Issers?

Quer durch den Speisesaal höre ich einen Mann „Issers?“ rufen. Wer soll’s denn sein, frage ich mich und nähere mich meinem mir zugewiesenen Platz. Das ist hier wie in Amerika oder früher bei den HO- oder Konsum-Gaststätten. Man wird platziert. Es gibt eine Karte mit der Wochenvorauswahl und an alle ergeht der wichtige Hinweis, sich bitte nicht umzusetzen. Das geht nur auf Antrag und muss vom Personal vollzogen werden, jedenfalls nicht auf Eigeninitiative. Die freundliche Saalchefin sagt noch: Sie bringen alles durcheinander, wenn Sie sich hier einfach umsetzen.

Unvermeidliche Folge des Systems ist, dass auf dem Tisch schon ein Schildchen mit meinen Namen steht. Als ich mich hinsetze dreht sich ein älterer Herr am Nachbartisch um und fragt erneut ganz freundlich „Ist er es?“ um gleich darauf selbst die Antwort zu geben „Ja, sie sind es wirklich.“ Er freue sich mich kennenzulernen und meint aber gleich „Pssst, sie sollen sich hier erholen.“ Aber das Eis war gebrochen und ich enttarnt.

Auch am nächsten Tag spricht mich eine Dame mit unverkennbarer Magdeburger Sprachfärbung an und fragt, ob ich es denn wirklich bin. An ihrem Tisch haben sich die Damen darüber unterhalten und waren sich nicht einig. Dagegen spräche ja, dass jemand wie ich bestimmt keine Kassen-Kur machen würde. Obwohl sie selber selbständig ist und auch freiwilliges Mitglied unserer Krankenkasse geblieben ist, konnte sie sich nicht vorstellen, dass ein Abgeordneter DAK-Mitglied sei. Ich versichere ihr, dass ich seit 54 Jahren über diese Kasse versichert bin, weil ich ein Solidarisches Sozialversicherungsystem für unabdingbar halte. Wenn unser Staat sozialer Rechtsstaat bleiben soll, gibt es keine Alternative zu einer modernen Bürgerversicherung, in die alle einbezahlen. Die Kapitalmarktgedeckten Privatversicherungen, die über die Kopfpauschale gefüttert werden, bieten nur frisches Brennmaterial, das wieder an den Geldmärkten verheizt werden kann.

Schließlich bin ich auch vorgestern am Eingang offen mit den Worten begrüßt worden „Wir Thüringer müssen zusammenhalten.“ und dass der Herr sich freue, hier seinen Fraktionsvorsitzenden zu treffen. Und als ich gestern Abend noch Hilfe von einem Haustechniker brauchte, stand schon wieder die Issers-Frage im Raum. Als wir dann zusammen arbeiteten, klärte mich der junge Mann auf, dass er aus Eisenach käme und nun hier arbeiten würde. „Sie wissen doch, wie es bei uns mit Arbeit war.“ Nun ist er Neuallgäuer, aber mein Eindruck war, dass er gerne wieder nach Hause gehen würde, wenn es Perspektiven gäbe – war aber nur so ein Gefühl.

Im Speisesaal war jedenfalls für mich die „Ostbesatzung“ schnell ausgemacht. Immer wieder ein freundliches Wort oder ein „verschwörerisches“ Zunicken. Da ist Ostsolidarität spürbar.
Nur der Herr vom ersten Abend passt überhaupt nicht in dieses Raster. Er war sein Leben lang selbständig und Freiberufler. Original gebürtig aus Emstetten (was am Westfälischen sofort hörbar war) und trotzdem war er es, der mich zuerst enttarnt hat. Issers – ja, er ist es! Herzlich Willkommen Herr Ramelow – Danke lieber Herr Bruch.