Fernes Aufbegehren
Eine skurrile Idee erzählt mir mein Tischnachbar beim Abschlussdinner im Bibel-Zoo von Jerusalem. Als Pfarrer hätte er vor kurzem beinahe an einer Beerdigung einer Partei teilgenommen. Er habe überlegt ob so etwas überhaupt gehen könnte, aber selbst 100 Jahre Tradition einer Partei schützen nicht vor derem Ende. Natürlich kann ein Pfarrer keine Partei beerdigen, aber es sei ihm so durch den Kopf gegangen, als in seinem Heimatland Paraguay gerade der neue Präsident gewählt wurde. Er war Wahlbeobachter im eigenen Land und habe dann noch am Wahlabend die Colorado Partei im Hauptquartier besucht. Da habe er die Trauer gespürt, über eine Wahlniederlage, die in einer Demokratie als Erfahrung trotzdem für eine Partei zwingend überlebensnotwendig ist. Ich erinnere mich an die Wahlniederlage meiner Partei 2002 und nicke heftig.
Auch wenn er seinem neuen Präsidenten viel Glück und eine lange erfolgreiche Amtszeit wünscht, hofft er, dass auch die Colorado Partei sich erneuert. Auch wenn der Präsident nun katholisch ist, glaubt er als Protestant, dass er ein guter Präsident sein wird. Dann bestellt er mir noch Grüße für eine Genossin in Berlin, die für die Rosa Luxemburg Stiftung am Rio de la Plata bei ihm in seiner Gemeinde war und einen Vortrag gehalten hat.
In der Deutschen Welle hatte er die aktuelle Stunde gegen Gregor Gysi mit angehört und fragte mich, wieso die Sozialdemokraten nicht den Maßstab des von ihm verehrten Bruder Stolpe auch in dieser Sache anlegen würden. Ich konnte es Ihm nicht beantworten.
Aber eine evangelische Kollegin von ihm, aus der nordelbischen Kirche, sagte, dass zumindest Sie nicht möchte, das “ihre” SPD beerdigt werde. Sie hängt an ihrer SPD und sei stolz auf die Partei – man spürte es richtig. Das finde ich aufregend, endlich mal jemand, der für die Zukunft der SPD streitet. Da muss ich erst nach Israel fahren, um das zu erleben. Da Sie uns mit in die Stadt nimmt, kommen wir noch intensiver ins Gespräch. Am Tag, als Sie ordiniert wurde, trug Sie ein Button am Talar, Aufschrift: „Willy wählen!“ Fast hätte es einen Skandal gegeben und sie glaubt immer noch an die Erneuerung ihrer Partei. Auch ich erinnere mich: Als Lehrlinge bei Karstadt haben wir beim Misstrauensvotum gegen Willy Brandt alle Transistorradios angehabt und mitgefiebert. Als es gut ging, war der Jubel riesengroß!
Meine Überlegungen sind natürlich andere, auch wenn ich die Gedanken der Frau Pastorin im Ruhestand gut verstehen kann. Aber nach Hartz IV und völkerrechtswidrigen Kriegen, nach Steuersenkungen für Vermögende und auf Vermögen, bei gleichzeitigem Sozial- und Bildungsabbau komme ich natürlich zu anderen Schlussfolgerungen. Wundere mich aber nicht, dass ich beim Einschalten des Fernsehens im Hotel auf dem östereichischem Programm dann die Nachricht höre, dass die Redaktion es für erwähnenswert hält, dass sich Oskar Lafontaine Sorgen machen würde, über den desolaten Zustand der SPD. Er verweist auf die unsoziale Politik der rot-grünen Bundesregierung. Da sind wir wieder beim Thema: Wann wird es wieder sozialer und friedlicher in der Welt? Welche Rolle können wir dabei haben und wann wird die SPD sich entscheiden, sich diese Frage auch ehrlich zu stellen und zu beantworten?
So wie gestern Abend als ich vom Dinner mit Berlin telefonierte und mein Sohn vor freude schrie, dann aber ein ohrenbeteubendes Krachen losging! Letztendlich 3:2 im Spiel gegen die Türkei. Egal wie das Spiel war, denn ich konnte es ja nicht sehen, nur hören. Die Türkei hat sich durchgekämpft, große Klasse. Hier in Israel hofft man auch das sich die Türkische Regierung diplomatisch durchkämpft: Für den Frieden im Nahen Osten!