Plötzlich sind Lebenswege zu Ende
Der Tag beginnt 06.00 Uhr mit der ICE-Fahrt durch das morgendliche Saale-Tal nach Jena. Während der Fahrt , diesmal direkt im ersten Zugabteil, unmittelbar hinter dem Lokführer, habe ich zum ersten Mal Beklemmung. Sonst war dies immer mein Lieblingsplatz mit dem besten Blick. Man sieht nach vorn, links und rechts die schöne Landschaft. Heute schaue ich dem Lokführer bange über die Schulter und habe das quälende Gefühl dauernd Schafe zu sehen. Rational weiß ich um die Sicherheit dieses Verkehrssystems, emotional habe ich viel brenzligere Situationen auf der Autobahn erlebt. Ich weiß, dass Autofahren viel gefährlicher ist. Trotzdem hätte ich mir heute einen Platz im ICE ganz hinten gewünscht. Es auch nicht hilfreich, dass alle Zeitungen im Zug diese Bilder vom ICE-Unglück in Fulda enthalten und ich mich entscheiden kann, entweder dem Lokführer über die Schulter zu schauen oder bei meinen Zugnachbarn in die Zeitung zu sehen.
Ebenso tragisch ist allerdings das Flugzeugunglück von Eisenach-Kindel. Es ist schon ein Drama, wenn ein solcher Unfall bei einem fröhlichen Flugplatzfest passiert. Ich hatte mit gestern einen ersten Überblick über das Internet gemacht, da meine Schwiegermutter ganz aufgeregt aus Italien anrief und von einer großen Katastrophe in Thüringen berichtete. Es ist schon bedrückend und seltsam, wie Medienkommunikation funktioniert. Von dem, was sie glaubte gehört zu haben, war ich verstört und holte mir nähere Informationen. Das Leid, dass über die Familie der zu tote gekommenen Mutter hereinbrach ist unermesslich. Die spektakuläre Welle, die daraus wird, macht es immer noch unfassbarer. Trotzdem zeigt das Unglück, wie schnell Lebenswege und Träume zu Ende sein können.
Ich bin froh im Zug von meinem Büro mit Emails bombardiert zu werden, um mich von den Bildern aus Schafen und Flugzeugen inhaltlich zu lösen. Da stehen neben den zu absolvierenden Terminen an der IGS in Jena und beim Oberbürgermeister in Gera auf einmal Fragen des Islamunterrichts in Bremen oder ob ich meine geplante Israel-Reise im Juni doch vorzeitig beenden muss. Kurzfristig wurde die nächste Sitzung der Föderalismus-Kommission auf den 26. Juni gelegt und mein Rückflug ist erst am 27. Kann ich mit erlauben, die Konferenz des International Council of Christians and Jews (ICCJ) zum Thema “The Contribution of Jewish-Christian-Muslim Dialogue to Peace-Building in the Middle East” vorzeitig zu verlassen, obwohl jetzt alles für meinen Teilnahme arrangiert wurde? Oder kann ich mit meinen Bundestagskollegen Axel Troost vereinbaren, dass er in der entscheidenden Sitzung der Kommission mich vertritt. Fragen die mich bewegen und Zwänge zeigen, zwischen denen ich mich am heutigen Tag entscheiden muss.