deutsche Bank war da wirklich kein Partner und gar nicht solidarisch. Auch wenn ein Konkurs ein trauriger Fall ist, so war die Entscheidung beim Konsum Nordthüringen die einzig mögliche, und sie hat mich viele Jahre Kraft und Energie gekostet, um selbst im Konkurs noch aktiv für Arbeitnehmer zu sein und immer wieder für Beschäftigte Dinge auszuhandeln, die fast unmöglich schienen.
Für mich schließt sich heute ein langer Kampf ab, bei dem ich mir gewünscht hätte, dass wir etwas mehr Erfolg zu Gunsten eines lebendigen Konsums gehabt hätten. Ich wünsche deshalb allen noch existierenden Konsumgenossenschaften ein langes Leben und nehme bedauernd zur Kenntnis, dass dem stolzen Konsum Nordthüringen als Ganzes nicht die Gnade zuteil wurde, saniert zu werden. Die Substanz hätte er gehabt, die Chance wurde ihm genommen. Deshalb ist der Gang heute zum Amtsgericht Erfurt für mich ein trauriger, wenn auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich gar nicht vorstellen können, dass ich immer noch aktiv in der Abwicklung tätig war. Es schließt sich ein Kapitel meines Lebens ab, bei dem wir 1992/93 noch eine große Kampagne gestartet hatten mit der Überschrift „Lasst den Konsum im Dorf!“ Dieses Motto gilt heute umso mehr. Die Rechtsform von Konsum Genossenschaft Nordthüringen e. G. wird heute beerdigt, die Idee lebendiger Strukturen auf dem Land nicht. „Lasst Leben im Dorf!“